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Peter Ullein
„Deutsche Triumph-Fahrrad-Werke AG“ in Nürnberg. Sportliche Erfolge von 1903 bis 1910/„Sirius-Fahrrad-Werke G.m.b.H.“ in Nürnberg-Doos. Von 1896 bis 1901
„Deutsche Triumph-Fahrrad-Werke AG“ in Nürnberg (Nürnberger Fahrradgeschichte[n] 10), Nürnberg 2020, Peter Ullein Eigenverlag, 273 Seiten mit zahlreichen Abbildungen, meist farbig/„Sirius-Fahrrad-Werke G.m.b.H.“ in Nürnberg-Doos (Nürnberger Fahrradgeschichte[n] 11), Nürnberg 2020, Peter Ullein Eigenverlag,132 Seiten mit zahlreichen Abbildungen, meist farbig
Rezensiert von Sebastian Herrmann
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 30.08.2021
Mit steigender Zahl seiner Erfolge verwandelte sich Eugen Stabe in einen Werbeträger. Der 1885 geborene Rennfahrer galt in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg als einer der besten deutschen Sprinter auf dem Rad und trat sowohl in Straßen- als auch in Bahnrennen an. Zwischen 1905 und 1925 sammelte er zahlreiche Siege, Erfolge und Trophäen. Unter anderem gewann er mehrere Sechs-Tage-Rennen, wurde deutscher Meister im Sprint und hielt für kurze Zeit sogar den Weltrekord über 1000 Meter ohne Schrittmacher, den er einst in Paris aufstellte.
Mit den Erfolgen wurden auch Radhersteller auf den Sportler Eugen Stabe aufmerksam, die ihm darauf Modelle überließen und mit seinen Erfolgen Werbung machten. Aus heutiger Perspektive erscheint das vollkommen normal und kaum der Rede wert zu sein, damals im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert stellte das hingegen eine neue Form der Verkaufsförderung dar – heute würde man das Marketing nennen. Der Radsport gilt gemeinhin als Geburtshelfer, wenn nicht gar als Vater und Mutter des Profi-Sports: Die Athleten erbrachten übermenschliche Leistungen, Rennveranstalter, Zeitungen und Hersteller von Fahrrädern nutzten den Glanz der Helden, um ihren Produkten eine verkaufsfördernde Aura zu verleihen und erschufen so die Verbindung von Kommerz und Sport.
Eugen Stabe fehlten zwar die ganz großen Siege, um zu einer dauerhaft prägenden Figur seines Sportes zu werden. Zu einer wenigstens überregionalen Größe wurde er dennoch, wie aus den Quellensammlungen des Privathistorikers Peter Ullein aus Nürnberg hervorgeht. So war Eugen Stabe, zumindest was die reine Anzahl seiner Siege betrifft, der erfolgreichste Radrennfahrer im Sattel eines Rades der Deutschen Triumph Fahrradwerke AG in Nürnberg, die ihn für einige Jahre im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts „unter Vertrag“ hatte, wie das heute heißt. Zwischen 1906 und 1910 fuhr er insgesamt 78 Siege auf Triumph-Rädern ein, darunter den in Paris aufgestellten 1000-Meter-Weltrekord.
In der ganz großen Arena vermählte der französische Radsportler und Journalist Henri Desgrange Werbung und Sport endgültig, als er 1903 die Tour de France als gigantisches Reklamespektakel ins Leben rief, die zu großem kommerziellen Erfolg führte. Auf der etwas kleineren Bühne kopierten viele weitere Akteure diese Strategie – so eben auch die Triumph Fahrradwerke in Nürnberg, neben Hercules, Victoria, Mars und The Premier Cycle Co einer der fünf bedeutenden Hersteller in der fränkischen Stadt. Und Triumph setzte voll auf den Sport und auf Sportler als Werbemittel: Im Vergleich zu den vier Konkurrenten war es von 1903 an Alleinstellungsmerkmal der Triumphwerke mit Rennerfolgen in der regionalen und überregionalen Presse zu werben, die auf Triumphrädern eingefahren worden waren.
Diese Form des Marketings erfolgte in Form von Anzeigen, welche die Unternehmensleitung der Triumph-Werke in der Tageszeitung „Fränkischer Kurier“ sowie den Fachpublikationen „Der Rad-Markt“ und „Der Radtourist“ publizierte. Peter Ullein hat nun mehr als 150 dieser Anzeigen gesammelt, editiert und in einem Band in seiner Reihe „Nürnberger Fahrradgeschichte(n)“ veröffentlicht. Auf etwas mehr als 180 Seiten hat der Fahrrad-Historiker, Autor und Verleger – so die Selbstbezeichnung auf seiner Homepage – Nachdrucke dieser Anzeigen versammelt.
Mit Botschaften wie „Erfolge ohne Gleichen“, „Triumph. Veni. Vidi. Vici.“, „Triumph. Überlegener Sieger“ und ähnlich markanten oder sogar markigen Formulierungen hatten die Verantwortlichen in der Unternehmensleitung des Herstellers die Erfolgsmeldungen überschrieben. Etwa 1 300 Siegesmeldungen hat Peter Ullein in seinem Band zusammengetragen – eine beeindruckende Menge, die jedoch auch dadurch zustande gekommen ist, dass Triumph offenbar wirklich jeden, aber auch jeden sportlichen Erfolg als Reklamebotschaft aufbereitete und verkündete: darunter auch Siege bei Juniorenrennen, Seniorenwettbewerben, Langsamfahrten und sogar Erfolge in Vorläufen, die vor dem eigentlichen Hauptrennen ausgetragen wurden.
Vielen Anzeigen sind aus gegenwärtiger Perspektive leider lediglich spärliche Informationen zu entnehmen. Oft wurde darauf verzichtet, die Namen der erfolgreichen Sportler zu nennen oder die Vornamen der Athleten wurden schlicht abgekürzt. Und viel mehr, als den reinen Inhalt der Anzeigen abermals wiederzugeben, kann auch Peter Ullein in seiner Edition nicht beitragen. Aber auch die Anzeigen selbst hängen in der editierten Form etwas in der Luft. Es wäre wünschenswert gewesen, den Reklamen etwas publizistischen Kontext zur Seite zu stellen: In welchem journalistischen Umfeld wurden sie publiziert? Waren sie seitenfüllend, prominent platziert oder auf hinteren Seiten der Zeitungen versteckt? Handelte es sich um eine von vielen kleinen Anzeigen auf einer Seite? Fielen sie gestalterisch auf, waren sie für die damalige Zeit aufwändig gesetzt oder nüchtern-sparsam? Ein paar Antworten auf solche Fragen hätten auch Auskunft über die Bedeutung der Triumph Werke sowie deren Werbestrategie gegeben.
Auch inhaltlich wäre es schön, mehr Kontext anzubieten: Die Informationen über die erfolgreichsten Triumphfahrer wie etwa Eugen Stabe wären gewiss ausbaufähig und ein paar mehr Seiten über die grundsätzliche Bedeutung der Nürnberger Fahrradindustrie im Vergleich zu anderen Regionen würden die Quellensammlung auch für an lokaler Fahrradgeschichte interessierte Laien etwas zugänglicher machen.
In einem weiteren im Jahr 2020 publizierten Werk geht Peter Ullein erfreulicherweise in diese Richtung: „Die Sirius-Fahrrad-Werke G.m.b.H. in Nürnberg-Doos. Von 1896 bis 1901“ gewährt einen etwas tieferen Einblick in das vorgestellte Thema. Die Sirius-Werke waren eine von etwa zehn Fahrrad-Fabriken, die in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts in Nürnberg gegründet wurden – und auch eine der Firmen, die relativ rasch wieder schlossen: Die erst 1896 gegründeten Sirius-Werke gingen 1901 in Liquidation.
Die Gründung des Unternehmens im August 1896 durch eine Gruppe jüdischer Kaufleute aus Nürnberg und Fürth scheint durch Nähe und Begeisterung zum Radsport motiviert gewesen zu sein – eine gewisse Verknüpfung zum Auftreten des Konkurrenten Triumph in den folgenden Jahren. So kaufte Bernhard Sahlmann, Teilhaber der Sirius-Werke, nur wenige Tage vor der Gründung der Firma eine Radrennbahn nahe Nürnberg. Dem Hopfenhändler stand die Gründung eines Rennvereins im Sinn, der dann vermutlich, das ist nun aber Spekulation, mit selbst produzierten Rädern ausgestattet werden und diese dort werbewirksam vorführen sollte.
In der Werbung in Zeitungen und Zeitschriften setzte Sirius hingegen auf eine andere Strategie als die Konkurrenz von Triumph: Die Reklamebotschaften fielen nüchtern, geradlinig aus, zum Beispiel hieß in einer Anzeige aus dem Jahr 1897: „Sirius-Fahrräder. Mit hervorragenden Neuerungen ausgestattet.“ Die Firma, so berichtet Peter Ullein, setzte offenbar vor allem auf Qualität und positionierte sich als Premium-Hersteller: Die Räder waren deutlich teurer als die der größeren Nürnberger Konkurrenten von Mars, Triumph und Co. Lange hielt Sirius jedoch nicht als eigenständiges Unternehmen durch, nach der Liquidation 1901 wurde die Marke von Triumph übernommen. Über die genauen Umstände ließe die teils lückenhafte Quellenlage keine exakten Schlüsse zu, betont Peter Ullein. Für sein Buch beziehungsweise seine Materialsammlung über die Sirius-Werke hat er dennoch sehr Vieles zusammengetragen, das sich zu einem facettenreichen Bild dieses Fahrradunternehmens und der gesamten Branche in Nürnberg um die Jahrhundertwende zusammensetzt.