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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Aktuelle Rezensionen


Thomas Schindler

Möbel aus Südfranken. Bestandskatalog. Mit einem Beitrag von Heinrich Ring

(Das Heidecker Heimatmuseum 2), Heideck 2019, Heimatkundliche Sammlung Heideck e. V., 131 Seiten mit zahlreichen Farbabbildungen, 1 Karte, ISSN 2511-6762


Rezensiert von Gerdi Maierbacher-Legl
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 30.08.2021

Ein Geleitwort von Ottmar Brunner, dem Vorsitzenden des Vereins Heimatkundliche Sammlung Heideck, der das Museum im Rathaus seit 34 Jahren betreibt, ist dem Band 2 der Schriftenreihe vorangestellt. Ein Gründungsmitglied des Museums, Heinrich Ring, der seine über 4 000 Objekte umfassende Privatsammlung mit Schwerpunkt Keramik dem Museum als Dauerleihgabe zur Verfügung gestellt hat, wurde gebeten, in einem Einführungskapitel die Entwicklung seiner Sammlung und die Gründungsgeschichte des Museums zu schildern. Die Protagonisten aus passionierten Heimatforschern, begeisterten Sammlern, örtlichen Honoratioren und Antiquitätenhändlern repräsentieren eine ideale Mischung, wie sie für den letzten Gründungsboom der Regionalmuseen in den 1970er und1980er Jahren typisch war.
Im zweiten Kapitel ergreift der Autor des Bestandskatalogs, Thomas Schindler, das Wort. Er ist als promovierter Kulturwissenschaftler seit 2016 Referent der volkskundlichen Abteilung am Bayerischen Nationalmuseum in München, zu der auch eine der prominentesten einschlägigen Möbelsammlungen in Bayern gehört. Er nennt das Kapitel: „Möbel – ein Forschungsgebiet“. Das kann man auch wörtlich verstehen, da der Schwerpunkt der Heidecker Möbelsammlung auf einer Gruppe liegt, die traditionell mit der Region Thalmässing im Landkreis Roth in Mittelfranken in Verbindung gebracht wird. Händler und Heimatforscher haben diese Zuweisung der Möbel, die einen signifikanten Bemalungsstil gemeinsam haben, zum Markenzeichen erhoben, ohne dass auch nur ein einziges Exemplar durch eine Herstellersignatur oder belastbare Quellen gesichert aus dem Markt Thalmässing oder den umliegenden Ortschaften stammt. Somit wird zu Recht der unzureichende Forschungsstand problematisiert und im Vorspann zum eigentlichen Bestandskatalog werden zunächst archivalische Recherchen zu Schreinerwerkstätten in Thalmässing und dem süd-westlichen Einzugsgebiet angestellt. Eine Karte führt die Topografie der untersuchten Kleinregion innerhalb der heutigen Landkreise Roth und Weißenburg-Gunzenhausen vor Augen (leider ist kein Maßstab beigefügt, mit dem man sich leichter eine Vorstellung von den Entfernungen machen könnte). Mit Hilfe vor allem der erhaltenen Kirchenmatrikel gelingt es dem Autor, den Schreinerbesatz von acht Orten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts namentlich und mit zahlreichen sozio-ökonomischen Bezügen zum historischen Netzwerk zu erheben. Diese Schreiner fertigten sicher Möbel, auch ganze Brautausstattungen, davon ist auszugehen. Ob sie oder Angehörige ihres Hausstands diese Möbel auch professionell bemalten, bleibt offen. Dieser Gesichtspunkt liegt weiterhin außerhalb des wissenschaftlichen Erkenntnisinteresses.
Das Hauptkapitel mit knapp hundert Seiten ist dem wissenschaftlichen Katalog der 50 Möbel des Heidecker Heimatmuseums vorbehalten. Die Möbel werden ganzheitlich erfasst, in Wort und Bild vorgestellt und, wenn möglich, archivalisch erschlossen. Sieben eintürige und 16 zweitürige Schränke, allesamt bemalt und mit einzelnen Ausnahmen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gefertigt, stellen die umfänglichste Gruppe dar. Sechs Einzelmöbel unterschiedlicher Art werden unter „Sonderformen“ subsummiert: Die bunte Mischung zeigt ein Kabinettschränkchen, einen Gießfasskasten, einen Hängeschrank, eine Kommode, Klein- und Küchenmöbel. Es folgt die Vorstellung von zwölf Truhen und Laden, sodann eines Bettes, eines Tischs, von fünf Sitzmöbeln und zwei bemalten Halmbänken. Jedem der typologischen Kapitel ist ein Einführungstext mit Erläuterungen zu historischer Benennung, Funktion und Gebrauch der Möbel vorangestellt.
In stringenter Systematik werden die einzelnen Möbeltypen chronologisch vorgestellt. Die Katalognummer, der Herkunftsort im Sinne von Produktionsort oder Gebrauchsort und die Datierung finden sich deutlich hervorgehoben in der Kopfzeile der jeweiligen Seite. Mit Fragezeichen versehen oder in Anführungszeichen sind angenommene Herkunftsangaben, entweder nicht verifizierte Händlerangaben oder solche nach pauschaler Benennungstradition, wie die Zuweisung „Thalmässing“ oder „Mittelfranken“. Die Eckdaten zur Identifikation, also Grundmaße und Angaben zu den verarbeiteten Materialien wie Holzart und Metall (ohne Farbe) sowie die Inventarnummer gibt der Autor übersichtlich als Auftakt zum Textblock an. Hier findet auch die Erwerbsquelle des jeweiligen Möbels Erwähnung, hauptsächlich der Antiquitätenhandel, aber auch der Privatbesitz.
Die Beschreibungen charakterisieren das Gliederungskonzept der Dekoration, insbesondere der Bemalung und des Motivprogramms auf den Schauseiten. Die Farbigkeit bleibt konsequent unerwähnt, erschließt sie sich doch aus den großformatigen, brillanten Abbildungen, die die Vorstellung hervorragend stützen. Die Inneneinrichtung der Schränke wird nicht aufgenommen, die Möglichkeiten der Benutzung der Möbel entzieht sich damit. Aus den Bemerkungen zur Konstruktion ergibt sich nur wenig Erhellendes. Der Terminus „Gratleistentür“ setzt bei den Leser*innen des Katalogs ein gewisses technisches Vorwissen voraus, zudem man die durch eingeschobene Gratleisten stabilisierten Bretttüren nur von ihrer Innenseite her identifizieren könnte. Fotos von Möbeln im geöffneten Zustand werden nicht angeboten.
Der systematische Punkt „Archivalische Information“, erklärt in zehn Fallbeispielen die zweifelsfrei verifizierten Herkunftsangaben von ein- und zweitürigen Schränken. Meist aus Anlass einer Hochzeit angefertigt, sind auf diesen Möbeln an gut sichtbaren Stellen der Front die Initialen der Braut und das Jahr der Vermählung aufgemalt. Anhand dieser Primärdokumente hat es der Autor unternommen, in rund 30 historischen Pfarrarchiven von Orten der näheren Umgebung südlich und südwestlich von Heideck, dem „Raum Thalmässing“, die Trauungen der angegebenen Jahre zu recherchieren, um die Initialen der Braut zu entschlüsseln. Dies gelang wie gesagt, für zehn Möbel. Aber nicht nur der volle Name der Braut erschließt sich aus den Trauungs- und Taufregistern, sondern natürlich auch der Name des Bräutigams, sein Beruf und die Berufe der Väter des Brautpaares sowie die Herkunftsorte und der zukünftige gemeinsame Wohnort der Vermählten. Diese archivalischen Untersuchungen erweisen sich als sehr aufschlussreich hinsichtlich gesicherter und bemerkenswert ausführlicher Kontextinformationen zu den Erstbesitzern, ihrer sozialen Stellung zueinander und der Verbreitung der Möbel. Die häufig sehr vagen und pauschalen Herkunftsangaben der Möbel, die aus dem Antiquitätenhandel erworben wurden, präzisieren sich dadurch erheblich.
Die aufgezeigte Methode der archivalischen Entschlüsselung der Initialen zeigt sich als großer Erfolg für die soziale und lokale Verortung der Möbel und untermauert in der Zusammenschau plausibel, dass die Schränke der Heidecker Museumssammlung mit Schwerpunkt aus dem Raum Thalmässing stammen. Dieser Frage nachzugehen und sie einer wissenschaftlich belastbaren Beantwortung zuzuführen, war sicher ein zentrales Anliegen des Autors. Der für die erzielten Ergebnisse eingesetzte Rechercheaufwand dürfte erheblich gewesen sein. Thomas Schindler verweist auf Ralf Rossmeissl, der 2019 diesen Forschungsansatz für das Fränkische Freilandmuseum in Bad Windsheim publizierte (im Literaturverzeichnis ist diese Publikation allerdings nicht aufgeführt).
Ein Kommentar interpretiert die archivalisch verifizierten oder mündlich mitgeteilten Herkunftsangaben und ordnet sie in den kulturhistorischen Zusammenhang ein. Dadurch werden die Möbel im idealen Fall der Identifizierung der Erstbesitzer zu beredten Quellen der Sozialgeschichte. Auch die Zuweisung zu bestimmten archivalisch ermittelten Schreinerwerkstätten ist durch die genaue Herkunftsangabe der Schränke nunmehr möglich.
Nach demselben Schema werden alle 50 Möbel des Bestandskatalogs behandelt. Der Aspekt „archivalische Information“ bleibt allerdings nach den Schrankmöbeln ohne Inhalt, nicht zuletzt deshalb, weil die Truhen und Kommoden, der Gießfassbehälter, das Bett und die Sitzmöbel selten Jahreszahlen und niemals Besitzerinitialen aufweisen. Die Kommentare weisen weiterhin eine Fülle an Bezügen und Kontextinformationen auf, auch Vergleiche und Literaturhinweise, die das Medium Bestandskatalog als Basis für gezielte komparative Forschungen und weiterführende Fragestellungen so geeignet machen.