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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Aktuelle Rezensionen


Norbert Fischer/Markwart Herzog (Hg.)

Tod – Gedächtnis – Landschaft

(Irseer Dialoge. Kultur und Wissenschaft interdisziplinär 21), Stuttgart 2018, Kohlhammer, 215 Seiten mit Abbildungen, teils farbig, ISBN 978-3-17-030959-3


Rezensiert von Andrea M. Kluxen
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 30.08.2021

Der Konnex zwischen Tod, Gedächtnis und Landschaft ist ein in der Geschichte von Bestattung und Totengedenken in allen Kulturen zu beobachtendes Phänomen. Der vorliegende Band, der 2012 aus der gleichnamigen 12. Konferenz der Reihe „Sterben, Tod und Jenseitsglauben“ der Schwabenakademie Irsee hervorging, behandelt dieses Thema in großer Breite von der Spätantike bis heute. Anhand konkreter, auch außereuropäischer Beispiele werden verschiedene Zugänge und historische Kontexte thematisiert. In der Publikation geht es um Fragen der Verortung und Materialisierung von Gedenken, der mentalitätshistorischen Bedeutung und dem Übergang individuellen Gedenkens in das kollektive Gedächtnis.
In den Forschungen zu kollektivem Gedächtnis und dessen Verräumlichung gibt es eine Vielzahl von kultur- und mentalitätsgeschichtlichen Ansätzen, die Erinnerung, Gedächtnis und auch Gedächtnislandschaft und deren Bedeutung für die Konstruktion von Gruppenidentitäten und Geschichtsbewusstsein thematisieren. In dem vorliegenden Band geht es um Landschaften, die – in welcher Form auch immer – eng mit der Kulturgeschichte des Todes verbunden sind. Dabei werden Entwicklungen von Sinnstiftung, Wahrnehmung und Interpretation von Räumen im Zusammenhang mit Tod und Trauer untersucht und es wird der Frage nachgegangen, wie Individuen oder Gesellschaften zeichenhaft aufgeladene Räume wahrnehmen und sich aneignen. So werden aus Begräbnisorten, Friedhöfen, Gärten, Parks, aber auch vermeintlich freier Natur spezifische symbolische oder politische Gedächtnislandschaften.
In ihrer Einführung betonen die Herausgeber Norbert Fischer und Markwart Herzog, dass die räumliche Verortung der Gedächtniskultur schon immer von „historischer Bedeutung“ war. Zu Beginn werden die Begriffe des Titels definiert, wobei Landschaft hier nicht als freie Natur sondern als Kulturlandschaft zu verstehen ist, die erst durch menschliche Eingriffe zu einer Gedächtnislandschaft wird. Mit dem Umbruch in Naturvorstellungen und Sepulkralkultur seit dem 18. Jahrhundert werden Natur und Landschaft zum zentralen Topos des Totengedenkens. Die Assoziationen zu Paradies, Arkadien, Utopia, Natur und Naturkreislauf als Zeichen von Ursprünglichkeit, aber auch von identitätsstiftenden heimatlichen Orten, ziehen sich durch alle Epochen.
Adriana Kapsreiters Beitrag zur „Bukolik des Todes“ in Spätantike und Frühchristentum behandelt zum einen idyllische Landschaftsdarstellungen auf Sarkophagen, die – als idealisierte pagane und christliche Versatzstücke – prospektiv auf das Jenseits verweisen. Zum anderen untersucht sie Grabgärten, die aber anders als die antiken Nekropolen von der Öffentlichkeit abgeschottet werden und sowohl als heilige Orte, als auch als weltliche Gärten für die Lebenden fungieren. Bereits hier werden unterschiedliche Ansätze einer Gedächtnislandschaft deutlich: einmal prospektiv auf das Jenseits gerichtet, zum andern als konkreter Ort zwischen Leben und Tod.
Das Thema des Gartens, bei dem es auch um Paradiesvorstellungen geht, beleuchtet Geert Robberechts. In seinem Aufsatz über Klosterfriedhöfe als Baumlandschaften untersucht er den Bestattungsort von Mönchen in klösterlichen Obstgärten, erstmals zu finden auf dem St. Gallener Klosterplan. Hier wurde das Werden und Vergehen der Natur als Metapher von Leben und Tod als alter Topos versinnbildlicht, womit der Garten als Beginn des Lebens, als Ort des Todes und als Ort der Hoffnung auf das Jenseits zu verstehen war. Im Unterschied zu öffentlich zugänglichen Kirchhöfen handelte es sich bei Klosterfriedhöfen um abgeschlossene Bereiche, was die Paradiesvorstellung als „hortus conclusus“ verdeutlicht. Robberechts vermutet zu Recht, dass es in Flandern von 1400 bis 1800 zahlreiche als Baumlandschaften angelegte Klosterfriedhöfe gab, die Mönchen als Begräbnisplätze dienten, während der Kircheninnenraum als Bestattungsraum nur wenigen vorbehalten war. Somit war das in Malereien oft tradierte St. Gallener Kloster als Vorbild bis in die Neuzeit hinein virulent.
In einem weiteren Beitrag über „Paradise as a Garden“ behandelt Robberechts indische Mausoleen des Mogulreiches wie das Taj Mahal. Diese Gräber wurden in orientalischen Gärten angelegt, die mit reichem Pflanzenschmuck und Wasser Paradiesvorstellungen des Islam entsprachen und damit eine Vorahnung auf das nach dem Tod erwartete Paradies geben sollten. Diese Herrschern vorbehaltene Bestattungsart wurde immer mehr in die Residenzgärten verlegt, womit Leben und Tod nebeneinander stattfanden. Robberechts' Beitrag gibt einen Einblick in Gestaltungsformen, die einiges mit europäischen Gedächtnislandschaften gemeinsam haben. Er betont jedoch, dass kein Grabgarten im Original erhalten ist, da diese im 19. Jahrhundert vielfach überformt wurden.
Auch Anna Marie Pfäfflin widmet sich in ihrem Aufsatz über den „Tod in der württembergischen Landschaft“ dem Garten als Ort von Trauer und Erinnerung und geht auf die großen Umbrüche in Naturauffassung und Sepulkralkultur im 18. und 19. Jahrhundert ein. Vorbereitet wurde diese Entwicklung durch pantheistische Gedanken der aus England stammenden naturreligiösen Auffassung und den Pietismus. Ausdruck dieses neuen Verhältnisses zur Natur war ein anderer Umgang mit dem Garten. Im Genuss des Naturschönen sollte es um eine moralisierende Erziehung gehen. Damit war das Grab aber nicht mehr primär für die Verstorbenen gedacht, sondern sollte die Lebenden zur Selbstreflexion anregen, weshalb das Scheingrab als Monument zur Standardstaffage in empfindsamen Landschaftsgärten werden konnte. Tod und Trauer wurden mit den Scheingräbern zur Kulisse. Aber auch reale Gräber konnten nun im Garten – allerdings im Landschaftsgarten – angelegt werden und zeugten von den Verdiensten der Verstorbenen. Gerade in Verbindung mit Selbstdarstellung und Selbstheroisierung wurden Mausoleen in Gärten immer beliebter. Diese inszenierten als Denkmäler das Vergangene, um im Gedächtnis der Nachwelt weiterzuleben. Mit ihrem historisch-politischen Anspruch waren diese Mausoleen Ausgangspunkt und Vorläufer von in freier Landschaft angesiedelten Nationaldenkmälern, denen sich die Landschaft unterordnete.
Auch Annette Dorgerloh widmet sich dem Thema Grab im Garten, indem sie die Probleme echter Gräber in frühen Landschaftsgärten erörtert. Im Zuge der oben genannten Entwicklungen bekam auch das Grab im Garten einen Platz. Es sollte zur Meditation über den ewigen Kreislauf von Werden und Vergehen, von Leben und Sterben, von Tod und Natur anregen. Angefangen mit Rousseaus Grab stellt Dorgerloh weitere Grabstätten in Landschaftsgärten vor. Hier zeigt sich, dass der Schritt vom arkadischen Scheingrab zum echten Grab im Garten nur in einem naturreligiösen-pantheistischen Kontext getan werden konnte. Denn das reale Grab – das typologisch keinen Unterschied zu Staffagen aufweist – geht über einen sentimentalen Gefühlswert hinaus. Wie Dorgerloh am Beispiel Friedrichs des Großen verdeutlicht, stellte das Grab im Garten für Herrscher jedoch keine Alternative dar, da diese sich als öffentliche Personen nicht in Privatbereiche zurückziehen konnten und auf Legitimation auch über den Tod hinaus sowie Traditionsbildung angewiesen waren. Das Grab im Garten war dazu zu privat, zumal die nachbarocken Gärten nicht mehr öffentlich waren. Mag das Grab im Garten auch nur kurze Zeit in Mode und zudem nur für wenige möglich gewesen sein, so stellte es gleichwohl auf dem Weg zu einer säkularen Grabkultur einen wichtigen Schritt dar, der die Wandlungen der Sepulkralkultur zwischen 1750 und 1850 kennzeichnet.
Ulrich Knufinke behandelt das Grabmal in der Landschaft als politisches Denkmal am Beispiel der Werke von Peter Joseph Krahe. Der grundlegende Wandel in der Memorialkultur wird Anfang des 19. Jahrhunderts an den heroisierten Grab- und Memorialbauten deutlich. Diese wurden als Denkmäler in der freien Landschaft für die Öffentlichkeit monumentalisiert und wiesen an authentischen Orten allgemeine Bezüge auf. Im Zuge nationaler und volkstümlich-patriotischer Strömungen in der napoleonischen Zeit wurden diese Grabdenkmale für Kriegshelden zu Vorläufern für Nationaldenkmale sowie für – auch eine Art Nationaldenkmale – Kriegs- und Gefallenendenkmale. Die Memoriallandschaft erweiterte sich damit in die freie Natur, und die Grabdenkmale waren mit ihren territorialen Bezügen somit als politische Setzung zu verstehen.
Anna-Maria Götz nimmt den Parkfriedhof um 1900 und die Verbindung von Weiblichkeit und Tod in den Fokus. Sie untersucht weibliche Grabplastiken als Gestaltungselemente und Kulissen in der Landschaft. Trotz des Grabes im Garten blieben Garten beziehungsweise Park und Friedhof bis zum ersten deutschen Parkfriedhof in Hamburg-Ohlsdorf 1877 unterschiedlich konzipiert. Erst als mit den Parkfriedhöfen Friedhöfe auch als Grünanlagen angesehen wurden, legte man immer mehr naturlandschaftlich gestaltete Begräbnisflächen ohne individuelle Grabmäler an. Der Parkfriedhof diente nun den Besucherinnen und Besuchern auch als Erholungsraum, womit sich die Rezeption dieser Gedächtnislandschaft änderte. Das zeigt sich vor allem an den lebensgroßen weiblichen Grabplastiken, die keine festgelegte Ikonografie mehr aufwiesen, sondern als Projektionsfläche für unterschiedliche Gefühle und allgemeine Vorstellungen von Natürlichkeit, Weiblichkeit und Frauenbildern dienten. Die Figuren wurden also einer Gesamtanlage untergeordnet und waren daher mehr Skulpturen auf Gräbern als Grabskulpturen. Götz erläutert die verschiedenen Strategien ästhetischer Rauminszenierung, die eine Klammer zwischen den Besucherinnen und Besuchern einer Grünanlage und den Trauernden bildete.
Gerlinde Gehrig untersucht die Verbindung von Friedhof und Landschaft im Werk von Jeff Wall (*1946) und setzt dieses in den kunsthistorischen Kontext, indem sie die niederländische Landschaftsmalerei des 17. Jahrhunderts und die Dokumentarfotografie Walker Evansʼ (1903–1975) zum Vergleich heranzieht und die Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausarbeitet. Dabei kommt sie zu dem Ergebnis, dass es Wall gerade bei seinen Fotografien des jüdischen Friedhofs von New Westminster bei Vancouver (British Columbia) um die Rezeption einer Gedächtnislandschaft und eine mediale Transformierung in eine politische Landschaft geht.
Ebenfalls um eine politische Gedächtnislandschaft geht es im Beitrag von Jörg Skriebeleit, der die KZ-Gedenkstätte Flossenbürg als mehrschichtigen Erinnerungsort und sakrale Erinnerungslandschaft analysiert. Die Problematik ergibt sich aus der Nachnutzung des Konzentrationslagers als Lager für Displaced Persons mit den dazugehörigen Umbauten sowie dem Ende der 1950er Jahre angelegten Ehrenfriedhof. Dieser wurde in der Ästhetik der Soldatenfriedhöfe errichtet und den „Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft“ gewidmet. Gleichzeitig wurde das ehemalige „Tal des Todes“ zum „Tal des Friedens“ uminterpretiert. Mit diesen Eingriffen wurde das Bild des KZ umgeprägt, das Gedenken in eine andere Richtung geleitet, was zu Kritik an der Gestaltung des Geländes und seinen verschiedenen „Nutzungsschichten“ führte. Erst seit den 1990er Jahren wurde ein neues Konzept erarbeitet, das dem Ort gerecht werden sollte. Aber auch die Umsetzung der Pläne, die das Konzentrationslager Flossenbürg erst nachhaltig im kollektiven Gedächtnis verankerte, führte zu Erinnerungskonflikten. Denn das Konzentrationslager wurde nicht rekonstruiert, sondern es wurde die gesamte Historie dargestellt, was den „Erwartungshaltungen“ der Besucherinnen und Besucher nicht entsprach. An diesem Beispiel werden die Schwierigkeiten politischer Gedächtnislandschaften im Zuge sich wandelnder gesellschaftlicher Prozesse und Diskurse deutlich.
Der abschließende Aufsatz von Markus Walz befasst sich mit der „Baumspende als neue Manifestation des Totengedenkens“. Baumspenden gibt es für viele Anlässe und so gibt es auch Totengedenkbäume schon seit dem 19. Jahrhundert. Sie sind einzeln oder als Friedwald sowohl auf Friedhöfen als auch außerhalb von Bestattungsorten zu finden. Als Gedenk- und Besuchsorte entsprechen sie dem gegenwärtigen Phänomen der beliebten Form der Naturbestattung und dem Streben nach individuellen Trauerriten, aber auch nach anonymen Bestattungsformen.
Der Band gibt mit theoretisch fundierten Beiträgen sowie mit konkreten Beispielen insgesamt einen breiten interdisziplinären Einblick in das Thema, einige Beiträge weiten zudem den Blick in andere Bereiche. Mitunter wäre die genauere Klärung von Begriffen wie „Natur“, „Landschaft“ usw. in ihrer historischen Entwicklung und Interpretation wünschenswert. Für weitere Forschungen zu Gedächtnislandschaft und kulturwissenschaftlichen Diskursen haben Tagung und Band jedoch wichtige Anregungen geliefert.