Logo der Bayerischen Akademie der Wissenschaften

Kommission für bayerische Landesgeschichte

Menu

Aktuelle Rezensionen


Fabienne Braukmann/Michaela Haug/Katja Metzmacher/Rosalie Stolz (Eds.)

Being a Parent in the Field. Implications and Challenges of Accompanied Fieldwork

Bielefeld 2020, transcript, 294 Seiten mit Abbildungen, ISBN 978-3-8376-4831-7


Rezensiert von Alexandra Hammer
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 20.08.2021

Der von Fabienne Braukmann, Michaela Haug, Katja Metzmacher und Rosalie Stolz in englischer Sprache herausgegebene Band geht auf einen Workshop über „Feldforschung und Familie. Herausforderungen und Implikationen des Elternseins im Feld“ im Sommer 2018 an der Universität Köln zurück. Der Band diskutiert methodologische, theoretische und ethische Dimensionen begleiteter Feldforschung. Die Ethnograf*innen schreiben dabei explizit immer auch vor dem Hintergrund ihres Eltern- (wie auf andere Arten verwandt ) Seins und machen deutlich, auf welche Weisen familiäre Beziehungen und die An- wie Abwesenheit von Kindern, Partner*innen und anderen Familienmitgliedern ethnografische Wissensgenerierung sowie die Positioniertheit der Forschenden im Feld beeinflussen und wie sie an der Konstruktion seiner Grenzen teilhaben. Die Autor*innen kommen vor allem aus der Ethnologie, in der für eine akademische Karriere langfristige stationäre Feldforschung im Ausland zu den zentralen Qualifikationen gehört, anders als etwa im Vielnamenfach Kulturanthropologie_Empirische Kulturwissenschaft_Europäische Ethnologie_Vergleichende Kulturwissenschaft.
Der Band versammelt zwölf Beiträge von feldforschenden Vätern und Müttern, welche von einer Einleitung und einem Nachwort gerahmt werden. Die Texte gliedern sich in drei Themenblöcke. Auf die Einleitung der Herausgeberinnen folgen zunächst vier Beiträge, die Relationen zwischen begleiteter Feldforschung und Positioniertheit der Forscher*in nachzeichnen („Positionality, Similarity and Difference“); daran knüpfen vier Texte an, die den Einfluss dieser Art der Forschung auf die ethnografische Wissensgenerierung fokussieren („Producing Ethnographic Knowlegde“); die letzten vier Artikel nehmen die Folgen solcher Konstellationen für die Konstituierung von Forschungsfeldern in den Blick („Constructing the Field“). Die Herausgeberinnen verstehen ihre Publikation als Chance, die innerhalb theoretischer wie methodischer Debatten marginalisierte und in Ethnografien selten thematisierte Rolle der familiären Verflechtungen der Forschenden, welche sich in ihre ethnografische Praxis und ihre Felder einschreiben, sichtbar zu machen. Während Reflexionen der eigenen (Forscher*innen-) Identität gängige ethnografische Praxis sind, werden familiäre Konstellationen hier (noch) häufig ausgeklammert und primär innerhalb von Danksagungen sichtbar gemacht. Neben solch theoretisch-methodologischen Überlegungen werfen Braukmann, Haug, Metzmacher und Stolz auch Schlaglichter auf die Logistik begleiteter Feldforschung und ihre Relation zu prekären Arbeitsverhältnissen und Finanzierungsfragen. So wird hier explizit an die Universitäten und Geldgeberinstitutionen appelliert, ihre Finanzierungsstrukturen in Hinblick auf eine Disziplin zu reflektieren, in der insbesondere Forscherinnen immer wieder mit der Schwierigkeit konfrontiert sind, Forschungsaufenthalte und Familienleben zu vereinbaren.
Viel zu wertvoll, um weiterhin marginalisiert zu werden, sind Reflexionen der familiären Bedingungen, unter denen Feldforschung stattfindet – diese Überzeugung eint die hier versammelten Autor*innen. Sie alle machen sich genau diese fruchtbare Reflexion zur Aufgabe und zeigen so vielfältige Weisen auf, in denen dies geschehen kann. Im Rahmen der vorliegenden Rezension müssen Schlaglichter auf drei Aufsätze genügen: Corinna A. Di Stefano analysiert in ihrem Beitrag über „Unexpected Resonances“, „how pregnancy shaped what we […] use to call ,the fieldʻ, as well as its relationships to , homeʻ, in their tangled, interwoven existences“ (62). Gegenstand ihres PhD-Projektes sind Grenzpraktiken und (Im-)Mobilität auf den Kleinen Antillen, wohin sie im Rahmen ihrer Forschung mehrmals reiste. Dicht an ihrem ethnografischen Material zeichnet Di Stefano nach, wie ihre Schwangerschaft mit zunehmender Sichtbarkeit dazu führte, dass ihre (Forscherinnen-)Person eine soziale Neu-Positionierung erfuhr. Einerseits machte sie die Erfahrung, dass „my pregnant belly functioned as a projection surface for my social contexts and roles and helped my counterparts relate to me and make sense of me“ (74), andererseits hatte dieser Bauch auch zur Folge, dass ihre Interviewpartner*innen mitunter lieber über ihn als über die Forschungsfragen sprachen. Feldinterne Reaktionen auf ihren zunehmend sichtbar schwangeren Körper reflektiert Di Stefano auch vor dem Hintergrund einer immer noch wirkmächtigen Vorstellung von Ethnografie als einsamer, maskuliner und entkörperter Praxis – in den methodologischen Reflexionen von Embodiment wird Schwangerschaft kaum thematisiert. Dabei macht die Autorin überzeugend deutlich, wie wertvoll eine solche Reflexion sein kann, da eine schwangere Feldforscherin mit dem Babybauch einen zentralen Teil des eigenen Privatlebens mit sich herumträgt, „that immediately and inevitable  barges in the research process, breaking down all of these supposed dichotomies“ (75).
Von gleich mehreren Familienangehörigen wurde Anne Turin bei ihrer Forschung zu einem Infrastruktur-Projekt in Südafrika begleitet. „We Will Go on Vacation, while You Work“, so der Titel des Beitrags und die Erwartungen ihrer Mutter und Tante, die Turins Partner in der Betreuung der kleinen Tochter ablösten. Dieses Arrangement gestaltete sich nicht nur aufgrund der infrastrukturellen Bedingungen und der dadurch eingeschränkten Mobilität als Herausforderung für alle Beteiligten. Zugleich eröffnete es der Forscherin jedoch wertvolle Einblicke in und Perspektiven auf ihr Feld, die ihr ohne ihre erweiterte Familie wohl entgangen wären: „Without my daughter, the playgrounds would not have caught our attention and so I would have missed the racially segregated usage of these places. […] It was my mother’s and aunt’s sense of being caught in the place, […] that made me aware of the necessity of being mobile.“ (179)
Um Implikationen des Status als „anthropologist couple“ (260) geht es im Beitrag von Felix Girke, der zusammen mit seiner Frau – begleitet vom gemeinsamen Sohn – in Yangon, Myanmar, forschte, ohne dass sich ihre Themen überschnitten. In der Reflexion ihres „Shared Field, Divided Field“ – so auch der Titel des Beitrags – wägt er ab zwischen den Relationen zwischen den Partner*innen und denjenigen zum Sohn, wobei erstere als wenn nicht prägender, dann zumindest als sensibler beschrieben werden als die Anwesenheit des Kindes. Besonders deutlich vermag dieser Beitrag den Konstruktionscharakter „des Feldes“ zu machen, wenn Girke treffend resümiert: „to state that we were in two different fields is no exaggeration […]. This brings out how only the nexus of research design, methodology and social assemblages in a location truly makes a field.“ (275) In der Reflexion der alltags- und forschungspraktischen Folgen des Forschens mit einem zu betreuenden Kind vor der Folie des von Akhil Gupta und James Ferguson vorgeschlagenen Konzepts „location-work“ vermag Girke überzeugend darzulegen, inwiefern der Anspruch einer vollständigen Immersion in das Feld nicht nur eine unrealistische, sondern auch eine unnötige Forderung darstellt.
Die unterschiedlichen Beiträge illustrieren schön und differenziert die mannigfaltigen Arten, in denen begleitete Feldforschung das auf diese Weise generierte Wissen prägt, und zeichnen intime, teils verletzliche Portraits der Realitäten solcher Arrangements. Herausforderungen und Implikationen (nicht nur) des Eltern-Seins im Feld werden in diesem Band anhand eigener Forschungen von Ethnolog*innen auf unterschiedlichen Stufen ihrer Karriere anschaulich dargelegt. Der Sammelband leistet damit einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zu einer bislang marginalisierten Debatte, deren Notwendigkeit und Wert er zugleich eindrücklich aufzeigt. Eine Leerstelle bleibt jedoch: Gerade angesichts umfassender, auch machtkritischer Reflexionen der ethischen Implikationen der Anwesenheit und Eingebundenheit eigener Kinder in ethnografische Forschung wäre an wenigen Stellen eine ähnlich kritische Reflexion der Sensibilität von Forschung mit Kindern, die nicht die eigenen sind, insgesamt wünschenswert gewesen.
Der Band widmet sich mit seinem Fokus auf praktizierte Elternschaft Themen, die nicht unabhängig von Gender-Fragen zu denken sind, denn: „balancing a scientific career and family remains a major challenge and still presents a key barrier for female scholars to reaching the upper echelons of faculties and universities“ (14). Und so verwundert es auch nicht, dass lediglich drei der 15 Autor*innen männlich sind. In diesem Kontext erscheint begleitete Feldforschung als eine individuelle Strategie zur Vereinbarung von Familie und Beruf, für die strukturelle Lösungen spärlich sind. Ein zentraler Wert der Publikation liegt darin, die Konzeptualisierung von eigenen Kindern (im Feld) als Störungen infrage zu stellen, welche auf einer konzeptuellen Trennung von privaten (traditionell weiblich konnotierten) und öffentlichen, beruflichen („männlichen“) Sphären gründet. Dem gegenüber steht die Überzeugung, begleitete Feldforschung „provides a treasure of ethnographic insights, of reflections upon fieldwork and on the boundaries of the field“ (11). Und dies gilt auch dann, wenn eine thematische Nähe der eigenen Forschung zu familiären Settings nicht gegeben ist. Tatsächlich – und dies mag kein Zufall sein – argumentieren viele der hier versammelten Autor*innen aus Forschungsprojekten heraus, welche sich Elternschaft, Kindheiten und familiären Beziehungen widmen. Doch gerade jene Beiträge, deren Themen solche Reflexionen auf den ersten Blick weniger nahelegen mögen, illustrieren den Wert einer Einbeziehung dieser Relationen besonders überzeugend.