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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Aktuelle Rezensionen


Stefan Groth/Christian Ritter (Hg.)

Zusammen arbeiten. Praktiken der Koordination und Kooperation in kollaborativen Prozessen

Bielefeld 2019, transcript, 371 Seiten mit Abbildungen, ISBN 978-3-8376-4295-7


Rezensiert von Beate Binder
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 19.08.2021

Das Thema Kollaboration erfreut sich in den letzten Jahren in den Sozial- und Kulturwissenschaften eines hohen Interesses. Oft wird mit euphorischem Überschuss diese – je nach Kontext – neuartige, innovative, effiziente, zielführende Form der Wissensproduktion begrüßt. Diese Euphorie schlägt sich inzwischen (auch) im deutschsprachigen Raum in vielfältigen Förderinstrumenten und Institutionalisierungsansätzen nieder. Trotz unterschiedlicher Logiken scheint allen die große Hoffnung gemein, die grundsätzlich in Zusammenarbeiten gesetzt wird. Auch die wissenschaftliche Debatte ist gegenwärtig insofern allein in Hinblick auf das Wie, Wer und mit Wem kontrovers. Hier leistet der von dem Kulturanthropologen Stefan Groth und dem Kultur- und Medienwissenschaftler Christian Ritter herausgegebene Band einen wichtigen Beitrag. Der Band geht auf eine Tagung zurück, die vom Zürcher Institut für Sozialanthropologie und Empirische Kulturwissenschaft zusammen mit dem Collegium Helveticum – selbst ein Ort interdisziplinärer Wissensproduktion – ausgerichtet wurde. Die 13 Beiträge diskutieren nicht abstrakt den Mehrwert der Zusammenarbeit, sondern schildern konkrete „Praktiken der Koordination und Kooperation in kollaborativen Prozessen“ und reflektieren diese Prozesse angefangen vom Zustandekommen über die Durchführung bis zur Darstellung der Ergebnisse. Vor dem Hintergrund meist eigener Beteiligung diskutieren die Beitragenden Bedingungen und Herausforderungen des Zusammenarbeitens und machen auch auf Grenzen und Momente des Scheiterns aufmerksam. Gegen das etablierte Narrativ, dass grenzüberschreitende Zusammenarbeit grundsätzlich jenseits etablierter Routinen operieren müsse, zeigen die Beiträge, dass längst ein abrufbarer Erfahrungsschatz zur Verfügung steht, an dem sich auch künftige Projekte orientieren können.
Dabei bringen die versammelten Beiträge unterschiedliche Konstellationen des Kooperierens zur Sprache. In einigen geht es um klassische Formen interdisziplinären Forschens, bei denen neben einer vielschichtigen Problembearbeitung vor allem auf den reflexiven Mehrwert gesetzt wird. Diesen arbeitet Jörg Niewöhner auf Basis seiner langjährigen Zusammenarbeit mit Lebenswissenschaftler*innen unter dem Titel „situierte Modellierung“ heraus. Er plädiert für eine Form der Ko-Laboration, die – jenseits kritischer Dekonstruktion und kurzfristiger gemeinsamer Erkenntnisgewinne – auf epistemische Partnerschaft und die Reflexivität aller Beteiligten setzt. Voraussetzung für erfolgreiche – auch die eigene Disziplin voranbringende – Zusammenarbeit sei die Anerkennung des kontingenten Geworden-Seins aller disziplinären Positionen. Dieser Benefit wird in dem Beitrag von Franka Schneider anhand konkreter Praktiken anschaulich: Im Verbund von Archäologie, Kunstgeschichte und Ethnologie, die den Status von Fotografien in der jeweiligen disziplinären Wissensproduktion untersuchten, wurde das Arbeiten im Tandem zur Möglichkeit, unterschiedliche Wahrnehmungs-, disziplinäre Bearbeitungs- und Archivierungsweisen von Fotografien offen zu legen. Auch das Tandemforschen basierte auf einer Anerkennung situierter Expertise, um als Modus des „reziproke[n], vergleichende[n] Involviertsein[s] im Fotoarchiv“ (141) produktiv zu werden, wobei auch die Objekte selbst sowie die räumlichen Bedingungen der Bildarchive eine Agency entfalteten. Ebenfalls im Feld akademischen Zusammenarbeitens ist der Beitrag von Tina Paul angesiedelt, die aus einer Außenperspektive dem Changieren zwischen Vertrag und Vertrauen in deutsch-chinesischen Wissenschaftskollaborationen nachgeht. Im Vergleich von Grundlagen- und angewandter Forschung kann sie zeigen, dass im interkulturellen Setting wie vor dem Hintergrund divergierender Zielsetzungen unterschiedliche Erwartungen in den gemeinsamen Arbeitsprozess getragen werden. An der Zürcher Hochschule der Künste ist Transdisziplinarität zum Organisationsprinzip eines Studiengangs geworden, dessen Logiken und Grenzen Irene Vögeli und Patrick Müller in ihrem Beitrag anhand von Abschlussprojekten diskutieren. Auch hier zeigt sich Transdisziplinarität vor allem als Denkweise und reflektierende Praxis, die zusammenarbeitend eingeübt werden soll.
Die Mehrzahl der Beiträge überschreitet aber die Akademie und buchstabiert kollaborative Arrangements zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Feldern aus. Zentral sind hier Austauschprozesse zwischen Kunst und Wissenschaft. Wie das Gemeinsame sich mit individuellen Anliegen verschränkt, zeigen Cécile Cuny, Alexa Färber und Sonja Preissing am Beispiel von Itinéraire HafenCity – einer langfristigen Zusammenarbeit von Fotografin, Ethnografin und Interviewerin. Auch hier gestaltet sich Teamarbeit „kontingenter als die Umsetzung einer Abmachung“ (52), wobei in der „De-Normalisierung von Zusammenarbeit“ die Chance liege, eigene – autonome – Interessen zeitgleich zum gemeinsamen Arbeiten zu realisieren. Zeit wird verdoppelt und ausgedehnt, auch indem Routinen unterlaufen werden. Ein studentisches Forschungsprojekt zum Grenzdurchgangslager Friedland, das seine kulturanalytische Untersuchung auf die Theaterbühne bringen wollte, steht im Zentrum des Beitrags von Oliver Becker und Torsten Näser. Die Erfahrung des Aufeinandertreffens unterschiedlicher Zeitrhythmen, Arbeitsintensitäten und Repräsentationslogiken fassen sie unter der Metapher „Schleudertrauma“ zusammen. Ein begleitendes Filmprojekt dokumentiert, wie sich in der „Contact Zone“ zweier „Wissensmilieus“, Theater und Universität, das Experimentieren mit Wissenstransfer und Darstellungsformaten trotz des gemeinsamen Anliegens spannungsreich artikuliert und Aufschluss über die unterschiedlichen Praxen wie Bedingungen der Wissensgenese gibt. Um künstlerischen Outreach in gesellschaftliche Konfliktfelder dreht sich der Beitrag von Flavia Caviezel: Das multi-lokale Forschungsprojekt „Times of Waste“ verfolgt den Produktions- und Recyclingprozess von Smartphones und zeigt im Zusammenspiel unterschiedlicher Akteur*innen, wie in der Interaktion von Menschen, Materialien und Technologien Unmengen an Abfall entstehen. Die „ökologische Form der Zusammenarbeit“ macht globale Verflechtung greifbar: Die infrastrukturellen, epistemischen wie methodischen Reibungen des Kooperationsprozesses fanden Eingang in dessen Repräsentationen, um Rezipient*innen Räume des Weiterdenkens, -hörens und -sehens zu öffnen. In dem Beitrag von Jacqueline Grigo bildet eine transnationale Museumskooperation Anlass zur kritischen Reflexion: Zwei kooperativ erarbeitete Ausstellungen zeigten in Kampala und Mbarara, beide Uganda, schweizerische und ugandische Milchproduktion und -verarbeitung im Vergleich, während eine dritte Ausstellung in Zürich die Kooperation selbst thematisierte. Die Autorin zeigt, wie dabei „kulturelle Differenz“ die Praxis der Kooperation bestimmt: Obwohl der Prozess immer wieder auf Dominanzmanifestationen hin reflektiert wurde, machten gegenwärtige postkoloniale Bedingungen eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe fast unmöglich. Dennoch gelang es gängige Vorstellungen von Fremd und Eigen zu durchbrechen und damit eine Basis für die weitere Zusammenarbeit zu legen. Etwas anders gelagert ist das multidisziplinäre, partizipative Kunstprojekt eines Schweizer Künstlerduos, das Johannes M. Hedinger vorstellt. Auch hier wird Globalität sichtbar gemacht. Ein Appenzeller Brauch – das Tragen und Versteigern eines fünf Meter langen Fichtenstamms (Bloch) – wird von zwei Künstlern auf Wanderschaft und damit in unterschiedliche Interaktions- und Interpretationskontexte geschickt, begleitet durch audiovisuelle Dokumentation und Performances. Die Rezipient*innen der Kunst werden zu deren Produzent*innen, damit das Projekt von seinen Urhebern gelöst und in neue Erzählungen eingebunden – im Band anhand einer Foto-Serie wunderbar nachvollziehbar.
Drei weitere Aufsätze zeigen, wie Kooperation in gegenwärtigen gesellschaftlichen Problemfeldern organisiert wird. Judith Laister spricht von „Übersetzungskunst“ und diskutiert an drei Beispielen, wie aktuell Stadtentwicklungsprozesse durch künstlerisch-partizipative Projekte gerahmt werden. Diese führen ein Wir-Versprechen mit sich, auch wenn unterschiedliche Interessen einfließen. Doch bleibe dieses – kommunikative und soziale Grenzen überschreitende – Versprechen in Hinblick auf demokratischere Stadtentwicklungsprozesse leer, solange das künstlerische Regime die Kollaboration mit urbanen neoliberalen Regimen kaschiert. In eine ähnliche Richtung geht die Kritik, die Nina Hälker am Beispiel des Hamburger Projekts FindingPlaces entwickelt. Changierend zwischen Kooperation, Kollaboration und Komplizenschaft sollten Bürgerbeteiligungsverfahren geeignete und akzeptierte Standorte für Flüchtlingsunterkünfte identifizieren, blieben dabei jedoch in den hierarchischen Strukturen kommunaler Entscheidungsinstanzen gewissermaßen stecken. In Nina Wolfs und Yelena Wyslings Beitrag werden schließlich die Mikropraktiken des Case Managements in der Betreuung dementiell Erkrankter in den Blick genommen. Hier bildet Kooperation zwischen Patient*in und Case Manager*in zwar den Ausgangspunkt, doch bleibt die letztliche Entscheidung über Richtung und Ansätze der Betreuung beim Case Manager, nicht zuletzt weil mit dem „theoretischen Kooperationsbegriff ein individualistisches Autonomiekonzept“ (296) verkoppelt wird.
Die Beiträge zeigen eindrücklich, mit welchen Effekten methodologische wie epistemologische Prämissen und Arbeitsweisen in den verschiedenen Konstellationen der Zusammenarbeit aufeinandertreffen. Sie berichten über höchst unterschiedliche Konzepte und Prozesse der Kooperation wie Koordination und zeigen die (Un)Möglichkeit, divergierende Akteur*innen, Interessen und Zielvorstellungen produktiv zusammen zu bringen. Die Beiträge bestechen durch ihren genauen Blick auf Wissen und Ästhetik als Praxis. Sie verdeutlichen, wie Expertise in konkreten Projektkontexten situiert wird und legen die in der Zusammenarbeit selbst angelegten Momente der Reflexion offen. Die reiche und hochwertige Bebilderung vieler Beiträge macht den Band selbst zu einem Beispiel ästhetischer Wissenspraxis: Gerade im Zusammenspiel von Wort und Bild gewinnen viele der Aussagen ihr Gewicht und zeigt sich die besondere Stärke einer praxeografischen Analyseperspektive. Gewünscht hätte ich mir, dass ein reflektierender, ordnender und weiterdenkender Beitrag die unterschiedlichen Beispiele stärker miteinander in Beziehung gesetzt hätte. So zeigt die Einleitung von Stefan Groth und Christian Ritter zwar vortrefflich den gesellschaftlichen Kontext, in den sich der gegenwärtige Wunsch nach Zusammenarbeit einordnet, bleibt aber in der Analyse der konkreten Prozesse eher zurückhaltend. Insgesamt jedoch liefert der Band ebenso abwechslungsreiche wie vielschichtige Einblicke in aktuelle Kooperationsprozesse.