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Katherine Lukat
Zwangsarbeit in Plauen im Vogtland. Lebens- und Arbeitsbedingungen ausländischer Zivilarbeiter, Kriegsgefangener und KZ-Häftlinge im Zweiten Weltkrieg
Köln/Weimar/Wien 2020, Böhlau, 503 Seiten mit Abbildungen, ISBN 978-3-412-51741-0
Rezensiert von Sönke Friedreich
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 19.08.2021
Die vorliegende Studie, 2017 als zeitgeschichtliche Dissertation an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg entstanden, verspricht detaillierte Einsichten in den Einsatz von Zwangsarbeiter*innen während des Zweiten Weltkrieges am Beispiel der Stadt Plauen, dessen Bevölkerung schon früh zum Nationalsozialismus neigte. Ziel der Monografie von Katherine Lukat ist es, die Lebensbedingungen von Zwangsarbeiter*innen im Spannungsfeld von nationalen Vorgaben und örtlicher Handlungsautonomie zu beschreiben und damit exemplarisch ein zeitgeschichtliches Phänomen zu erhellen, das in den vergangenen zwei Jahrzehnten vermehrt Beachtung gefunden hat. Nachdem nicht zuletzt auf der Grundlage von zeitgeschichtlichen Forschungen zum historischen Einsatz von Zwangsarbeiter*innen die Gründung der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ (2000) und die Zwangsarbeiter*innenentschädigung auf die politische Agenda gesetzt worden waren, zeigten Lokalstudien an vielerlei Orten die Verbreitung, ja Alltäglichkeit des erzwungenen Arbeitseinsatzes auf. An diesen Diskurs schließt das Buch von Katherine Lukat an.
Der Einleitung folgend wird im zweiten Kapitel das Untersuchungsfeld skizziert, wobei die Verfasserin die spezielle Situation Plauens in den 1930er Jahren hervorhebt. Dazu zählte auf wirtschaftlichem Gebiet die Abhängigkeit von der Textilindustrie, die sich in einer schweren Dauerkrise befand und in deren Folge sich tiefe soziale Verwerfungen auftaten und die Bevölkerung sich politisch radikalisierte. Diese Bedingungen trugen dazu bei, dass die Durchsetzung der lokalen NS-Herrschaft rasch und widerstandslos erfolgen konnte. Die im dritten Kapitel beschriebenen Bedingungen und Strukturen des „Ausländereinsatzes“ im Zweiten Weltkrieg stellten sich bis auf wenige Ausnahmen (z. B. ein ausgewogeneres Geschlechterverhältnis) ähnlich dar wie im Reich insgesamt, sodass hier keine wirklich neuen Erkenntnisse zu konstatieren sind.
Den Kern der Arbeit macht das umfangreiche vierte Kapitel aus, in dem die Verfasserin ihre Forschungsergebnisse auf breiter Quellenbasis darlegt. Der Arbeitseinsatz erfolgte schwerpunktmäßig in der Textilindustrie, der Landwirtschaft sowie der Vogtländischen Maschinenfabrik (VOMAG) als dem größten Industriebetrieb der Stadt, der nach 1933 zu einem Rüstungsunternehmen aus- und umgebaut wurde. Im September 1944 waren knapp 13 000 ausländische Zivilarbeiter*innen, hauptsächlich aus Polen und der Sowjetunion, beschäftigt, darüber hinaus mehrere Tausend Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge. Katherine Lukat untersucht ein breites Spektrum an Lebens- und Arbeitsbedingungen, von der Art und Schwere der Arbeit, der Arbeitszeit und dem Arbeitsschutz über die Höhe der Entlohnung, die Nahrungsmittelversorgung, die Unterbringung und hygienische Standards bis hin zu den Kontakten zur einheimischen Bevölkerung sowie zu Bewachung und Bestrafung bei Vergehen. Wie für zahlreiche andere Orte der Zwangsarbeit auch ist für Plauen zu konstatieren, dass eine große Bandbreite an Verhaltensweisen die alltägliche Lebenswelt der Zwangsarbeiter*innen bestimmte, von der „friedlichen Koexistenz“ bis zur brutalen Ausbeutung. Dennoch hinterließ in allen Details der Unrechtsstaat seine Handschrift, wobei je eigene Bedingungen für zivile Arbeitskräfte, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge existierten.
Das Fazit der Arbeit fällt sehr knapp und zurückhaltend aus – die Verfasserin scheut sich vor allzu weitreichenden Schlussfolgerungen und beschränkt sich auf eine knappe Zusammenführung der wichtigsten Erkenntnisse. So bleibt das Bild der spezifischen lokalen Bedingungen merkwürdig unkonturiert – Lukat begnügt sich mit dem Hinweis, die Lebens- und Arbeitsbedingungen in Plauen seien „durchschnittlich schlecht gewesen“ (429). Angesichts der Gemengelage von politischen Direktiven, ökonomischen Zwangsmaßnahmen und kriegswirtschaftlichen Initiativen waren die Arbeitskräfte oft Willkürmaßnahmen unterworfen, die in der Extremsituation des Krieges zur weiteren Verunsicherung im Alltag fern des Herkunftslandes beitrugen. Diese Situation auch aus Sicht der Betroffenen näher zu beleuchten, wäre eine instruktive Erweiterung der Studie gewesen. Lukat hat neben schriftlichen Quellen auch vier Zeitzeug*inneninterviews herangezogen, bemerkt jedoch kritisch, dass diese „stets subjektiv gefärbte Nacherzählungen der eigenen Erfahrungen sind“ (42). Angesichts des hier klar artikulierten Misstrauens nutzt die Verfasserin die Interviews dann auch kaum in ihrer Arbeit, sodass sich die Frage stellt, was ihr Mehrwert sein soll. Eine Sensibilität für eine volkskundlich-ethnologische Perspektive hätte hier tiefergehende Einsichten eröffnet.
Trotz dieser Kritikpunkte ist das Buch eine Bereicherung für das Forschungsfeld zur Zwangsarbeit. Die Fülle der ausgewerteten schriftlichen Quellen und ihre akribische Auswertung sind beeindruckend und geben ein differenziertes und detailliertes Bild der Situation in Plauen, einer Stadt, die im Gesamtbild der Kriegswirtschaft von untergeordneter Bedeutung war. Mit ihrem sozialgeschichtlich informierten Forschungsansatz führt die Verfasserin zu Erkenntnissen, die für die Bewertung der Zwangsarbeit im Nationalsozialismus auf lokaler Ebene wertvoll sind. Es ist zu hoffen, dass hiervon Impulse für weitere Studien ausgehen.