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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Sarah Czerney

Zwischen Nation und Europa. Nationalmuseen als Europamedien

(Medien und kulturelle Erinnerung 1), Berlin/Boston 2019, De Gruyter, XII, 383 Seiten mit 31 Abbildungen, ISBN 978-3-11-054850-1


Rezensiert von Daniel Habit
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 20.08.2021

Die Dissertation von Sarah Czerney bildet den Auftaktband einer neuen Reihe zum Thema „Medien und kulturelle Erinnerung“, die sich der kulturwissenschaftlichen Gedächtnisforschung verschrieben hat und von Astrid Erll und Ansgar Nünning herausgegeben wird. Die hier vorliegende Arbeit widmet sich dem Europabild beziehungsweise der Produktion verschiedener Europabezüge in drei unterschiedlichen Institutionen: dem Deutschen Historischen Museum in Berlin (DHM), dem Musée des Civilisations de lʼEurope et de la Méditerranée (MuCEM) in Marseille und dem Europäischen Solidarność Zentrum in Danzig (ECS), die Czerney als „europäisierte Nationalmuseen“ und „historiographische Medien“ versteht. Die theoretische Verortung der Arbeit erfolgt demnach im weiten Feld der Museumsforschung – die es aber in dieser Form nicht gibt, zu verschieden sind die diversen Ansätze hinsichtlich ihres begrifflichen Instrumentariums (Kultur, Identität, Erinnerung). Hier versucht die Autorin ihren eigenen Weg zu finden, was ihr im Großen und Ganzen auch gelingt. Nach einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Spannungsfeld Nation und Museum fragt sie dann nach der Europäisierung von Museen und dem Konzept einer europäischen Identität um daran anschließend ihr methodisches Vorgehen zu erläutern. Ähnlich wie im Theorieteil finden sich hier Anleihen unterschiedlicher Strömungen und Fachdisziplinen, die vielleicht auch aus den verschiedenen Entstehungskontexten der Arbeit zu verstehen sind, die die Autorin in ihrem Vorwort auflistet. Hier finden sich dann Diskursanalyse, mediale Historiografie, Museumsanalyse, Close Reading und schließlich auch Feldforschung und feministische „Standpoint Theory“ – ein vielversprechendes Programm, das die Arbeit in seiner Heterogenität jedoch etwas überfrachtet. Die darauf folgenden drei Kapitel über die einzelnen Museen skizzieren jeweils deren Entstehungszusammenhang und inhaltliche Ausrichtung und gehen dann auf konkrete Ausstellungsräume, Objekte, Gestaltungen, sprich die von der Autorin als „Europamedien“ verstandenen Exponate ein. Die von Czerney konstatierten Beobachtungen bleiben dabei allerdings leider etwas deskriptiv – und die Frage, warum eben diese Exponate ausgewählt und kuratorisch als Europamedien in den Häusern fungieren, bleibt auf eine seltsame Art und Weise unbeantwortet. Zwar erwähnt die Autorin im Zuge ihrer Auseinandersetzung mit diskursanalytischen Ansätzen, dass es ihr nicht darum geht, warum etwas geäußert wird sondern wie es geäußert wird, aber dieser Ansatz greift letztlich etwas zu kurz und verspielt eben diese interessante Karte (die sie im Übrigen an verschiedenen Stellen trotzdem immer wieder spielt). Denn so bleibt es oftmals bei der deskriptiven Ebene, beispielsweise dass Landkarten Machteinschreibungen dokumentieren. Das ist in all seiner Bedeutsamkeit fast schon wieder banal und bekannt, aber gerade die Frage nach der Auswahl bestimmter Karten in bestimmten Ausstellungsräumen hätte hier weiterführendes Potenzial gehabt.
Letztlich enden die drei Kapitel über die einzelnen Häuser sehr abrupt und die Leser*innen stellen sich auf ein abschließendes, zusammenführendes Kapitel ein. Doch dieses kommt leider nicht. Die durchaus gut aufbereiteten einzelnen Untersuchungen finden keine wirkliche Zusammenführung, und auch wenn sich die Autorin in ihren umfangreichen einleitenden Worten gegen einen Vergleich ausspricht, bleibt letztlich eine Leerstelle zurück. Eine Verortung der Häuser in einer sich europäisierenden Museumslandschaft sowie eine kulturwissenschaftliche Einordnung der Objekte, die über eine deskriptiv-interpretierende Ebene hinausgeht und nach der kulturpolitischen Funktion fragt, fehlen zum Ende der Arbeit. Auch tauchen die zahlreichen in der ersten Hälfte genannten Theorien aus der Gedächtnis-, Erinnerungs- und Museumsforschung im weiteren Verlauf der Arbeit leider nur noch bedingt auf. Auch die in einem lesenswerten Einführungskapitel umfangreich eingeführte Standpoint Theory bildet (wie so oft) kein wirkliches analytisches Tool (womit die Autorin allerdings nicht alleine ist: Das mantraartige Einfordern von Selbstreflexion etc. findet sich zwar permanent, muss aber oftmals aufgrund Zeitdrucks und fehlender selbstreflexiver Kompetenzen unerfüllt bleiben. Wenn die Ethnologien dieses Thema wirklich ernst nehmen würden, bräuchte es auch entsprechende universitäre Angebote).
Ein weiteres Manko von Czerneys Monografie stellen bedauerlicherweise die Abbildungen dar. So spannend sie im Kontext einer Arbeit über Museen wären (nicht zuletzt da die Autorin explizit Bezug auf sie nimmt), so miserabel ist ihre Qualität hinsichtlich Belichtung, Kontrast und Schärfe. Gerade einer Reihe, die sich den Medien der kulturellen Erinnerung verschrieben hat, würde eine größere verlegerische Sorgfalt in diesem Bereich gut zu Gesicht stehen. Somit bleibt ein seltsamer Eindruck zurück, so verheißungsvoll das inhaltliche und methodologische Konzept der Arbeit, so profund und gut lesbar die Auseinandersetzung mit den drei Museen, so ernüchternd der finale Eindruck durch das Fehlen einer analytischen Einordnung. Letztlich aber doch passend zu einem immer noch beziehungsweise mehr denn je im Werden begriffenen Europa, zu dessen Gründungsmythos letztlich auch immer die Suche und Umkreisung seiner Selbst gehört.