Aktuelle Rezensionen
Guido Fackler/Brigitte Heck (Hg.)
Identitätsfabrik reloaded?! Museen als Resonanzräume kultureller Vielfalt und pluraler Lebensstile. Beiträge der 21. Arbeitstagung der dgv-Kommission „Sachkulturforschung und Museum“ vom 22. bis 24. Mai 2014 im Badischen Landesmuseum Karlsruhe
(Europäische Ethnologie 10; Würzburger museumswissenschaftliche Studien 1), Berlin 2019, LIT, 210 Seiten mit Abbildungen, ISBN 978-3-643-12911-6
Rezensiert von Esther Gajek
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 27.08.2021
Sammeln, Bewahren, Vermitteln, Erforschen – diese vier Grundaufgaben musealer Arbeit werden in der Museumswelt aktuell viel diskutiert und um weitere Aufgaben ergänzt. Der vorliegende Band, der den Großteil der Referate der 21. Arbeitstagung der dgv-Kommission „Sachkulturforschung und Museum“ vereinigt, spiegelt Aspekte dieser Diskussion schon im Titel wider: Sind Museen nicht auch Orte, die Identität diskutieren, Diversität ermöglichen sowie ein Abbild von pluralen Gesellschaften zeichnen?
Guido Fackler, Professor für Museologie an der Universität Würzburg, und Brigitte Heck, Leiterin des Referates Volkskunde am Badischen Landesmuseum Karlsruhe, hatten die dgv-Kommission 2014 eingeladen, das Thema der Identitätsarbeit an Museen wieder breit zu diskutieren, nachdem es bereits 1990 durch Gottfried Korff und Martin Roth aufgebracht worden war. Das Thema der „Identitätsfabrik Museum“, verstanden als Ort, an dem Identität geschaffen, vor allem aber reflektiert wird, trifft im Zuge aktueller Debatten um Migration, Postkolonialismus, Deutungshoheiten, Diversität und Provenienz einen Nerv der Zeit. Museen öffnen sich immer mehr der Zeitgeschichte, agieren mit den Besucher*innen zusammen und wirken integrativ; sie entwickeln sich vom „Bildungsort“ hin zu einem „Kommunikationsort“ (16).
Aus der Vielzahl der Beiträge und deren Inhalte seien stellvertretend die folgenden hervorgehoben: Thomas Thiemeyer, Universität Tübingen, behandelt einführend das museale „Identitäts- und Wissensparadigma“. Er zeigt auf, wie Museen von Beginn an der Selbstdarstellung dienten und Identität stifteten und plädiert im Gegensatz zur „Identitätsfabrik Museum“ dafür, das „erkenntnisstiftende Potenzial“ (18), das Epistemische, wieder neu in den Blick zu nehmen: „Das Museum kann als Medium eigenen Rechtes Wissen nicht nur vermitteln, sondern es auch erzeugen [...]. Es offeriert einzigartige Erfahrungen, die nur hier entstehen können, etwa durch den visuellen Vergleich von Dingen.“ (26 f.) Diese Methode, „die sich nicht von einem von außen herangetragenen Erkenntnis- oder Forschungsziel leiten lässt, sondern ihr Ziel aus der Logik der Bestände […] entwickelt“ (31), gelte es (wieder) stark zu machen.
Im Kapitel „Partizipation – Wundermittel gegen museale Identitätskrisen“ diskutiert die österreichische Museologin Regina Wonisch einleitend das Konzept der Partizipation in der Museumsarbeit grundlegend zwischen „Vereinnahmung und Empowerment“ (61). Am Beispiel von Migrationsausstellungen stellt sie dar, welche Implikationen mit der jeweiligen Haltung der Museen verbunden sind, Beteiligte als Zulieferer von Objekten und Geschichten zu verstehen oder als Beiträger*innen für ganz neue Perspektiven. Ist Museum Bildungsinstitution oder „Kommunikationsplattform“ (66), und was würde dies für das Museum und dessen Team und Ressourcen ganz grundsätzlich bedeuten? Geht es darum, das Spiel Partizipation mit zu spielen, oder – mit Nora Sternfeld – auch die Spielregeln mit bestimmen zu lassen? Museen wären dann keine „Aufbewahrungsorte vergangener Lebenswelten“, sondern Häuser der permanenten Aushandlungsprozesse zwischen Fachleuten und Expert*innen sowie „Orte konkurrierender Erinnerungen und Gedächtnispolitiken“ (68 f.) – eine anspruchsvolle und herausfordernde Aufgabe!
Hier knüpfen die beiden Mitarbeiter des Museumsinformationssystems am Bibliotheksservice-Zentrum Baden-Württemberg, Werner Schweibenz und Jens M. Lill, an. Sie machen eine sehr konkrete Form der Partizipation von Museumsinteressierten aus, das Social Tagging, ein offenes System zur Verschlagwortung von musealen Sammlungen. Die beiden Wissenschaftler stellen dar, wie sich einzelne Museen inzwischen des Wissens von Laien bedienen, um Datenbanken mit Suchbegriffen zu bestücken. Hier herrsche ein großes Potential, durch Beteiligung der Benutzer*innen die bestehende Kluft zwischen der fachspezifischen und der Laienterminologie zu verkleinern, auch um Suchanfragen effektiver zu gestalten.
Der Direktor des Museums für Kunst- und Kulturgeschichte Dortmund, Jens Stöcker, und der Leipziger Museologe Markus Walz, fragen grundlegend nach der Metapher der „Identitätsfabrik Museum“, vor allem aber nach deren Akteur*innen, den „Fabrikantinnen [und] Fabrikarbeitern“ (135). Ihren Ausgang bildet die virulente und unklare Diskussion, was das Museum ausmacht, wie sie bei der ICOM oder im Europarat geführt wird; ähnliche Unschärfen habe auch der Terminus „Identitätsfabrik“, „da nicht nur unklar bleibt, ob die Museen Identität spiegeln oder konstruieren sollen, sondern auch strittig ist, was welche Identität ausmacht und wer diese Repräsentationen veranlassen darf“ (137). Am Beispiel des Stadtmuseums in Kaiserslautern zeigen sie aber auch die Konflikte widersprüchlicher Gruppen von Beteiligten sowie der Presse, die jeweils Ansprüche auf Platz im Museum für ihre Objekte einfordern oder gar erwirken. Der Beitrag liest sich als Gegenargument zu Partizipation, weil Einmischungen von Vereinen oder Gruppen, von Einzelpersonen oder der Presse die „fachlich zu begründenden Findungsprozesse“ (143) konterkarierten und viel kostbare Zeit benötigten.
Der inzwischen in München tätige Kulturwissenschaftler Helmut Groschwitz führt das Konzept des Berliner Humboldt-Forums an und verweist auf das Fehlen europäischer Ethnografica. Wie ist ein „Außer-Europa“ zu denken, wenn Europa nicht einbezogen wird, wenn die Wechselwirkungen nicht auftauchen, wenn überhaupt Kultur räumlich geordnet erscheint? „Es gibt keine europäische Kulturgeschichte […] ohne außereuropäische Beziehungen, Kulturkontakte und Kulturaustausch – und umgekehrt“ (160). Eine Ausstellung, so Groschwitz, die „wirklich die Vielfalt der Kulturen der Welt im postkolonialen Sinne“ (166) thematisiere, müsse ein gemeinsames kulturelles Narrativ schaffen.
Ebenso dekonstruierend verfährt die Kulturwissenschaftlerin Sarah Czerney. Sie nimmt sich das Konzept des Musée des Civilisations de l’Europe et de la Méditerranée in Marseille kritisch vor. Dieses sei angetreten, neue, transnationale Narrative zu schaffen und immer wieder Selbstreflexion einzufordern: Was ist eigen, was ist fremd und was soll „Ursprung“ bedeuten? Damit ginge es um zentrale Fragen einer neuen, europäischen und gleichzeitig mediterranen Identität. Das Museum scheitert aber, wie die Autorin überzeugend vorführt, an dem eigenen nationalen, patrimonialen Zugang.
Den Schluss des Bandes bildet ein Beitrag von Peter van Mensch. Der Museologe zeigt am Beispiel der Niederlande, das sich – wie in anderen Ländern weltweit auch – durch die großen Migrationsbewegungen Kultur und (nationale) Identität in den letzten Jahrzehnten immer stärker fluid darstelle und nicht mehr im Singular gedacht werden könne. Er zitiert stellvertretend die Selbstaussage eines jungen Mannes aus Berlin: „Und wer bin ich? Meine Eltern kommen aus Bosnien, ich bin in Österreich geboren, lebe in Berlin. […] Ich fühle mich weder mit Bosnien noch Deutschland oder Österreich verbunden.“ (203) Wenn Museen Resonanzräume des gesellschaftlichen Wandels seien, wie sollten dann diese Identitäten verhandelt werden? Van Mensch schlägt hier das Konzept der „crowds“ vor, von offenen Gruppen, die freiwillig und thematisch vereint agieren, zum Beispiel als sogenannte „heritage communities“.
Dem von Guido Fackler und Brigitte Heck herausgegebenen Band, der mit einer gelungenen Einleitung zur Entwicklung von Museumsdiskursen und Konzepten in den letzten fünfzig Jahren beginnt, gelingt es, das Konzept der „Identitätsfabrik Museum“ wieder in den Fokus zu nehmen. Die einzelnen Beiträge überzeugen immer dann, wenn sie aus einer Außenperspektive geschrieben wurden oder diese zulassen. Im Wiederholen der jeweiligen Sonder- oder Dauerausstellungskonzepte durch die dafür zuständigen Macher*innen liegt – bei dem Bedarf nach grundsätzlich geführten Diskussionen und Stellungnahmen – leider oft kein größerer Erkenntnisgewinn.