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Lisa Spanka

Vergegenwärtigungen von Geschlecht und Nation im Museum. Das Deutsche Historische Museum und das Dänische Nationalmuseum im Vergleich

(Edition Museum 36), Bielefeld 2019, transcript, 364 Seiten mit Abbildungen, ISBN 978-3-8376-4704-4


Rezensiert von Brigita Malenica
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 02.09.2021

Der Titel von Lisa Spankas Dissertation, in der sie die Interdependenz von Geschlechter- und Nationskonstruktionen im Deutschen Historischen Museum in Berlin und im Dänischen Nationalmuseum in Kopenhagen untersucht, erscheint auf den ersten Blick ein wenig anachronistisch. Vor dem Hintergrund gegenwärtiger Debatten um Rassismus, Diversität, Migration und Inklusion und der rechtspopulistischen Herausforderungen der Demokratie wähnt man sich in die Debatten der 1980er und 1990er Jahre zurückversetzt. Lisa Spanka selbst diagnostiziert in ihrer Einleitung einen eigentümlichen Mangel von Untersuchungen zur Gegenwart des Zusammenhanges von Nation und Geschlecht. Dass beide gesellschaftliche Konstruktionen unmittelbar voneinander abhängen, haben feministische Geschichtswissenschaft beziehungsweise Frauengeschichte, Politikwissenschaft und die interdisziplinäre Geschlechterforschung hinlänglich seit den 1970er Jahren herausgearbeitet. Aber wie wird heute mit eben diesem Wissen in der Vermittlung von Nationalgeschichte, zumal in einem europäischen und globalisierten Kontext verfahren? Welche „gegenwärtigen Aushandlungen zu Nation und Geschlecht“ (17) bilden den diskursiven Hintergrund eines politischen Klimas, in dem „nationalistische Strömungen“ und „ein Festhalten an biologistischen Geschlechtervorstellungen zunehmen“ (16)?
An diesen Fragen setzt Spankas vergleichende Untersuchung des Deutschen Historischen Museums (DHM) und des Dänischen Nationalmuseums an. Ihr Ausgangspunkt ist, dass sich seit dem 19. Jahrhundert an der Repräsentation von Nation und ihrer Verankerung in der Vorstellung einer binären Geschlechterordnung nicht allzu viel verändert hat. Noch immer sind „Erwerbsarbeit, Politik und Militär“ wie selbstverständlich männlich, „Familienarbeit sowie eine Traditionspflege durch Bildung und Erziehung“ weiblich konnotiert (15). Dieses Selbstverständnis finde sich letztlich auch heute noch in allen gesellschaftspolitischen Debatten, in denen Geschlechterrollen verhandelt werden. Bisherige museologische Forschungen lieferten zudem eher ernüchternde Ergebnisse bezüglich der Öffnung nationaler Narrative für diversitätssensible Perspektiven.
Die Auswahl des Museums als Untersuchungsgegenstands begründet die Autorin mit der zentralen Stellung des Museums für Wissensbildung und Identitätsstiftung national verfasster Gesellschaften (30). Der Neuen Museologie folgend geht Spanka davon aus, dass historische Museen zentrale Orte nationaler Verständigung darstellen. Hier fänden sowohl Aushandlungs- als auch Vermittlungsprozesse statt. Das Museum ist in diesem Verständnis ein „diskursiver Ort“, an dem gesellschaftliche Verhältnisse nicht einfach abgebildet, sondern hergestellt werden (27). Damit knüpft die Autorin an Ansätze an, die die diskursive Verfasstheit gesellschaftlicher Praxis in den Blick nehmen. Die Analyse des Museums als Dispositiv ermöglicht damit nicht nur der Frage nachzugehen, welche vergeschlechtlichten Darstellungen und damit Festschreibungen von Nation in den Geschichtsausstellungen zu finden sind, sondern auch wie sie zustande kommen und welche Wirkung sie entfalten.
Die Auswahl der beiden Museen für eine vergleichende Analyse begründet Spanka zum einen mit einem ähnlichen Entstehungszeitraum neuer Dauerausstellungen zur Nationalgeschichte in den 2000er Jahren. Zum anderen seien aber auch grundlegende Unterschiede zwischen den Museen zentral für diese Wahl gewesen. Neben der jeweiligen historischen Erfahrung, die sie im deutschen Fall mit Brüchen und im dänischen mit Kontinuitäten verbindet, führt die Autorin auch den unterschiedlichen Grad an Geschlechtergerechtigkeit in der Gesellschaft an, in der Deutschland im europäischen Vergleich nachhinkt und Dänemark zu den progressiven Ländern zählt. In beiden Museen werde zudem, so Spanka, ein multiperspektivischer historischer Ansatz vertreten, den das DHM über europäische Bezüge herstellen möchte, während die Ausstellung des Dänischen Nationalmuseums auf dem Konzept der Geschichtspluralität aufbaue und den Anspruch erhebe, Nationalgeschichte aus der Sicht einer Vielfalt von Menschen zu zeigen.
Mit einer theoretisch in die Diskursanalyse eingebetteten Mehrebenenanalyse betrachtet Spanka sowohl die institutionellen Rahmenbedingungen und Akteur*innen als auch die verschiedenen Ebenen der Ausstellungsnarrative. Institutionenhistorische, politische und diskursive Bedingungen fließen ebenso in ihre Analyse ein wie Gebäude, die Anordnung von Rundgängen, Räumen, Objekten sowie die verwendete Sprache in den Displaytexten. Mit Hilfe von Leitmotiven, die ihrer Ansicht nach das interdependente Verhältnis zwischen Geschlechter- und Nationskonstruktion der jeweiligen Ausstellungsnarration dominieren, untersucht sie thematisch fokussiert die zentralen Erzählstränge der Ausstellungsdisplays. Diese Vorgehensweise macht es ihr möglich, wiederkehrende vergeschlechtlichte Sinnkonstruktionen in der Erzählung der Nation auszumachen, die sich von der Zeit der Nationswerdung bis zur Gegenwart wiederfinden lassen.
Für das DHM macht Spanka die Leitmotive Krieg und Wirtschaft als bestimmend für das deutsche nationale Narrativ aus. Dazu passend zeigt sich die Konzentration auf Herrscher und Politiker als handelnde Akteure in der deutschen Geschichte. Damit dominiere nicht nur die Politik- und Herrschaftsgeschichte die Ausstellung, zudem scheine darin eine „traditionelle Geschichtsnarration“ durch, wie an der Darstellung der Kriege als Kabinettskriege sichtbar werde (125). Männliche Erzählung und tradierte Männlichkeitskonstruktionen, so zeigt Spanka eindrücklich, bleiben dadurch im DHM unangetastet. In ihrer Analyse einzelner Displays scheint der mangelnde kritische Umgang mit zeitgenössischen Repräsentationen der historischen Ereignisse immer wieder auf. So wird zum Beispiel der Erste Weltkrieg als „Materialschlacht“ (128) und als Motor der Modernisierung dargestellt, während die Erfahrungen der Beteiligten und die vom Leid des Krieges betroffenen Menschen kaum Erwähnung finden. In der hier präsentierten Erzählung werde weder die Konnotation des Krieges als männlich in Frage gestellt noch der Konstruktionscharakter von Geschichte deutlich gemacht.
Es ist eben diese Benennung und Analyse von Männlichkeitskonstruktionen, die Spankas Analyse des DHM spannend macht. Zum Beispiel weist sie mit Sabine Kienitz darauf hin, dass die Präsentation von Prothesen die Funktionsfähigkeit versehrter Männlichkeit zeige und damit die Remaskulinisierung der Nachkriegsgesellschaft reproduziere. Frauen finden sich hingegen in der Ausstellung kaum, schon gar nicht als Akteurinnen wieder, und wenn, dann meist in ihrer symbolischen Funktion oder als Repräsentantinnen von Fürsorge, „Tradition und Heimat“ (137). Ähnliches gilt auch für das Leitmotiv Wirtschaft, das vom Unternehmer als zentralem Akteur getragen wird. Der Frau wird hingegen eine passive Rolle als Konsumentin zugewiesen oder sie wird, wenn das bürgerliche Familienmodell bedroht ist, als Krisenindikator herangezogen. Individuelle Frauen bleiben als Handelnde unsichtbar, während Männer als Lenker der deutschen Geschichte präsentiert werden.
Im Dänischen Nationalmuseum zeigt sich ein etwas anderes Bild. Der Ausstellung, die von der Ethnologin Annette Vasstrøm kuratiert wurde, wurde nach der Eröffnung von einem Kritiker die Feminisierung der dänischen Geschichte vorgeworfen. Die Auswahl vieler kleiner Objekte würde die große Technik verdrängen. Das dänische Ausstellungskonzept beruft sich nicht zufällig auf die Lebensformenanalyse des dänischen Ethnologen Thomas Højrup. Denn man wolle Staats- und Alltagsgeschichte miteinander verweben und so eine breitere Repräsentation der dänischen Bevölkerung garantieren. Spanka kritisiert zu Recht, dass die Engführung dieses Konzepts nur anerkannte Lebensformen zeige, während andere unsichtbar blieben. Damit unterlaufe es den Anspruch des Museums, tolerant und inklusiv zu sein.
In den hier dominanten Leitmotiven Familie und Arbeit spiegele sich das theoretische Ausgangskonzept, mit dem die bürgerliche Familie zur Garantin eines nationalen Kontinuums gemacht werde. Die postulierte Vielfalt werde schließlich unter „Idealisierung“ und „Stereotypisierung“ begraben (253). Auch hier zeigt sich ein unreflektierter Umgang mit historischen Konstruktionen, was Spanka anhand der idealisierten Rolle des Mannes in Staat, Gesellschaft und Familie als Stütze des dänischen Wohlfahrtsstaates herausarbeiten kann. Ergänzt wird dies durch eine idealisierte Arbeitermännlichkeit, die letztlich eine Projektion bürgerlicher Männlichkeit darstellt. Den Anspruch des Museums, das „dänische Wir“ über Alltagsgeschichte und plurale Geschichtserzählungen zu vermitteln, nimmt die Autorin kritisch in den Blick. Sowohl Arbeiter*innen als auch Frauen sind einerseits sichtbarer als zum Beispiel im DHM, zugleich bleibt ihre Darstellung stereotypisiert und heteronormativ. Heterogenität und alternative Lebensformen bleiben hingegen unsichtbar.
Die Vorgehensweise der Autorin überzeugt durch ihre methodische Stringenz, die sich nicht nur durch die Mehrebenenanalyse als fruchtbar erweist. Besonders überzeugend ist die Kontrastierung der Ausstellungsdisplays und ihrer Reproduktion zeitgenössischer Diskurse mit historischen und kulturwissenschaftlichen Arbeiten. Mit analytischer Akribie setzt Spanka dem kanonisierten ein alternatives Wissen entgegen, das bei der Entstehung der Ausstellung bereits vorhanden war. Sie demonstriert auf diese Weise, dass die Darstellungsweisen auch anders hätten ausfallen können, hätte man sich auf eine breitere Forschung zu den einzelnen Themen gestützt. Dass Spanka Männlichkeitskonstruktionen große Aufmerksamkeit widmet, mehr als der Darstellung von Frauen und der weiblichen Rolle in der Gesellschaft, erweist sich meines Erachtens als dem Untersuchungsgegenstand angemessen und richtig. Idealisierte Männlichkeitsvorstellungen stellen schließlich die Grundlage für hegemoniale Männlichkeit und damit für das Zusammenspiel zwischen idealisierten Vorstellungen und gesellschaftlicher Praxis dar. Zugleich sind es sie, die in einer binären Geschlechterordnung durch Vorstellungen normativer Weiblichkeit gespiegelt und gestützt werden. Der weibliche Körper wird nicht zufällig als Grenzmarker der Nation herangezogen, der von Männern verteidigt werden muss. Dieser Aspekt wird erwähnt, hätte aber durchaus mehr Beachtung verdient.
Deutlich wird, dass tradierte Vorstellungen von Geschlecht auch heute noch ungebrochen die nationale Erzählung im Museum bestimmen. Feministisches Wissen, Geschlechterforschung sowie postkoloniale Kritik spiegeln sich hingegen kaum, auch wenn gerade der letzte Aspekt über Sonderausstellungen Eingang ins DHM gefunden hat. Unklar bleibt zugleich, welche konkreten Auswirkungen auf die Vorstellung von Nation das Auslassen von diverseren Lebenserfahrungen und Perspektiven haben. Die Essentialisierung und Ethnisierung, die in den hier untersuchten Nationsvorstellungen mitschwingen, hat die Autorin leider nicht benannt. Spanka weist zwar auf die ausschließende Sichtbarkeit „weißer“ Männlichkeit hin und schickt hinterher, dass Identitätskonzepte wie Klasse, „race“ und Alter in weitere Analysen der Interdependenz mit Nation eingehen sollten. Doch bleiben die Antworten auf die Fragen, welche Vorstellung von Nation über Geschlecht vermittelt wird und wer aus der Nation ausgeschlossen wird, relativ blass. Die Frage bleibt, was es bedeutet, dass die deutsche Nation über Grenzen und Sprache und die dänische über den erfolgreichen Wohlfahrtsstaat definiert wird und dies mit entsprechenden Männlichkeitskonstruktionen verbunden ist. Die kulturelle Nationsdefinition findet sich schließlich in beiden Nationsvorstellungen wieder und sie anhand der quer zu allen Identitätskategorien verlaufenden sozialen Kategorie Geschlecht zu dekonstruieren, wäre ein notwendiger weiterer Schritt der Analyse. So bleiben zum Beispiel Frauen als Komplizinnen nationaler Grenzziehungen und Unterstützerinnen homogener Nationskonstruktionen nur implizit benannt. Es ist auch kein Thema, dass Menschen mit innereuropäischer Migrationsgeschichte durch die hier untersuchten vergeschlechtlichten Erzählungen über Nation ebenfalls ausgeschlossen werden.
Die abschließenden kritischen Anmerkungen sollen jedoch auf keinen Fall die Qualität von Lisa Spankas Arbeit in Zweifel ziehen, da sie auf eine zwischen mir und der Autorin differierende Einordnung der sozialen Kategorie Geschlecht zurückgeht. Hervorzuheben ist, dass Spankas detaillierte Analyse der Museumsdisplays einen wichtigen Einblick in zentrale nationale Institutionen der Geschichtsvermittlung ermöglicht. Sie gibt Aufschluss über die erschreckende Persistenz tradierter vergeschlechtlichter historischer Erzählungen. Lisa Spanka leistet damit einen wichtigen Beitrag im Bereich diversitätssensibler museologischer Untersuchungen, die Kurator*innen zur kritischen Reflexion ihrer Institution und vor allem der Objektpräsentation anregen kann. Sie plädiert in ihren abschließenden Überlegungen ganz folgerichtig für ein Erzählen der Geschichten der Objekte und damit für die Sichtbarkeit des Individuums.