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Marco Behringer

Green and Clean? Alternative Energiequellen in Science Fiction und Utopie

Baden-Baden 2017, Tectum, 279 Seiten mit 51 Abbildungen, teils farbig, 9 Tabellen, ISBN 978-3-8288-3929-8


Rezensiert von Maximilian Jablonowski
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 20.08.2021

In der Empirischen Kulturwissenschaft sind Science-Fiction und Utopien zwar nie prominent, aber immer mal wieder zum Thema geworden. Ich beschäftige mich schon länger aus persönlicher und professioneller Leidenschaft mit Science-Fiction und hatte mich bei der Rezensionsanfrage gefreut, dass sich wieder einmal jemand aus dem Fach dem Thema widmet. Marco Behringers Dissertation, 2016 vorgelegt an der Universität Würzburg, untersucht alternative Energiequellen und „energetisch-utopische Vorstellungen“ (11) in Science-Fiction und Utopie und fragt danach, ob „die Technikbilder – und die damit einhergehenden Naturbilder – von energetischen Utopien nicht nur ein technokratisches, sondern auch ein ökologisches Fortschrittsbild“ (15) vermitteln. Angesichts der gegenwärtigen Diskussionen um Klimawandel und Energiewende weckt das Thema natürlich Interesse und verspricht Relevanz und Gegenwärtigkeit, wobei das Buch 2017 erschienen ist und somit selbstredend keine Bezüge zur jüngst hergestellten Dringlichkeit der Thematik aufweisen kann.
Besonders gut gefiel mir der schon in der Einleitung formulierte Anspruch, eine explizit „europäisch-ethnologische“ Auseinandersetzung mit Science-Fiction zu verfolgen. Da es in meiner Wahrnehmung noch viel Potential für kulturwissenschaftlich und kulturanthropologisch informierte Auseinandersetzungen mit Science-Fiction gibt, war ich auf die konzeptionelle Umsetzung gespannt. Doch schon auf den ersten Seiten bin ich in meiner Lektüre heftig über das formulierte Fachverständnis ins Stolpern geraten: „Die Europäische Ethnologie versteht sich als empirische Kulturwissenschaft. Deshalb handelt es sich bei dieser Geisteswissenschaft um keine methodologisch innovative oder theorieinnovative Forschungsdisziplin. Als interdisziplinäres Integrationsfach übernimmt sie dennoch Theorien aus benachbarten oder je nach Forschungsgegenstand entsprechend aus relevanten Fächern.“ (14) Es ist doch etwas frustrierend, in einer kulturwissenschaftlichen Dissertation aus dem Jahr 2017 zu lesen, dass unserem Fach so wenig methodologische und theoretische Ambition und Selbstbewusstsein zugesprochen und abverlangt wird. Leider kann die Arbeit ihre Ankündigung, eine spezifisch empirisch-kulturwissenschaftliche Auseinandersetzung mit Science-Fiction vorzuschlagen, deshalb nicht einlösen.
Es ist ja nichts daran auszusetzen, passende oder neue Begriffe und Methoden aus anderen Fächern zu holen, um damit im eigenen Fach Innovationen anzustoßen. So hätte sich Marco Behringer bei der Literaturwissenschaft einen zeitgemäßeren Literaturbegriff abschauen können, der ein komplexeres Verständnis des Verhältnisses zwischen literarischer Repräsentation und Welt ermöglicht hätte. Stattdessen versteht er Literatur und Populärkultur im Sinne klassischer Literatursoziologie als Spiegel der Zeit und fragt danach, „[w]elche weltanschaulichen Bilder [...] Utopie- und Science-Fiction-ur-heber [sic!] in Bezug auf Technik“ (15) vermitteln. Schaut man sich Behringers Verwendung der facheigenen Begrifflichkeiten an, erstaunt es wiederum nicht, warum er das Fach nicht als „theorieinnovativ“ wahrnimmt: Wenn er „Energie-Utopien [...] als reflexive Trivialisierungsformen von technisch-wissenschaftlichen Themen“ versteht, um daraus „Rückschlüsse auf ideologische Vorstellungen und Erwartungshaltungen der Rezipienten in Bezug auf Technik herauszuarbeiten“ (12), so befindet er sich damit schon allein sprachlich und erst recht konzeptionell weit hinter einem aktuellen Verständnis von Populärkultur, die nicht nur Welt abbildet, sondern Welten entwirft. Neuere, das heißt weniger als zwanzig bis dreißig Jahre alte Arbeiten aus dem Fach, zu Populärkultur oder zu weiteren für diese Arbeit relevanten Themen, werden leider nicht berücksichtigt.
Die fehlende Rezeption aktueller Forschungsentwicklungen zeigt sich ebenfalls in der Verwendung von Begriffen. Behringer liest Utopie und Science-Fiction als „symbolische Sinnwelten“, worunter er „hermetische und identitätsstiftende ‚Weltentwürfe‘“ versteht. Warum diese unbedingt „hermetisch“ sein und „in sich abgeschlossene Gesellschaftsordnungen“ enthalten müssen – und was das mit Blick auf Literatur überhaupt heißen soll –, wird nicht näher erläutert. Jedenfalls stünden diese Weltentwürfe „in Bezug zur objektiven, soziokulturellen Wirklichkeit“, interpretierten diese allerdings durch „Deformationen“. Damit meint der Autor „jede narrative Fiktionalisierung der objektiven Wirklichkeit“ (14). Ganz abgesehen davon, wie man im gleichen Absatz einen Begriff aus Roland Berger und Thomas Luckmanns „Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit“ entlehnen und dann eine derart holzschnittartige Trennung zwischen Fiktionalisierung und objektiver Wirklichkeit aufmachen kann: Fiktionalisierungen ohne weitere Erläuterungen als „Deformationen“ zu verstehen, ist begrifflich schlichtweg nicht schlüssig. „Deformationen“ bezeichnen in der Mechanik Formänderungen aufgrund äußerer Krafteinwirkungen – was wäre bei Science-Fiction dann diese äußere Kraft? In der Medizin sind „Deformationen“ wiederum angeborene Fehlgestaltungen eines Organs; heißt das, Fiktionalisierungen sollen grundsätzlich als Fehlgestaltungen der objektiven Wirklichkeit verstanden werden? Diese Begriffswahl ist kaum nachvollziehbar, zumal die Science-Fiction-Theorie seit Jahrzehnten verschiedene Begriffe hervorgebracht und kritisch diskutiert hat, mit denen man das für das Genre konstitutive spekulative Moment zu beschreiben versucht hat. Diese Literatur wird in der Arbeit allerdings nur teilweise zur Kenntnis genommen.
Behringers Quellenauswahl entspricht, bis auf wenige Ausnahmen, dem klassischen Kanon der Science-Fiction und utopischen Literatur. Er analysiert hauptsächlich Science-Fiction-Literatur sowie einige Filme und Comics. Sein Untersuchungszeitraum reicht von 1850 bis 2012, wobei nur eine geringe Zahl seiner Quellen nach 1990 entstanden sind. Zentrales Kriterium seiner Auswahl ist das Motiv der Energieutopien. Doch selbst bei Behringers sehr enger Auslegung des Motivs – es müssen technische Objekte in deutlich erkennbaren Szenarios sein– hätte eine kurze Recherche der in den letzten zwanzig Jahren vieldiskutierten Science-Fiction-Literatur eine deutlich vielfältigere und weniger kanonische Auswahl ermöglicht. Dass der Autor neueste Strömungen, zum Beispiel den thematisch für seine Studie eigentlich hochgradig einschlägigen Solarpunk, nicht zur Kenntnis nimmt, ließe sich noch mit der häufig verzögerten akademischen Wahrnehmung von neuen Trends begründen; Strömungen wie Inner Space, Cyberpunk, Steampunk (der eine Form der Energiegewinnung bereits im Namen trägt!) oder New Weird werden zwar aufgezählt, jedoch explizit ausgeschlossen; die seit einigen Jahren boomende außereuropäische, insbesondere chinesische Science-Fiction wird gar nicht erst erwähnt, obwohl sich gerade da viele Anschlüsse für das Thema des Buches hätten finden lassen. Behringers enge Auswahl des Quellenmaterials ist umso unverständlicher, als die beiden Kapitel, in denen er die (Begriffs-)Geschichte von Utopie und Science Fiction klärt, ihren Gegenstand immerhin etwas breiter und dynamischer darstellen als er sich letztlich in der Quellenauswahl zeigt (z. B. werden andere Genres und einige Werke von Autorinnen immerhin kurz erwähnt).
Der Grund für die eingeschränkte Quellenauswahl liegt in der konzeptionellen und methodologischen Enge der Arbeit. Methodisch orientiert sich der Autor an der von Philipp Mayring entwickelten kategoriengeleiteten Inhaltsanalyse. Die Kategorien seiner Analyse entwickelt er, um „objektivierte Messeinheiten“ (21) zu erhalten, in Auseinandersetzung mit der Technikforschung. Dabei bezieht er die gesamte englischsprachige Theoriearbeit der Science & Technology Studies nicht in seine Überlegungen mit ein; die deutschsprachige kulturwissenschaftliche Technikforschung wird bis etwa Anfang der 2000er Jahre berücksichtigt. Was er über kulturwissenschaftliche Technikforschung schreibt, ist alles nicht falsch und teilweise auch gut aufbereitet, entspricht aber nicht annähernd dem, mit dem sich das Fach in den letzten zwanzig Jahren beschäftigt hat. Kritisieren muss man leider auch die oftmals fehlende beziehungsweise mangelhafte Kontextualisierung der Sekundärliteratur, wodurch nicht immer nachvollziehbare Bezüge entstehen: So wird das „gegenwärtig[e] Selbstbild der Science-Fiction-Autoren“ (74; Hervorhebung M.J.) mit einer Quelle von 1995 gestützt; um den öffentlichen Diskurs zur Science-Fiction in Deutschland zu illustrieren, verwendet er ausschließlich Quellen aus den Jahren 1986 bis 1992 und verlängert diese Rezeptionshaltung unkommentiert in die Gegenwart; er konstatiert eine Forschungslücke in der kulturwissenschaftlichen Technikforschung auf der Grundlage des Forschungsstandes einer Publikation von 1998. An diesen Stellen und vielen weiteren zeigt sich der gravierende Mangel der Arbeit in der Aufarbeitung neuerer Forschungsliteratur.
In der eigentlichen Inhaltsanalyse geht Behringer sein Quellenmaterial chronologisch durch und gliedert es entlang klassischer technikhistorischer Periodisierungen in vier Kapitel: „1863–1905: Hochindustrialisierung“, „1905–1945: Rationalisierung und Massenproduktion“, „1945–1972: Wirtschaftswunder und Atomindustrie“ und „1972–2012: Grenzen des Wachstums“. Die vier Analysekapitel sind immer gleich aufgebaut: Behringer skizziert erst den technikhistorischen Stand der jeweiligen Epoche und geht dann einzeln die Werke verschiedener Autoren, Zeichner und Regisseure der Periode durch (Werke von Frauen kommen in seiner Analyse nicht vor). Die Besprechungen der Quellen liefern keine detaillierten Textanalysen, sondern bleiben sehr deskriptiv bei Schilderungen der dargestellten Technologien zur Energieerzeugung, können aber, insbesondere an den wenigen Stellen, wo Behringer die ausgetretenen Pfade des klassischen Science-Fiction-Kanons verlässt, durchaus interessant sein. Zum Schluss der Kapitel wird den einzelnen Autoren und Werken ein seinem Kategorienschema entsprechendes Technik- und Naturbild zugeordnet.
Im Schlusswort will Marco Behringer dann schauen, ob das Motiv Energieutopien eher „Träger“ technokratischer oder ökologischer Weltbilder ist (243). Da er (wenig überraschend) feststellt, dass die rein quantitative Zuordnung kein eindeutiges Bild ergibt, macht er sich an eine „zusammenführende, systematische Auswertung des vorliegenden Datenmaterials, losgelöst von schematischen Schubladen, jedoch systematisch ausgeführt durch eine komparatistische Herangehensweise und die thematische Fokussierung auf reizvolle Aspekte“ (248). Doch anders als angekündigt werden einzelne Werke dennoch verschiedenen theoretischen Modellen zugeordnet, zum Beispiel um die Technikakzeptanz der Autoren (!) zu ermitteln oder die Validität der Modelle zu prüfen; es werden Technikbilder psychosozialen Haltungen zugeordnet, um den Autoren bestimmte Ängste und Wünsche zu attestieren; es werden „Leitfossilien“, „Deformationen“ und alle möglichen weiteren Motive zugeordnet, verglichen, wieder etwas anderem zugeordnet und schließlich wird auch noch ein Kulturvergleich angestellt. Das Ganze übrigens für die Erkenntnis, dass „der historische Wandel im öffentlichen Technikdiskurs auch in den Technik- und Naturbildern der ausgewählten Unterhaltungsmedien gespiegelt wird“ (262).
Die Analyse leidet daran, dass die verwendeten Quellen einzig dem Zweck dienen, sie einer der vorab erstellten Kategorien zuzuordnen. Weil Behringer sein Kategoriensystem auf der Basis eines veralteten Forschungsstandes entwirft, der auf der Grundlage des klassischen Kanons der Science-Fiction und klassischer Fragen der Technikforschung entwickelt wurde, bieten sich auch nur eben diese klassischen Werke in seinem konzeptionellen und methodologischen Gerüst als naheliegende Untersuchungsgegenstände an. Die Dynamik und Diversität sowohl des Themas als auch des Forschungsfelds gehen in der begrifflichen und methodischen Enge komplett verloren. Hier wären neuere Konzepte aus den Science & Technology Studies und den Science Fiction Studies sowie aktuelle Diskurse der Energiegeschichte absolut notwendig gewesen. Auf einer solchen konzeptionellen Grundlage hätte man sich Aspekten des Themas zuwenden können, die sich nicht in der literarischen Darstellung von fiktiven Kraftwerkstypen und den vermeintlichen Haltungen der Autoren dazu erschöpfen: etwa postkoloniale Verhältnisse und Fragen von Energiegerechtigkeit, Extraktivismus und fossiler Kapitalismus, der Diskurs um Anthropozän und Technosphäre, um nur einige Aspekte zu nennen, die alle auch seit Jahren in der Science-Fiction verhandelt werden. Aufgrund der genannten Schwächen kann ich die Monografie leider nicht empfehlen.