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Aktuelle Rezensionen


Reto D. Jenny (Hg. u. Red.)/Arbeitskreis Siegburger Tuch Gespräche in Zusammenarbeit mit dem Geschichts- und Altertumsverein für Siegburg und den Rhein-Sieg-Kreis

Siegburger Tuch Gespräche. Stoffe lesen – Stoffe erzählen Geschichte. Kunst und Geschichte des Siegburger und europäischen Kattuns und Kattundrucks. Tagungsband der internationalen Fachtagung vom 22. bis 24. Mai 2019 in Siegburg

(Edition Comptoir-Blätter 16/17), Sent 2020, Jenny, 207 Seiten mit zahlreichen Abbildungen, ISBN 978-3-033-07530-6


Rezensiert von Melanie Burgemeister
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 19.08.2021

Die Comptoir-Blätter widmen sich seit 2006 verschiedenen Themen rund um die Firma Daniel Jenny & Cie., die 1808 gegründet wurde und sich ab der Mitte des 19. Jahrhunderts zu einem führenden Schweizer Industrie- und Handelshaus im Bereich des Textilen entwickelte. Der vorliegende Band basiert auf einer Fachtagung, die im Mai 2019 in Siegburg auf dem Areal der Siegwerk Druckfarben AG & Co. KGaA und damit an einer thematisch bedeutsamen Stätte stattfand. Sie bildet die Fortsetzung der Arbeitstagung 2016 im Kanton Glarus und fasst nun international orientiert auch weitere wichtige Standorte in Europa ins Auge.
Die Tagung, organisiert vom Arbeitskreis Siegburger Tuch Gespräche in Zusammenarbeit mit dem Geschichts- und Altertumsverein für Siegburg und den Rhein-Sieg-Kreis, war in fünf Themenbereiche unterteilt, die im Tagungsband leider nur im Vorwort erwähnt werden: Die Blöcke behandelten zunächst Objekte und Quellen sowie das Feld der Textilfabriken. Es folgten Beiträge zum Thema Baumwolltuche, zur europäischen Produktion und zum Handel sowie zu künstlerischer Ästhetik, Drucktechnik und Handwerk. Die Reihenfolge der Vorträge wurde im Tagungsband beibehalten, darunter drei französischsprachige mit Zusammenfassungen auf Deutsch.
Der Band stellt damit neben den Stoffen vor allem die produzierenden Firmen in den Fokus, die in insgesamt acht Beiträgen mit ihren Firmengeschichten vorgestellt werden. Den Anfang macht Angela Joseph mit einer „Führung“ durch das Museum der Firma Siegwerk Druckfarben, später folgt eine Darstellung der Geschichte der Zweigfirma Rolffs & Cie. im böhmischen Frýdek/Friedland von Eliška Králová und Ivo Černý anhand des erhaltenen Firmenarchivs.
Im ersten thematischen Beitrag stellt Daniel Aebli die Ergebnisse aus den Werkstattgesprächen der Tagung vor, die sich mit einem umfangreichen Musterbuch mit Tuchbeispielen ungeklärter Provenienz und den darin enthaltenen Darstellungen rund um den Russisch-Türkischen Krieg von 1877/78 beschäftigten. Eine Einführung in die Herstellung des Kattuns und die damit verbundenen Handelswege von der Baumwolle aus Louisiana bis hin zu fertigen Stoffen für Märkte im Orient bietet der Beitrag „Stoffe lesen – Stoffe erzählen Geschichte“ von Reto Daniel Jenny.
Gudrun M. König stellt in „Mode. Land. Von Resten und Überresten“ das Potential privater Fotografie als Grundlage für Kleidungsforschungen vor. Ihre Ausführungen basieren auf Aufnahmen aus dem Glasplattenkonvolut des Textilfabrikanten Carl Bauer (1873–1963), die in einem Studienprojekt an der TU Dortmund ausgewertet wurden. Diese umfangreiche Quellensammlung soll Einblick in die Kleidungsmode auf dem Land zu Beginn des 20. Jahrhunderts geben. Jürgen Schramm, Yasmine Schulenburg und Marc Holly rücken den Farbstoff für den Textildruck in den Fokus, stellen die Bedeutung der historischen Farbstoffsammlung der Hochschule Niederrhein vor und zeigen deren Potential als Informationsquelle zur Entwicklung der chemischen Industrie.
Vier objektkundliche Beiträge widmen sich Bildtüchern und Schleiertüchern und ihrer globalen Bedeutung. Christiane Twiehaus beschäftigt sich mit dem Bildtuch „Feldgottesdienst vor Metz 1870“, das einen jüdischen Gottesdienst an Jom Kippur zeigt und in zahlreichen Versionen erhalten ist. Dirk Ziesing zeigt den globalen Handel von Bildertüchern der Firma Rolffs & Cie. anhand zahlreicher Erinnerungs- und Kavallerietücher. In „Schleier- und Turbantücher für den Orient“ thematisiert Helen Oplatka-Steinlin die farbenfrohen Yasmas als sehr erfolgreichen, aber fast vergessenen Glarner Exportartikel. Den Abschluss des Bandes bildet ein Blick von Dominique Loeding auf ein Erinnerungstuch, auf dem ein Entwurf für den Bau des deutschen Reichstags gedruckt ist und das sich im Gepäck einer Kongo-Expedition von 1880 bis 1883 befand. Damit berührt sie zugleich die Frage nach Wertvorstellungen der Zeit zu den behandelten Objekten.
Allen Beiträgen ist ein einführender Text vorangestellt, der ein schnelles Einlesen ermöglicht, sowie Infokästen mit weitergehenden Angaben. Zugleich finden sich zahlreiche Abbildungen, die in extra dafür freigehaltenen seitlichen Spalten erklärt werden. Damit werden die ansonsten vorwiegend kurzen Beiträge vertieft, so dass ein facettenreicher Einblick in das Themenfeld entsteht. Es liegt ein Werk vor, das vor allem die großen Kattunfirmen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts vorstellt und so Wissen zusammenträgt, das anders nur schwer erschlossen werden kann. Ergänzend wird ein Einblick in die Produktvielfalt gegeben, dieser bleibt jedoch teilweise an der Oberfläche. Damit ist der Tagungsband ein guter Einstieg in das Themenfeld und ein ergänzender Baustein für die Forschung zu Kattun und Kattundruck.