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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Aktuelle Rezensionen


Klaus Herbers (Hg.), unter Mitarbeit von Wiebke Deimann/René Hurtienne/Sofia Meyer/Miriam Montag/Lisa Walleit/Tina B. Orth-Müller

Hieronymus Münzer. Itinerarium

(MGH – Reiseberichte des Mittelalters 1), Wiesbaden 2020, Harrassowitz, CCCVIII, 572 Seiten mit 8 Abbildungen, 3 Karten und 5 Tabellen, ISBN 978-3-447-10972-7


Rezensiert von Klaus Graf
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 27.08.2021

Erschüttert von einer globalen Pandemie mit Reiseverboten, blicken wir mit einem gewissen Neid auf vormoderne Verhältnisse, als es noch möglich war, einer Seuche durch Reisen zu entfliehen. Es wäre eine reizvolle Aufgabe, eine Kulturgeschichte des Pestexils zu schreiben. Anfang August 1494 entzog sich der aus Feldkirch gebürtige Nürnberger Arzt und Humanist Dr. med. Hieronymus Münzer (1437 oder 1447 bis 1508), Frau und Tochter in Nürnberg zurücklassend, der Pest, indem er zu einer umfangreichen Westeuropa-Reise aufbrach, die ihn bis in den Süden der iberischen Halbinsel führte. Mitte April 1495 war er wieder zuhause.
Sein lateinischer Reisebericht, bisher nur auszugsweise ediert, liegt nun in einer gediegenen Ausgabe von Klaus Herbers und seinem Team vor. Erfreulich ist, dass die altehrwürdige Monumenta Germaniae Historica den Reiseberichten des Mittelalters, deren auch volkskundliche Relevanz unbestreitbar ist, eine neue Unterreihe widmet. Auch wenn Münzers Latein einfach und daher gut verständlich ist, ist es begrüßenswert, dass Herbers im Tübinger Narr-Verlag parallel eine gut lesbare deutsche Übersetzung publizierte: „Der Reisebericht des Hieronymus Münzer. Ein Nürnberger Arzt auf der ‚Suche nach der Wahrheit‘ in Westeuropa (1494/95)“. Dank eines Benutzerausweises der Bayerischen Staatsbibliothek war sie mir als E-Book zugänglich.
Dem Text vorangestellt ist eine umfangreiche Einleitung, die über Biografie und Werke Münzers, vor allem aber über die Reise (auch im Kontext anderer Reiseberichte) unterrichtet. Etwa die Hälfte der 300 Seiten entfällt allein auf das Quellen- und Literaturverzeichnis. Heute existiert nur noch eine einzige Handschrift: München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 431, geschrieben von dem Nürnberger Freund Hartmann Schedel, online einsehbar unter daten.digitale-sammlungen.de/bsb00015883/image_190.
Zwei Kleinigkeiten seien zu den Angaben der Einleitung über Münzers Werke angemerkt. Bei dem wichtigen Brief Münzers vom 14. Juli 1493 an König Johann II. von Portugal, der im Namen König Maximilians zur Weltumseglung mit dem Ziel, China zu erreichen, aufforderte, hätte die Überlieferung besser dargestellt werden müssen (S. XXXVI, 164 Anm. 18). Der von Hartmann Schedel in einer Inkunabel notierte lateinische Auszug ist online: daten.digitale-sammlungen.de/bsb00068723/image_79. Dies gilt auch für die portugiesische Übersetzung, die nur in zwei wohl um 1516 in Lissabon erschienenen Drucken überliefert ist. Das Exemplar der Stadtbibliothek Évora ist im Netz: purl.pt/27101. Auf Seite XXIX werden medizinische Schriften Münzers genannt. Die Münchner Handschriften Clm 441 und 456 sind online, und die korrekte Bezeichnung der Göttinger Handschrift muss lauten: Göttingen, Staats- und Universitätsbibliothek, 8° Cod. Ms. hist. nat. 42. Leider fehlen die Hinweise auf weitere Überlieferungen, die in dem grundlegenden Beitrag von Randall Herz zu finden sind: „Der Arzt und Frühhumanist Hieronymus Münzer (†1508) aus Feldkirch. Sein Leben und sein Wirken im Nürnberger Humanistenkreis“ (In: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg 105 [2018], S. 99–215).
Der Reisebericht lässt eine Reihe von Interessensgebieten Münzers erkennen. Auch wenn die Aufenthalte an den Höfen der portugiesischen und spanischen Könige in Évora/Lissabon und Madrid die Höhepunkte seiner Reise waren, war Münzer zugleich als Pilger unterwegs. Daher erfährt man viel über die besuchten Kirchen und Klöster und ihre Reliquien. Manchmal gibt er Versinschriften wieder. Eingehend behandelt er das Pilgerzentrum Santiago de Compostela. Seine Aufmerksamkeit gilt ebenfalls den Muslimen (so über ihre Riten und Kleidung, 131‒135). Als Bürger einer Handelsmetropole war der Reisende lebhaft an handelbaren Gütern interessiert. Für die Nahrungsforschung wichtig sind seine Beobachtungen zur spanischen Flora: „De variis fructibus Hispanie“ (70‒73). Von den besuchten Universitäten würdigte der Gelehrte nur Paris ausführlicher. Gelegentlich wiedergegebene Gründungsüberlieferungen sind für die Erzählforschung einschlägig.
Ein detaillierter Sachkommentar, aus meiner Sicht häufig allzu episch ausufernd, lässt kaum Wünsche offen. Es ist nachvollziehbar, dass beispielsweise die Ausführungen zum Handel mit Sklaven (66‒69) umfangreich erläutert werden, aber in vielen Fällen trägt das ausgebreitete Wissen nichts zur Erklärung des Textes bei. Bei Kommentaren sollte man sich an die Maxime halten: so knapp wie möglich, so ausführlich wie nötig. Nicht erklärt werden die „Tulingi“ (416), eine gelehrte Lesefrucht aus Caesars „De bello Gallico“ und im Register als keltischer Stamm bezeichnet. Sie gehören zu den „naciones“, die sich in Münzers Gegenwart des sächsischen Rechts bedienten, können aber mit den Thüringern nicht identisch sein, da diese ebenfalls genannt werden.
Getrennte Register für Personen und Orte erschließen den Text. Ein Auswahlregister der lateinischen Wörter muss das leider fehlende Sachregister ersetzen. Hinzuweisen ist auch auf die Volltextsuche des E-Books der Übersetzung. Fehlerfrei sind die Indices nicht. Eine zweite Erwähnung von Wirtenberg (184) ist ebenso vergessen worden wie Bingen („Bungam“, 421; ebenso wie die weiteren rheinischen Orte der Stelle ohne Erläuterung). Bei Sibylle fehlt im Register die Seitenzahl (226). Bei den Namen der Heiligen (und Ordensstifter) überzeugen die editorischen Entscheidungen nicht. Als Patrozinien werden sie meistens ihren jeweiligen Kirchen zugeordnet (es fehlt aber St. Nikolaus, 436), sind also nicht unter dem Namen der Heiligen auffindbar. Bei Datierungen nach Heiligentagen wird uneinheitlich verfahren (St. Andreas, 175, im Register, Katharina, 166, nicht). Bei St. Franziskus hat das Register der Übersetzung die bessere Lösung.
Bedauerlicherweise gehört das ordnungsgemäße Zitieren von Internetquellen (mit Permalinks, soweit vorhanden) immer noch nicht zur mediävistischen Kernkompetenz, wie der inakzeptable Link (einschließlich IP-Adresse) auf Seite CXIII, Anm. 422, zeigt. Insgesamt überwiegt aber der Dank an die Herausgeber, dass sie einen faszinierenden Text bereitgestellt und durch umfangreiche Kommentierung verständlich gemacht haben.