Aktuelle Rezensionen
Christiane Funkel (Hg.)
Das Questenfest – Forschung und Festkultur. Tagung vom 11.–13. Oktober 2019 in Questenberg und Roßla
(Schriftenreihe des Biosphärenreservats Karstlandschaft Südharz, 2/2020), Südharz 2020, Biosphärenreservat Karstlandschaft Südharz, 235 Seiten mit Abbildungen, 1 DVD (Sophie Rohland: Das Questenfest, 2019), ISSN 2512-9910
Rezensiert von Ines Keller
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 20.08.2021
Der Band vereint Beiträge der im Oktober 2019 abgehaltenen Tagung „Das Questenfest – Forschung und Festkultur“, organisiert vom Questenverein e.V., dem Landesheimatbund Sachsen-Anhalt e.V., dem Heimat- und Geschichtsverein „Goldene Aue“ e.V., der Kreisverwaltung Mansfeld-Südharz, der Gemeinde Südharz und der Verwaltung des Biosphärenreservats Karstlandschaft Südharz. Bereits diese Aufzählung der Organisator*innen lässt erkennen, dass es sich um eine Publikation handelt, die sich an einen weiten Rezipient*innen- und Interessent*innenkreis wenden möchte. Aus den Grußworten der Landrätin des Landkreises Mansfeld-Südharz erfahren die Leser*innen, dass sich der Questenverein Questenberg e.V. bereits mehrfach um Aufnahme dieses Brauchs in das Bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes beworben hat und das 2017 auf Initiative des Biosphärenreservats eine temporäre Arbeitsgruppe gebildet wurde, um die „Forschung zu diesem in Deutschland einmaligen Fest“ (6) anzuregen, als dessen Ergebnis vorliegende Publikation schließlich entstanden ist.
In ihrem Vorwort weist Christiane Funkel, Leiterin des Biosphärenreservats Karstlandschaft Südharz, auf die regionale Bedeutung des jährlich zu Pfingsten stattfindenden Questenfests hin. Seit 1991 existiert ein nach dem Fest benannter Verein, dem sowohl Männer als auch Frauen angehören. 2012 wurde er mit dem Kulturpreis des Regionalverbands Harz ausgezeichnet. Mehrere Bewerbungen um Aufnahme ins Bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes blieben bisher jedoch erfolglos. In einem weiteren Grußwort von Nicole Bloßfeld, Vorstandsmitglied des Questenvereins Questenberg e.V., findet sich dazu: „Zweimal erhielten wir gar keine Antwort und im Frühjahr diesen Jahres erfolgte die Ablehnung des letzten Antrags. Die aufgeführten Gründe sind an den Haaren herbeigezogen und spiegeln nicht die Realität wider. Wir werden den Antrag ein weiteres Mal stellen.“ (9) Die Tagung sollte „Hintergründe, Fakten und inhaltliche Aspekte“ (4) rund um das Questenfest beleuchten. Und Leser*innen machen solche Aussagen zusätzlich auf den Inhalt neugierig.
Den eigentlichen Tagungsbeiträgen ist eine ausführliche und reich bebilderte Beschreibung des Questenfestes 2019 von Heinz Noack vom Heimat- und Geschichtsverein „Goldene Aue“ vorangestellt. Der von den Vereinsmitgliedern begangene Brauch zeichnet sich dadurch aus, dass auf einem Berg nahe der Ortschaft Questenberg ein hoher entrindeter Eichenstamm (Queste) steht. An einer Astgabel hängt ein Kranz aus Birkenreisig, der Questenkranz. Zu Pfingsten wird die Queste mit frischem Birkengrün geschmückt. Umrahmt wird diese Handlung unter anderem von feierlichen Vorbereitungen, von Musik, einem Frühschoppen und einem Festgottesdienst. Der Brauch erfreut sich offensichtlich großer Beliebtheit und erlebt einen großen Zuschauerzuspruch. Eine sehr gute Einbindung des Questenfests in den Kontext brauchgeschichtlicher Entwicklung liefert Irene Ziehe (Berlin) mit ihrem einführenden Beitrag zur Romantisierung ländlicher Kultur. Ausgehend von Begriffsklärungen zu Kultur und Romantik zeichnet sie nach, wie das Questenfest exemplarisch für Romantisierung ländlicher Kultur besonders im letzten Drittel des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts verstanden werden kann und welchen Anteil Disziplinen wie Germanistik und Volkskunde daran hatten. Anhand zahlreicher Dokumente lässt sich eine allmähliche Modifizierung des Festes seit 1739 herauslesen. Zunächst findet sich der ausdrückliche Verweis auf die romantische Schönheit der Landschaft sowie des Brauches im Allgemeinen. Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts setzte die Bedeutungszuweisung als früher germanischer Sonnenkult ein, die mit prähistorischen Forschungen der damaligen Zeit korrespondierte. Einer der führenden Vertreter in Mitteldeutschland war Hans Hahne, Direktor der Landesanstalt für Vorgeschichte in Halle/Saale, dem rezente Bräuche als Beweis für kontinuierliches Fortleben „uralter“ germanischer Lebens- und Glaubensvorstellungen bis in die Gegenwart dienten (45). Von einem „dramatisch-romantischen Brauch“ (46) wurde das Questenfest in der Zeit des Nationalsozialismus zu einem „völkisch missbrauchten Fest“ (ebd.), mit Sonnenkult und völkischer Germanenverehrung als idealisierendem Ausdruck von Realitätsverlust. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Fest erstmals 1947 wieder begangen, seither jährlich. Gegenüber jeglichen Formen von Instrumentalisierung nach 1990 wehren sich die Akteur*innen. Es gab Versuche, Einflüsse sogenannten „Sonnenwendbrauchtums“ geltend zu machen, was nicht gelang. Auf die Bewerbungen zum Immateriellen Kulturerbe eingehend, verweist Ziehe abschließend auf zwei Aspekte: (1) die Stärkung der Dorfgemeinschaft, auch im Sinne der Flexibilität von Traditionen als Reaktion auf veränderte gesellschaftliche Strukturen, was das Zulassen von Neuerungen beinhaltet und (2) den Aspekt der komplexen Dramaturgie des Festes.
Heinz Noack erweist sich in seinem Beitrag zu Quellen und Darstellungen zum Questenfest als fachkundiger Kenner. Er hat alle bisher bekannten und zugänglichen Schriften und Bildmaterialien gesammelt und digitalisiert.
Der Beitrag von Christel Köhle-Hezinger (Esslingen/Jena) zur Funktion der Bräuche und ihrer Forschungsgeschichte fokussiert auf das Questenfest unter der Perspektive der historisch-kritischen Brauchforschung, was sie anhand der Faktoren Zeit, Ort und Ritual in dichter Form analysiert. Zudem stellt sie fest, wie bereits Irene Ziehe, dass der Begriff „Brauchtum“ ausgedient hat (66). Umso irritierender erscheinen die beiden unmittelbar folgenden Beiträge aus dem christlich-religiösem Kontext. Bereits im Titel des ersten Beitrags ist von „christlichem Brauchtum in Mitteldeutschland“ (70) die Rede. Thesenartig werden Funktionen von Bräuchen und ihre (Aus-)Wirkungen im Alltag betrachtet. Direkte Bezüge zum Questenfest erschließen sich den Leser*innen dabei leider nicht. Dieser Beitrag wäre eher am Beginn des Bandes als ein Grußwort vorstellbar gewesen. Der zweite Beitrag widmet sich der christlichen Symbolik beim Questenfest. Es werden beispielsweise umfassend Symbole wie Sonne, Lebensbaum und Sonnenrad in ihrer Bedeutung für das Fest erläutert. Pfarrerin Eva Kania stützt sich dabei maßgeblich auf die Schrift von Ernst Kiehl (1995), der Rolf W. Brednich in seiner Rezension in „Sachsen-Anhalt. Journal für Natur- und Heimatfreunde“ (Jg. 8, 1998) bescheinigt hatte, „den Anschluss an die zeitgenössische Brauchforschung nicht gefunden“ zu haben. Deren Kenntnis hätte sicher einige Aussagen in ihrer Grundsätzlichkeit relativiert. So ist zumindest auffällig, dass Kontextualisierungen und historisch-kritische Reflexionen von Bräuchen nichts von ihrer Aktualität und Wichtigkeit eingebüßt haben.
Die genannte Rezension von Brednich war auch für Kathrin Pöge-Alder vom Landesheimatbund Sachsen-Anhalt der Ausgangspunkt, sich aus erzählforscherischer Perspektive näher mit Inhalten und Tradierungen der Sagen im Questenfest zu beschäftigen. Die „Questensage“ zählt zu den ätiologischen Sagen (90). In ihnen erfahren wir, warum eine Naturerscheinung existiert oder wie es zu einem bestimmten Ereignis kam. In vorliegendem Falle ist es die Suche nach einem vermissten Kind. Historisch lässt sich ein erster Sagenbeleg bei Pfarrer Johann Conrad Kranoldt (1682–1779) finden, der in seiner Chronik festhielt, dass es einen höheren Berg gebe, auf dem ein Baum stehe, der Queste genannt werde. Dieser werde zu Pfingsten von jungen Leuten geschmückt. Dazu gebe es von der Obrigkeit jährlich einen Baum. In der Gabe des Baumes, das heißt in der Stiftung von Holz, vermutet Pöge-Alder „den Vorgang des Übergangs von Allmende zu gräflichem Eigentum“ (97). Vermutlich wurde ehemals gemeinschaftlich genutztes Gebiet später vom Grundherrn übernommen. Letztlich sei die Sage eine Form, die Erinnerung an den Ort der Queste zu binden, womit die Autorin nochmals auf die Kontextualisierung verweist.
Die nachfolgenden Beiträge erweitern noch einmal das Blick- und Themenfeld zum Questenfest, indem sie auf archäologische, naturkundliche und sprachwissenschaftliche Bezüge fokussieren. Peter Ettel (Jena) kontextualisiert die Wallanlage Questenberg in den spätbronze-eisenzeitlichen Burgenbau in Mitteldeutschland. Anhand aktueller Forschungen der Universität Jena zeigt er auf, welches Potenzial für die Erforschung der Queste möglich wäre, gerade im Hinblick auf interdisziplinäre Grabungen. Die Sprachwissenschaftlerin Kristin Loga (Schwanewede) widmet sich der Entstehung des Namens Questenberg aus onomastischer Perspektive und meint, dass der Ortsname höchstwahrscheinlich in mittelniederdeutscher Zeit gebildet wurde und ursprünglich auf den Bergnamen zurückgeht. Olaf Kürbis vom Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt ergänzt den Beitrag von Ettel, indem er die Burgen um Questenberg als archäologische Kulturdenkmale vor- und darstellt. Dieser Text hätte deshalb sehr gut als unmittelbarer Anschluss an Ettel gepasst und den Bogen bis in die Gegenwart und die heutige Nutzung gespannt.
Im letzten Beitrag stellt Christiane Funkel, eine der Hauptinitiator*innen der Tagung, das Biosphärenreservat sowohl in seiner hohen Biodiversitätsdichte als auch in seinen Aktivitäten, Traditionen wie das Questenfest einzubinden, vor. Als Modellregion strebt es eine Anerkennung durch die UNESCO an und damit die Aufnahme der Südharzer Karstlandschaft in das Welterbe der bislang 714 Bioreservate. Eine erfolgreiche Anerkennung und Eintragung des Questenfestes als Immaterielles Kulturerbe im Bundesweiten Verzeichnis wäre sicherlich auf diesem Weg sehr förderlich und dem Anliegen hilfreich.
Als Fazit lässt sich festhalten, dass sich die vorliegende Publikation durch einen multiperspektivischen und interdisziplinären Zugang auszeichnet. Verschiedene Vertreter*innen aus Wissenschaft sowie heimat- und naturkundlicher Praxis bringen ihre Perspektiven zu Questenfest und Questenberg ein. Aus kulturwissenschaftlich-volkskundlicher Sicht kann festgestellt werden, dass die 1998 von Rolf W. Brednich angeregten Zugänge der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Thema berücksichtigt wurden, vor allem was eine kritische Brauchforschung angeht. Hervorhebenswert sind auch die zahlreichen Abbildungen. Für diejenigen, die (noch) keine Vorstellung vom Fest haben, liegt der Publikation eine DVD bei, die das Questenfest 2019 zeigt.
Dennoch gibt es Punkte, die ins Auge fallen. Angeboten hätten sich weitere vergleichende Betrachtungen, beispielsweise zu Pfingstbräuchen oder zu Bräuchen um den Maibaum. Stärker fokussiert hätte die kritische Reflexion zu Versuchen nationalsozialistischer Vereinnahmung und denjenigen nach der politischen Wende 1990 ausfallen können. Sie bleiben weiterhin ein Forschungsdesiderat. Für mehr Stringenz hätte eine kohärentere Strukturierung der Beiträge gesorgt, was sich positiv auf die Beiträge von Peter Ettel und Olaf Kürbis ausgewirkt hätte. Leider findet sich gleich auf der Titelseite des Buchs ein ärgerlicher Schreibfehler. Anstelle „Questenberg“ steht dort „Questerberg“.
Im Band findet sich mehrfach der Hinweis auf die Bewerbungen zur Aufnahme des Questenfestes als kulturelle Ausdrucksform in das Bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes, die bisher erfolglos geblieben sind. Zu diesem hier zentralen Thema hätten sich durchaus Reflexionen angeboten. Es bleibt eine spannende Frage, welchen Beitrag der Band zur Unterstützung der weiteren Bemühungen leisten kann. In jedem Fall ist das Buch eine empfehlenswerte Lektüre für Interessierte. Kathrin Pöge-Alder weist in ihrem Beitrag darauf hin, dass die Jugendlichen, die in den Questenverein eintreten, das Buch von 1995 als Geschenk erhalten. Es wäre wünschenswert, wenn sie diese neue Publikation in Zukunft ebenso erhielten.