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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Klaus Buchenau /Ger Duijzings (Hg.)

Russkij Regensburg. Die russischsprachige Bevölkerung Regensburgs

Regensburg 2020, Universitätsverlag Regensburg, 134 Seiten mit Abbildungen, ISBN 978-3-86845-163-4


Rezensiert von Lukas Försch
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 19.08.2021

In der Migrationsforschung sind die aus den verschiedenen Regionen des postsowjetischen Russlands eingewanderten Menschen in der Bundesrepublik Deutschland eher unterrepräsentiert. Nach einem Rückgang der Migration deutschstämmiger Einwohner*innen Russlands nach Deutschland seit Ende der 1940er Jahre wanderten ab den 1990er Jahren im Zuge des Zerfalls der Sowjetunion wieder vermehrt Menschen nach Deutschland. Einige dieser Spätaussiedler*innen – Russlanddeutsche, jüdische Einwanderer*innen aus Russland und andere russisch sprechende Personen aus der ehemaligen Sowjetunion − ließen sich im oberpfälzischen Regensburg nieder und sind dort heute aufgrund der ihnen gemeinsamen russischen Sprache als „Russkij Regensburg“ bekannt. Das russische Regensburg umfasst immerhin etwa sieben Prozent der Bevölkerung, die die Stadt seit den 1990er Jahren ebenso gestalten wie sie umgekehrt durch die Stadt geprägt werden. Eben diese Menschen und ihren Alltag stellt der hier zu besprechende Sammelband in den Mittelpunkt. Hervorgegangen ist der Band aus einem studentischen Projekt unter der Leitung des Historikers Klaus Buchenau und des Sozial- und Kulturanthropologen Ger Duijzings. Mit einer Seitenzahl von 134 Seiten ist der Sammelband zwar eher schmal, vermittelt aber dennoch einen soliden Einblick in die Thematik. Im Mittelpunkt der insgesamt sieben, vornehmlich auf Interviews und anderen Methoden der empirischen Forschung basierenden Beiträge steht die Frage nach den Beweggründen der Einwanderung in die Bundesrepublik Deutschland und nach dem Alltagsleben der russischsprachigen Forschungspartner*innen.
Die kurze Einleitung der Herausgeber thematisiert das Forschungsanliegen: eine sich durch ihre Sprache unterscheidende Bevölkerungsgruppe zu zeigen, die sich jedoch, würde man nach anderen Kriterien schauen, zum Großteil in der Gesamtbevölkerung widerspiegelt, aber dennoch kaum in der Stadtgeschichte und der Wahrnehmung der Stadtbewohner*innen auftaucht. Unter dem Titel „Die Russlanddeutschen. Gespräche mit einer Bevölkerungsgruppe, die sich missverstanden fühlt“ fragen Maximilian Koblofsky und Magdolna Molnár nach Motiven für die Migration aus Russland, nach ersten Erfahrungen bei der Ankunft im neuen Zuhause sowie nach der Bedeutung der russlanddeutschen Gemeinschaft für die erste und zweite Generation. Deutlich wird, dass viele der Migrant*innen ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Russlanddeutsche jüdischen Glaubens beklagen zum Beispiel häufig antisemitische Ressentiments. Daria Kozlova beschäftigt sich in ihrem Beitrag „Die russisch-orthodoxe Gemeinde in Regensburg“ damit, wie sich eine russisch-orthodoxe Gemeinde außerhalb Russlands organisiert. Dabei werden die spezifischen Traditionen der Glaubensgemeinschaft erläutert und die Bedeutung der Weitergabe des Glaubens an die nächste Generation thematisiert. Probleme ergeben sich unter anderem dadurch, dass in Deutschland nur eine Minderheit dem russisch-orthodoxen Glauben angehört. Der anschließende Beitrag von Vanessa Kleinitz und Leon Struve setzt sich mit dem Thema des „Realexistierenden Sozialismus“ auseinander. Vier Zeitzeug*innen − darunter eine Person, deren Vorfahren auf Einladung von Zarin Katharina II. im 18. Jahrhundert nach Russland umgesiedelt waren − erzählen von ihren Erlebnissen in der Sowjetunion. Dabei sind sich die Befragten darin einig, dass der realexistierende Sozialismus aufgrund der gegebenen Machtverhältnisse für die Menschen immer mit Angst besetzt gewesen sei. Die Einschüchterung durch den Staat wirke bis heute fort, so dass sich die Forschungspartner*innen dem Thema nur ungern stellten.
Im Wissen um die Notwendigkeit kritischer Herangehensweisen beschäftigt sich Adina Schachtl mit den Heimatvorstellungen und -verortungen innerhalb der Jüdischen Gemeinde Regensburg. „Heimat ist da, wo man etwas verändern kann“, lautet das Ergebnis, das dem Beitrag seinen hinweisgebenden Titel gibt. Demnach ist Heimat auch ein Ort, an dem man Grenzen überschreiten kann, um ein selbstbestimmtes Leben zu führen.
Der grundlegende Unterschied zwischen dem früheren Leben in der Sowjetunion und dem heutigen Leben in Regensburg steht im Zentrum des Aufsatzes „Zwei Perspektiven und ein gemeinsames Leben“ von Isabell Metschl und Maria Seigner. Das Ehepaar Barsky reflektiert hier sein Leben von der Kindheit bis hin zum „neuen Leben“ in Regensburg. Dabei erzählen Herr und Frau Barsky durchaus unterschiedlich, was im Beitrag zusätzlich farblich differenziert dargestellt wird. In „Königswiesen“ von Thomas Oberst geht es um den gleichnamigen Stadtteil und seine Entwicklung, insbesondere darum, wie die russischsprachige Bevölkerung das Viertel mit der Zeit geprägt hat. Dabei wird vor allem darauf Bezug genommen, wie hier Integration ermöglicht und das Image einer Art „Little Russia“ umgangen werden kann. Der Beitrag „Warum ,russische‘ Supermärkte nicht ganz russisch sind“ von Wadim Weinberger setzt sich schließlich mit den russischen Supermärkten in Regensburg auseinander. Was russische Supermärkte im Vergleich zu anderen Geschäften in Regensburg auszeichnet, welche besonderen Waren angeboten werden und inwieweit sich hier der gesellschaftliche Wandel abzeichnet, gehört zu den behandelten Themen.
Insgesamt bietet das Buch einen guten Einblick in das Leben der russisch sprechenden Menschen in Regensburg. Zahlreiche Fotografien veranschaulichen zusätzlich das Gesagte. Dass neben den Russlanddeutschen auch andere russischsprachige Stadtbewohner*innen betrachtet werden, gehört zu den Stärken dieses Buchs, da dadurch auch konzeptuell der Eindruck einer geschlossenen Gemeinschaft vermieden wird. Der Fokus auf lokale Gemeinschaften ermöglicht nicht nur anschauliche Detailstudien, sondern wirft zugleich auch eine andere Perspektive auf die Stadtgeschichte. Gerade mit Blick auf die Erforschung von in Deutschland lebenden Minderheiten leistet das Buch einen wichtigen Beitrag. Daher ist „Russkij Regensburg“ der (lokalen) Bevölkerung ebenso wie an der Thematik interessierten Fachwissenschaftler*innen aus den Geschichts-, Sozial- und Kulturwissenschaften zu empfehlen.