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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Andreas Thiesen

Urban Love Stories. Geschichten aus der transformativen Stadt

Münster/New York 2020, Waxmann, 107 Seiten mit zahlreichen, meist farbigen Abbildungen, ISBN 978-3-8309-4222-1


Rezensiert von Burkhart Lauterbach
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 27.09.2021

Andreas Thiesen, der am Fachbereich Sozialwesen der Hochschule RheinMain in Wiesbaden Theorien und Methoden sozialer Arbeit lehrt, hat im Jahr 2016 die Studie „Die transformative Stadt. Reflexive Stadtentwicklung jenseits von Raum und Identität“ vorgelegt, in der er eine Kritik bisheriger, eingefahrener Stadtentwicklungskonzepte sowie das, was er, als Alternative, unter einer transformativen Stadt versteht, präsentiert. Der hier anzuzeigende Band stellt eine Art von Ergänzungspublikation dar, welche die Inhalte der Studie durch eine Vielzahl von Fotografien einschließlich kurzgefasster Kommentare illustriert und darüber hinaus insgesamt fünf, vom Umfang her überschaubare, Texte enthält, die aus Aufsätzen des Autors hervorgegangen sind.
Der Einleitungstext vermittelt, worum es geht: Transformation bezieht sich danach auf Vorgänge „auf allen denkbaren Ebenen“, der Ökonomie, des Sozialen, der Kultur, der Demografie, der Ökologie, der Politik, über welche es heißt: „Alle Ebenen waren nie stärker miteinander verknüpft“ (15), was letztlich, in dieser Form jedenfalls, eher eine Hypothese als eine Tatsachenbeschreibung darstellt.
In diesem Stil geht es dann immer weiter: Der zweite Text beginnt mit dem Statement: „Die Kultur ist wieder zurück und hat sich eingerichtet in der Stadt“; eine Zwischenüberschrift lautet dementsprechend: „Die Wiedergeburt der Kultur in der Stadt“ (34). Man könnte in diesem Zusammenhang die Frage stellen, von welcher Stadt da ganz konkret die Rede ist. Im Anhang werden insgesamt 36 über fast die gesamte Welt verteilte Städte von Alexandroupolis über Buenos Aires und Leipzig bis Zürich sowie 30 einschlägige Kiezviertel genannt, welchen sich die Ausführungen des Autors widmen. Bezieht Thiesen sich auf diese Auswahl? Auch fällt es auf, dass er mit keinem Wort auf jene, von der sich heutzutage als Sozialwissenschaft verstehenden (Stadt-)Geografie herausgearbeiteten (nicht nur) formalen Differenzierung zwischen Landstadt, Kleinstadt, Mittelstadt, Großstadt, Millionenstadt, Weltstadt, Metropole und Megastadt eingeht (vgl. Reinhard Paesler: Stadtgeographie. Darmstadt 2008). Und, überhaupt, was bedeutet denn eigentlich „Kultur“ im gegebenen Kontext?
Im dritten Text findet sich die These: „Wir leben in Städten wegen ihrer Widersprüche, der machtvollen Augenblicke und des Unvorhersehbaren, kurz: ihrer begrenzten Planbarkeit!“ (57) Handelt es sich dabei um das Ergebnis eigener oder angeeigneter Erkenntnis oder haben wir es wiederum mit einer Hypothese zu tun? Vielleicht leben Menschen in „Städten“, weil sie dort Arbeit gefunden haben? Oder weil sie in ihrer Freizeit die Angebote eines Opernhauses oder der Kunstmuseumsszene so oft wie möglich nutzen möchten? Und was soll man mit einer in vergleichbarer Weise verallgemeinernden Aussage aus dem fünften Text anfangen: „Der Stadtteil ist heute die neue Institution“ (76)? War er das nicht schon in den 1970er Jahren?
Gleich wie, die fünf Texte, deren letzter eine Rezension zu Richard Sennetts Studie „Die offene Stadt“ (2018) bringt, neigen insgesamt dazu, ein Konglomerat von Phrasen zu vermitteln. Der Wert des Bandes besteht daher eher in den knapp fünf Dutzend Fotografien, die in wirklich geistreicher Manier kommentiert sind, wobei man sich allerdings fragen mag, warum es sich bei den einzigen Lebewesen, welche auf den Bildern festgehalten sind, um zwei Hunde handelt (25, 89). „Love Stories“ ohne Menschen – wie soll denn das gehen?