Aktuelle Rezensionen
Jan Niko Kirschbaum
Mahnmale als Zeitzeichen. Der Nationalsozialismus in der Erinnerungskultur Nordrhein-Westfalens
(Public History – Angewandte Geschichte 1), Bielefeld 2020, transcript, 484 Seiten mit Abbildungen, ISBN 978-3-8376-5064-8
Rezensiert von Thomas Naumann
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 09.09.2021
Die hier zu rezensierende Arbeit wurde unter dem Titel „Erinnerungszeichen für den Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg in Nordrhein-Westfalen“ als Dissertation an der Philosophischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf angenommen. Es ist eine detailreiche, vielfältige Aspekte des Themas berücksichtigende Untersuchung entstanden, untermauert durch akribische und aufwändige Recherchen in Stadt-, Bundes- und Zeitungsarchiven. Die untersuchte Zeitspanne reicht von etwa 1950 bis zum Ende der 1980er Jahre mit Ausblicken darüber hinaus und bis in die Gegenwart, wobei drei Phasen der Setzungen von „Erinnerungszeichen“ unterschieden werden. „Erinnerungszeichen“ ist im Unterschied zu „Denkmal“, „Mahnmal“, „Ehrenmal“ oder „Monument“ „ein moderner [Begriff], der in den Quellen nicht verwendet wird“ (8). Der Autor wählt ihn richtigerweise, weil er alle anderen Wortschöpfungen umfasst und gleichzeitig eine neue Sichtweise auf die vielfältigen Setzungen dieser materiellen Symbole wiedergibt. Allerdings benutzt er ihn nicht konsequent, nicht im laufenden Text und nicht im Titel der vorliegenden Publikation, wo im Unterschied zur Dissertation der Begriff „Mahnmal“ verwendet wird, der, auch in der Sichtweise des Autors, gerade nicht alle „Erinnerungszeichen“ einschließt.
Das Werk gliedert sich in fünf Kapitel und einen Anhang. Kapitel 1 ist eine Hinführung auf die Fragestellungen mit der grundsätzlichen Deutungsklärung von Erinnerungszeichen, Überlegungen zu ihrem Sinn und ihrer brüchigen Beständigkeit, ihrer unterschiedlichen Wahrnehmung und Bedeutung für die jeweiligen Zeitgenossen. Hier fällt der Blick bereits auf die handelnden Akteure, die Erinnerungszeichen setzten, das heißt die politisch oder aus der Gesellschaft heraus Handelnden. Zudem wird verdeutlicht, warum „Mahnmale als Zeitzeichen“ (Hervorhebung T.N.) interpretiert werden: Ihr Sinn bestehe darin, „die Vergangenheit einer Gesellschaft zu thematisieren und zu interpretieren. Sie erzählen, mahnen, erinnern und geben Erklärungsmuster für das Geschehene. Sie sind ein Mittel der politisch-gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit Gegenwart und Vergangenheit. Sie bringen […] das politische Selbstverständnis einer Gesellschaft zum Ausdruck. Soziale Gruppen verknüpfen an und mit ihnen ausgewählte historische Ereignisse mit dem gegenwärtigen Sinn-Rahmen zu Erzählungen.“ (8) Dieser „gegenwärtige Sinn-Rahmen“ wechselt ständig, auch in den verschiedenen Jahrzehnten im Nachkriegsdeutschland gemäß den sich ändernden Sichtweisen unterschiedlicher Generationen und den jeweiligen nationalen und internationalen politischen Ereignissen und daraus resultierenden Stimmungen. Die Erinnerungszeichen sind Zeichen des Zustands der Gesellschaft, die sie stiftet, eigentlich nicht Zeichen für die Vergangenheit, sondern Zeichen dafür, was zu einem bestimmten Zeitpunkt wie erinnert wird. Der Umgang mit ihnen lässt Rückschlüsse auf die jeweiligen politischen und gesellschaftlichen Zustände zu. Und daher, so wird im Laufe der Untersuchung sichtbar, gibt es nach 1945 in der Bundesrepublik Deutschland einerseits mit ihren bis in die späten 1970er Jahre teilweise mit NS-Vergangenheit vorbelasteten Amtsträgern und gesellschaftlichen Gruppen und andererseits mit den um Aufklärung jener braunen Zeit bemühten Akteuren erbitterte und auch beschämende Auseinandersetzungen um Form und Aussagegehalt der diesbezüglichen Erinnerungszeichen. Die Kapitel 2 bis 4 widmen sich im Einzelnen den Orten, Gegenständen, Umständen der Setzungen von Erinnerungszeichen und den darum herum sich abspielenden, meist lähmend langwierigen gesellschaftlichen und politischen Auseinandersetzungen auf kommunalem nordrhein-westfälischen Terrain, die teilweise sogar über die untersuchten drei Zeitphasen „Die erste Konjunktur der Erinnerungszeichen (1945–ca. 1965)“, die „Krisenjahre der Erinnerungszeichen (ca. 1965–ca. 1975)“ und „Die zweite Konjunktur der Erinnerungszeichen (ca. 1975–1990)“ hinweg andauern. Gegenstände der umfangreichen Dokumentation sind im Einzelnen das Sühnekreuz von Meschede (1947/1981), das Mahnmal in Wuppertal (1950/58), die Gedenktafel der Neusser Synagoge (1953), das Mahnmal in Paderborn (1953), die drei Nornen in Düsseldorf (1958), das Bittermark-Denkmal in Dortmund (1960), das gescheiterte nationale Ehrenmal in Bonn (1964 und 1975–1986), das gescheiterte Mahnmal in Münster (1950–1973), das Kardinal-von-Galen-Denkmal in Münster (1978), die Erinnerung an die Paderborner Synagoge (1980/83), das Mahnmal für das KZ Kemna in Wuppertal (1983) und der Zwinger in Münster (1985/97). Besonders bemerkenswert ist hierbei, dass jeweils der landschaftliche beziehungsweise urbane Kontext genau beschrieben wird sowie die Positionierung an zentraler Stelle oder an eher unbedeutenden Plätzen. Kapitel 5 bewertet aufgrund der Ergebnisse der Kapitel 2 bis 4 zusammenfassend den Nationalsozialismus in der Erinnerungskultur der „nordrhein-westfälischen Stadtgesellschaften“ (449), die „weitgehend unabhängig“ (449) von externen Einflüssen gewesen sei. Im Anhang sind Sekundärliteratur, Quellen, Archive, Zeitungen und Zeitschriften nachgewiesen sowie geführte Interviews verzeichnet.
Der Wert der Untersuchung liegt besonders darin, dass der Autor nicht bloß die errichteten Erinnerungszeichen in ihrem gegenwärtigen Dasein analysiert, sondern vielmehr ihren Entstehungsgeschichten in vorbildlicher Weise nachgeht. Denn darin, und das heißt, in den allfälligen, teils heftigen politischen und gesellschaftlichen „innerstädtische[n] Aushandlungsprozesse[n]“ (445) und Konfrontationen zwischen rückwärtsgewandten und fortschrittlichen Gruppen um ein Erinnerungszeichen, zeigt sich der Umgang der jeweiligen Zeit mit der Erinnerung und darin tritt ihr gesellschaftlicher Zustand zutage. Und da Erinnerungszeichen „vielfach die Vergangenheit, an die sie erinnern sollen [weniger beleuchten], als vielmehr die Interpretation der Vergangenheit durch die gegenwärtige Gesellschaft, oder präziser: [durch] ihre Errichter“ (9), ist es unausweichlich, diese Akteure und Akteurinnen und die Umstände der Errichtung detailliert ins Visier zu nehmen. Darüber hinaus vergisst der Autor nicht, Gedenkveranstaltungen am Ort der Erinnerungszeichen, zum Beispiel am Volkstrauertag oder an Jahrestagen des Setzungsgrundes, genau in den Blick zu nehmen. Wer spricht und welcher Art diese Reden sind, ist für das Erkenntnisziel der Untersuchung sehr aufschlussreich; etwa wenn deutlich wird, dass in Reden der 1970er Jahre nicht selten in instrumentalisierender Weise Bezug auf den damaligen politischen Terror genommen wurde und „die Toten […] zu Vorbildern, zu Identifikationsfiguren der Bundesrepublik, zu Märtyrern des Staates erklärt“ (442) wurden, die nicht „umsonst gestorben“ (442) sein dürfen, als habe die Ermordung von Menschen durch den Nazi-Terror einen tieferen Sinn gehabt, woraus sich ein sehr schaler Nachgeschmack ergibt (vgl. das Beispiel der Reden des Dortmunder Oberbürgermeisters Günter Samtlebe 1975 und 1977, 441 f.). Aus Entstehungsgeschichte, Ikonografie und Inschrift, städtischem Umfeld und auch Veranstaltungen vor Ort zusammen ergibt sich ein tiefer Erkenntnisgewinn und ein Einblick in die in diesem Rahmen sichtbar werdenden politischen Einstellungen einer Gesellschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt.
Die Untersuchung ist ganz besonders für die Lokalgeschichte der im Hinblick auf ihren Umgang mit ihrer belasteten Vergangenheit analysierten nordrhein-westfälischen Kommunen aussagekräftig und gilt sicher exemplarisch auch für andere Kommunen, gewiss auch in anderen Bundesländern. Jan Niko Kirschbaum thematisiert in seinen Schilderungen Erschreckendes über die deutsche Nachkriegsgesellschaft bis in die 1970er Jahre, die nach dem Untergang des „Dritten Reichs“ in großen Teilen nicht bereit war, eine gemeinsame Schuld zu tragen, was eben in verschiedenen Widerwärtigkeiten der Auseinandersetzungen um Mahnmale zum Ausdruck kommt. Es wird deutlich, welcher Nationalismus da und dort auch nach den Erfahrungen mit der Nazi-Diktatur ungebrochen den Ton angab. Zu sehr waren alte Eliten in Politik und Gesellschaft präsent. Immer wieder nahmen Traditionsverbände militärischer Art – aus dem 19. Jahrhundert stammend oder Wehrmachtstraditionsverbände – unverblümt gehörigen Einfluss bei Mahnmalsetzungen. Und auch das arbeitet der Autor sehr gut heraus: Konnte man in seiner Kommune auf Widerständigkeiten gegen den NS-Terror verweisen, tat man sich mit einer Mahnmalsetzung bedeutend leichter, als wenn man eine Setzung plante, die nur von der eigenen Schuld zeugen sollte. Es wird leider anhand der Entstehungsgeschichten verschiedener Mahnmalsetzungen erkennbar, dass die damalige Gesellschaft aus ihrer gerade zuvor durchgemachten Geschichte nicht die angemessenen Schlüsse für ihre Erinnerungsarbeit ziehen wollte. Durch den Einfluss von Traditionsverbänden, die das Opfergedenken in dreister Art instrumentalisierten, konnte es dazu kommen, dass der grundsätzlich selbstverständlich „unschuldige Soldat“, der „nur seine Pflicht“ getan habe, und die durch Luftangriffe umgekommene deutsche Zivilbevölkerung im Vordergrund eines Erinnerungszeichens stehen sollten; diese galten in solcher Sicht gleichwertig als Opfer wie die Ermordeten in den KZ. Ein Repräsentant dieser Sichtweise war auch Bundeskanzler Helmut Kohl, der zum Beispiel am Volkstrauertag 1983 im Deutschen Bundestag „den Nationalsozialismus in einen größeren Kontext des 20. Jahrhunderts“ einbettete und davon sprach, dass alle Völker Westeuropas „Lektionen zu lernen hatten“ und „eine deutsche Familie [skizzierte], die nur aus Opfern und nicht aus Tätern bestand“ (405). Alles also gleichrangige Opfer der Nationalsozialisten, mit denen man natürlich nichts zu tun gehabt haben wollte, als seien sie nicht überall in deutschen Landen und Familien verwurzelt gewesen. Zu einer „Marginalisierung der zwölf Jahre des Dritten Reiches als ‚Unfall‘ der Geschichte“ (448) war es dann nur ein kleiner Schritt. Gegenläufige Bestrebungen, eine „explizite Erforschung und Schilderung der Grausamkeiten des NS-Regimes und der sie unterstützenden Bevölkerung“ (448) zu unternehmen, die in allzu vielen Erinnerungszeichen nicht zum Ausdruck kamen, wurden zwar von Opfergruppen und auch von Einsichtigen immer wieder gefordert, setzten sich aber jedenfalls in den ersten Jahrzehnten nach dem Krieg eher selten durch. Als Beispiel für eine besondere Art der Geschichtsklitterung diene hier das von Kirschbaum genau analysierte Düsseldorfer Erinnerungszeichen der „Drei Nornen“ von 1958, mit dem man allen Opfergruppen gemeinsam und gleichwertig in nivellierender Weise gedenken wollte: Die hier zum Sinnbild gewählten nordischen Schicksalsgöttinnen legen nahe, es habe sich beim NS-Terror um ein unabwendbares, weil vorherbestimmtes Schicksal gehandelt, „das so oder so gekommen wäre“ (148), und dieses Schicksal widerfährt dann gemäß den Sockelinschriften „Den Opfern des Krieges und der Gefangenschaft“, „Den Opfern in der Heimat, den Vermissten und Hinterbliebenen“ und „Den Opfern des politischen Terrors“ (129) gemeinsam. Das Kulturamt der Stadt Düsseldorf sprach von einer „überparteiliche[n] und überkonfessionelle[n] Symbolik des Mahnmals“ (153). Bei der Einweihung am Volkstrauertag 1958 unter Polizeischutz – man befürchtete den uniformierten Auftritt des „Bundes der Frontsoldaten Stahlhelm“ und der „Scharnhorstjugend“ (154) – war nur die Rede des Oberbürgermeisters Georg Glock zugelassen, da man bei der Veranstaltung verhindern wollte, dass die Opfergruppen, die das gemeinschaftliche Mahnmal im Vorfeld bekämpft hatten, streitbar aufeinanderträfen. Der Oberbürgermeister erinnerte dabei mit genauen Zahlen an die im Krieg Gefallenen und die Bombenopfer in der Zivilbevölkerung, erwähnte aber keinerlei Zahlen zu den von den Nationalsozialisten Verfolgten und Ermordeten. Kirschbaum bezeichnet das Düsseldorfer Mahnmal als vollkommen gescheitert und als „unmögliches Erinnerungszeichen“ (155). Deutlicher formuliert: Das „Mahnmal“ verdient diesen Namen nicht; es ist ein Dokument der Verdrängung des nationalsozialistischen Terrors, eine Reinwaschung von Schuld, und es symbolisiert bis heute ungewollt in besonderer Weise die „zweite Schuld“ (Ralph Giordano), die Politik und Gesellschaft der Bundesrepublik nach dem Krieg auf sich geladen haben.
Für ein vollständiges Bild der Aktivitäten der Stadt Düsseldorf und die Veränderungen im Gedenken durch ihre Setzung von Erinnerungszeichen (127–155) sollen die Recherchen Kirschbaums zur zeitlichen Abfolge und Art von Erinnerungszeichen an die Zeit des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs zusammengefasst werden. Denn die Stadt ist durchaus exemplarisch. Über ihr Stadtgebiet sind ca. 90 derartige Zeichen verteilt, wovon 19 mit Gedenktafeln Kriegerdenkmale des Ersten Weltkriegs oder des Deutsch-Französischen Kriegs ergänzen. Ein Erinnerungszeichen ist dem Widerstand der „Aktion Rheinland“ gewidmet (er hatte unter großen Opfern seiner Mitglieder erreicht, dass die US-Streitkräfte die Stadt kampflos besetzen konnten), eines den Opfern der jüdischen Gemeinde und eines den sowjetischen Kriegsgefangenen. In den 1950er Jahren entstanden 16 Erinnerungszeichen: sechs traditionelle Kriegerdenkmäler, sechs zur Erinnerung an die Verfolgten des Nationalsozialismus, darunter vier für sowjetische Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter, „die mutmaßlich auch von ihren Landsleuten errichtet wurden“ und weitere vier, die „sowohl den Opfern des Krieges als auch den Verfolgten des Nationalsozialismus gewidmet“ waren (127). Insbesondere bei diesen letzteren (Stichwort: gemeinsame Opfereigenschaft) taten sich die Konflikte auf. Eine weitere Setzungswelle folgte zwischen 1960 und 1979 mit vier Erinnerungszeichen und in den 1980er Jahren mit nochmals 19, von denen jetzt 14 den Verfolgten des Nationalsozialismus gewidmet waren, drei den Soldaten und zwei allen Opfern des Krieges und den Verfolgten. Nach 1990 gab es noch einmal 17 Setzungen, „unter denen kein Kriegerdenkmal zu finden ist“ (128). Je weiter also die Zeit fortschritt und die Nachkriegszeit in die Ferne rückte, desto mehr war man bereit, diejenigen vorrangig in den Blick zu nehmen, die durch das Nazi-Regime gefoltert und ermordet wurden, und sich von der Setzung traditioneller Soldaten-Kriegerdenkmäler zu verabschieden. Erst mit weitem Abstand zum Nazi-Terror ist es offensichtlich der deutschen Gesellschaft und der Politik nach Generationswechseln und dem umfassend gewachsenen Bedürfnis, Verfolgten-Schicksale zu recherchieren, möglich geworden, die diesbezügliche Schuld im Rahmen der Erinnerungszeichen in den Vordergrund zu rücken. Dieses erreichte seinen Höhepunkt auf nationaler Ebene, als der Deutsche Bundestag beschloss, ein nationales, platzgreifendes „Mahnmal für die ermordeten Juden Europas“ inmitten Berlins zu errichten (vollendet 2005) und Gedenkstätten für weitere, bisher gänzlich aus dem Blick geratene Opfergruppen vorzusehen. Vom „gescheiterten National- und Ehrenmal in Bonn“ (1975–86, vgl. hierzu 385 ff.) bis dorthin war es ein sehr weiter Weg, und auch nach über 60 Jahren war und ist dieses Holocaust-Mahnmal in Berlin bis heute nach altbekannter Art von Anfeindungen begleitet.
Das Bittermark-Denkmal in Dortmund (fertiggestellt 1960), welches das Schicksal von zwischen dem 7. März und dem 9. April 1945 ermordeten französischen und belgischen Zwangsarbeitern und von deutschen Widerstandskämpfern zum Thema hat, die in Bombentrichtern verscharrt worden waren (der Tatort ist hier der Gedenkort geworden), bezeichnet Kirschbaum als ein Beispiel für ein letztendlich gelungenes Erinnerungszeichen, obwohl es entstehungsgeschichtlich gesehen wiederum beschämende Auseinandersetzungen um die politische Aussage und auch um die künstlerische Darstellung gab. 1955 gab es zum Beispiel Stimmen im Stadtrat, die eine „Verewigung des Grauenhaften“ (177) kritisierten. Die zufällig entstandene, aber tatkräftige Beteiligung einer französischen Vereinigung ehemaliger Zwangsarbeiter (FNDT) schließlich ermöglichte ein würdiges Zustandekommen. Das Mahnmal mit drastisch-realistischen Darstellungen schließt eine Krypta mit ein, in die bei der Einweihung am Karfreitag 1958 ein unbekannter ermordeter französischer Zwangsarbeiter von drei ehemaligen französischen Zwangsarbeitern sowie drei deutschen Widerstandskämpfern gebettet wurde. 30 000 Menschen, darunter 2 500 Franzosen, waren anwesend. Kirschbaum interpretiert die Einigung auf Gestaltung und Inhalt des Mahnmals, die im Stadtrat ohne Zustimmung der CDU beschlossen wurde, als eine, die auch „deutschen Opfer[n] eines lokalen Verbrechens […] eine positive Identifizierung mit dem Erinnerungszeichen“ (185) ermöglichte und dass in der Symbolik das „Dennoch-Sieghafte“ zum Ausdruck komme, „der Wunsch durch den Widerstand Hitler und den Nationalsozialismus doch aus eigener Kraft besiegt zu haben und der Wunsch, nicht umsonst gekämpft zu haben“ (185). Durch die französische Beteiligung am Zustandekommen (auch finanzieller Art) und durch die regelmäßige Teilnahme französischer Delegationen an Gedenkveranstaltungen ist es ein „über die Landesgrenzen hinaus beachtetes Erinnerungszeichen, das einen aktiven Beitrag zur Versöhnung der Deutschen vor allem mit Franzosen und Belgiern leistete“ (156), geworden.
In der abschließenden Zusammenfassung präzisiert der Autor die von ihm festgestellten drei Phasen der Setzung von Erinnerungszeichen, „die nicht scharf zu trennen sind“ (450). Hier wird noch einmal besonders deutlich, welch zeitlich ausdifferenzierten Blick er in seiner Untersuchung hat. Zwischen 1945 bis Mitte der 1960er Jahre habe die „Erlebnisgeneration“ (449) auf die Erinnerungszeichen Einfluss genommen. Vor allem in ländlichen Regionen wird hier traditionell erinnert an die „ermordeten, getöteten und gefallenen Kameraden der eigenen Gemeinschaft, unter der sowohl die Widerstandsgruppe, die Stadtgemeinschaft oder eine militärische Einheit verstanden werden konnte“ (449 f.). Der Soldat, dem gedacht wurde, war immer noch der „treue Kämpfer für die Heimat, unabhängig von dem Regime, das den Krieg begonnen hatte, das den Vernichtungskrieg wollte“ (452). Da und dort stellt sich aber auch in dieser Zeit schon eine gewisse „Skepsis der verantwortlichen Demokraten gegenüber dem althergebrachten Gedenken“ (452) ein. Eine besondere Art des sich Hinausschleichens aus der Verantwortung in dieser Zeit aber stellt der Autor fest, wenn er eine „Entkoppelung der eigenen Stadt aus der gemeinsamen deutschen Geschichte“ (453) konstatiert, etwa in Meschede oder Neuss, wo man sich als friedliebende Stadt und den „Nationalsozialismus als Fremdherrschaft“ begriffen habe. Dies ermöglichte eine lokale und persönliche Entlastung, und damit musste man nicht mehr so genau in die eigenen Akten schauen. Die Setzungen dieser ersten Phase und insbesondere auch die Gedenkveranstaltungen vor Ort bringen alles in allem zum Ausdruck, so der Autor, „dass die deutsche Nachkriegsgesellschaft zerstritten und zerrissen war. Auf der einen Seite standen die Verfolgten, auf der anderen die Mitläufer und Täter“ (450). Je nach Kräfteverhältnis zwischen diesen Gruppen wurden die Erinnerungszeichen verwirklicht. Meist waren die ehemals Verfolgten jedoch in der schwächeren Position. Besonders breite Zustimmung der Mehrheitsgesellschaft gab es für Erinnerungszeichen, wenn sie, wie in Dortmund oder Wuppertal, „als Siegeszeichen interpretiert“ (451) werden konnten, wenn also zum Ausdruck kam, dass „die BRD […] eine Republik der Widerstandskämpfer“ (451) war, dass „der Widerstand und seine Opfer […] erst die Existenz eines souveränen deutschen Staates, der Bundesrepublik, ermöglicht“ hätten (451). Jedenfalls zeugen Reden und Interpretationen an den verschiedenen Erinnerungszeichen von einer uneinheitlichen Gedenkpraxis; entweder man blieb im Ungefähren und sprach von „Schicksal, Gottesfügung, Katastrophen, dem Bösen und der Barbarei“ (454) oder man benannte da und dort auch die tatsächlichen Ursachen oder die Täter, was, so Kirschbaum, meist von den handelnden Personen und ihren Einstellungen abhing.
Die zweite Phase ab Mitte der 1960er Jahre beschreibt Kirschbaum als eine Zeit des Vergessens. Immer mehr sei bei den Gedenkveranstaltungen nur noch die Gegenwart thematisiert worden. Die Deutschen „wandten sich […] von der Vergangenheit ab und der Zukunft zu“ (455), „Geschichtsmüdigkeit und eine Geschichtslosigkeit“ (455) habe Platz gegriffen angesichts des neuen Wohlstands, und Raumfahrt, Atomzeitalter, Massenkonsum prägten nun die Gegenwart. Aber auch den Generationswechsel macht der Autor als Grund für das Desinteresse an Erinnerungszeichen aus: Die „letzten Demokraten der Weimarer Republik [schieden] aus ihren Ämtern aus und an deren Stelle trat die Generation der Funktionäre der zweiten und dritten Reihe des Nationalsozialismus“ (456), die überhaupt kein Interesse mehr hatte an irgendwelchen Erinnerungen an die eigene Vergangenheit. Ende der 1970er Jahre (dritte Phase) sieht der Autor dann eine Wende zur Wiederentdeckung des Erinnerungszeichens: Eine neue Generation „entdeckte die Spuren der Vergangenheit vor der eigenen Haustür“ (456), die „Zeitzeugen der nationalsozialistischen Ära schieden aus den Ämtern aus und hatten nun durch die Aufdeckung ihrer persönlichen Vergangenheit weniger zu verlieren. Die Erinnerung war weniger gefährlich geworden“ und die Bundesrepublik ein „gefestigter Staat, [der es sich] leisten [konnte], sich mit der eigenen Vergangenheit kritisch auseinanderzusetzen“ (458). Dennoch gab es nach wie vor, selbst nach der Rede von Bundespräsident Richard von Weizsäcker am 8. Mai 1985, in den politischen Lagern sehr unterschiedliche Beurteilungen der nationalsozialistischen Vergangenheit und der daraus zu ziehenden Folgerungen. Abschließend denkt Kirschbaum über die Wirkung von Erinnerungszeichen nach und kommt zum Schluss: Im Alltag verfehlten sie meist ihren von den Stiftern zugedachten Sinn, Aufmerksamkeit zu erzeugen. Nur wenn sich „eine Gedenktradition an einem Zeichen etablieren lässt, ist es nicht nutzlos. Ein Ewigkeitsanspruch lässt sich aber daraus nicht ableiten. Geschichte, Gedenken und Erinnerung unterliegen Konjunkturen und jede Generation bewertet mit den Fragen ihrer Zeit die Vergangenheit, die Erinnerungswürdigkeit einzelner Elemente der Geschichte und damit auch die Erinnerungszeichen neu.“ (461)
Jan Niko Kirschbaum ist eine glänzende, wichtige und äußerst lesenswerte, auch spannend zu lesende Studie gelungen, die uneingeschränkt der geschichtlichen Aufklärung verpflichtet ist und wertvolle Erkenntnisse bringt. Der Präzision der gesamten Arbeit wäre es jedoch angemessen gewesen, den Nazi-Terminus „Drittes Reich“, mit dem der Terror-Staat sich selbst überhöhen wollte, in Anführungszeichen zu setzen, was durchgehend nicht geschieht. Damit wird ein Mythos der Nazis sprachlich übernommen, der vom Autor in keiner Weise beabsichtigt ist, der aber offensichtlich ihm nicht und auch während des Dissertationsverfahrens niemandem aufgefallen ist. Selbst Lokalzeitungen machen dies mittlerweile richtig, und gerade in der gegenwärtigen Zeit vermehrter rechtsextremer Umtriebe muss hier eine stringente sprachliche Sensibilität gerade in einem wissenschaftlichen Werk eingefordert werden. Streiten kann man darüber, ob angesichts der Sprachbemühungen um Gendergerechtigkeit nun aber auch alle diesbezüglichen Substantive umgeschrieben werden müssen: An die „Einwohnenden“ (127, Anm. 329) mag man sich noch gewöhnen; gänzlich fragwürdig ist es aber, wenn feststehende historische Begriffe wie „Studentenbewegung“ 1968 in „Studierendenbewegung“ (259) umbenannt werden. Die „engagierte Jagd auf jeden falsch gesetzten Buchstaben und jedes abtrünnige Komma“ (463), wie in der Danksagung formuliert, ist nicht vollständig gelungen, was aber in einer opulenten, fast 500 Seiten umfassenden Schrift wohl nicht zu vermeiden ist.