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Burkhart Lauterbach
„Die Ferien sind vorbei“. Überlegungen zur Kulturanalyse touristischer Reisefolgen
(Kulturtransfer. Alltagskulturelle Beiträge 11), Würzburg 2021, Königshausen & Neumann, 301 Seiten, ISBN 978-3-8260-7225-3
Rezensiert von Burkhard Pöttler
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 02.09.2021
Unter dem von Martin Suter entlehnten Titel „Die Ferien sind vorbei“ widmet sich Burkhart Lauterbach „Überlegungen zur Kulturanalyse touristischer Reisefolgen“ und versucht damit eine Forschungslücke in der Tourismus- und Mobilitätsforschung – nicht nur unseres Faches – zu schließen. Schon der Titel des ersten Kapitels, das als Einleitung gesehen werden kann, „Von Schirmmützen und Schallplatten, mündlichen Überlieferungen und begrifflichen Unklarheiten“, legt nahe, dass der Autor an eine gut lesbare, teilweise literarische Präsentation seiner Forschungsergebnisse gedacht hat. So beginnt er – nach zwei Zitaten von Kurt Tucholsky und Bertolt Brecht – mit der Schilderung eigener Reiseerfahrungen seit der frühen Jugendzeit und betont darin auch die große Bedeutung, die Musik für seine Reiseerinnerungen hat. In der Auseinandersetzung mit „Mobilität und Mobilitäten“ geht Lauterbach am Beispiel eines Zitats von John R. Urry kritisch auf das unter dem Label „Mobility Turn“ firmierende Konzept von Mobilitäten als allumfassender Analysekategorie ein und schließt sich der Argumentation von Ramona Lenz an, dass mit diesem Konzept doch ein zu weit gefasster Erklärungsanspruch einhergehe. Denn Bewegung sei „das zentrale Charakteristikum des Menschseins“, weshalb „mehr oder weniger sämtliche Wissenschaften in der Betrachtung und Einschätzung dessen, was sich bewegt, involviert sind“ (13).
Intensiver setzt sich Lauterbach mit dem Begriff des Tourismus auseinander, indem er nicht nur fachinterne Definitionen und Beschreibungen, etwa von Dieter Kramer und Orvar Löfgren heranzieht, sondern auch zahlreiche Belege aus autobiografischer und belletristischer Literatur, die die subjektive Bedeutung des Reisens für die jeweiligen Autorinnen und Autoren hervorheben. Die Frage der Grenzziehung zwischen touristischem und beruflichem Reisen – hier weist der Autor auf die Definition von Jörn W. Mundt hin, der „alle Reisen, unabhängig von ihren Zielen und Zwecken“ unter dem Oberbegriff Tourismus subsummiert, wenn „die Rückfahrt Bestandteil der Reise ist“ (18 f.) – führt Burkhart Lauterbach zu zahlreichen exemplarisch angeführten Unterkategorien vom Kongress- bis zum Katastrophentourismus, bevor er darlegt, dass er in weiterer Folge den allgemeinen Begriff Tourismus „unter besonderer Berücksichtigung freizeitkultureller Aktivitäten“ (19) verwenden wird. In der Auseinandersetzung mit verschiedenen Facetten von Mobilität betont er am Beispiel eines Artikels aus der Süddeutschen Zeitung von 2015 die prinzipiellen Unterschiede zwischen „Flucht-Migration“ und „Urlaubstourismus“ (19 f.). Deshalb ist er skeptisch gegenüber den Ansichten von Tom Holert und Mark Terkessidis, die auch Tourismus als „eine Art Migration“ sehen und deshalb fordern, „von einem Kontinuum der Formen der temporären Mobilität in Zeit und Raum aus[zu]gehen“ (21), das auf der Freiheit von Arbeit basiere und daher berufliche Mobilität ausschließe. Mit einem Hinweis auf die drei Phasen vor, während und nach der Reise weist Burkhart Lauterbach auf das Forschungsdesiderat hin, was eigentlich von einer touristischen Reise nach der Rückkehr übrig bleibt, und stellt fest: „Es geht im Grunde genommen darum, herauszufinden, ob und wie welche Kulturtransfers durch touristisches Reisen hinein in das jeweilige Alltagsleben geschehen, zudem, für welche Zeiträume derartige Aus- und Nachwirkungen gelten.“ (22)
Unter „Empirie“ erfahren wir, dass sich die Untersuchung zentral auf 30 schriftlich beantwortete Rückmeldungen zu einem Fragebogen (davon drei E-Mails) stützt. Die Beiträge kommen im Wesentlichen aus dem Kultur- und Sozialbereich und regional schwerpunktmäßig aus München und Südbayern. Die Fragen bezogen sich auf eine einzige (nämlich aus Sicht der Beantwortenden die wichtigste) Reise und ihre Auswirkungen auf das weitere Leben, eine Frage, die nur in zwei der Antworten missverstanden wurde. Mit Bezug auf Andrea Ploder und Johanna Stadlbauer liegt der Befragung die „Idee der wissenschaftlichen Selbsterzählung“ (24) zugrunde, in der die Befragten nicht nur über die spezielle Reise, sondern auch über ihre berufliche Situation, das Freizeitverhalten und ihre Einstellung zum Reisen allgemein schreiben sollten. Der Fragebogen ist im Anhang beigegeben.
Das Kapitel „Von Reisefolgen“ bietet einen kurzen Überblick über die Geschichte des Tourismus und der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, um dann über aktuelle statistische Daten der Tourismusanalyse für 2019 die wichtigsten Motive heutiger Tourist*innen zu nennen, unter denen „[k]ulturelle Motive im engeren Sinn […] erstaunlicherweise keine bedeutende Rolle [spielen]“ (32). Anhand einiger Beispiele, vorwiegend aus Nachbardisziplinen, weist Lauterbach auf die Bedeutung der sich seit den 1990er Jahren entwickelnden „Reisefolgenforschung“ hin, die er auch als Ziel seiner eigenen Forschung sieht, und zwar mit der Absicht, das „Moment des Bleibenden“ (38) in den Mittelpunkt zu stellen.
Zum Titel der Reihe passend, beschäftigt sich das Kapitel „Von kulturellen Transfers“ zunächst mit theoretischen und methodischen Überlegungen. Ein historischer Rückblick, beginnend beim oft durch den Nationalismus des 19. Jahrhunderts geprägten Kulturvergleich, dem das zunächst geschichtswissenschaftliche Konzept des Kulturtransfers als Gegenkonzept gegenübergestellt wurde, das zunächst speziell den kulturellen Austausch zwischen Deutschland und Frankreich im Blick hatte, folgen Überlegungen zum Konzept der Aneignung. Über Peter Burkes Begegnungsmodell und die Histoire Croisée, die die Vielzahl der Verflechtungen und Bewegungsrichtungen berücksichtigt, kommt Lauterbach zum Souvenir, wobei er etwa mit Roland Barthesʼ Analyse der Miniatur-Eiffeltürme als Reiseandenken auf die Produktion von Urlaubssehnsüchten eingeht. Diese „Traumfabrik Tourismus“ (49), die schon in den 1950er Jahren etwa das Wunschbild Italien befördert hat, analysiert Lauterbach nicht nur mit Bezügen zu (Pop-)Musik und Literatur, sondern kontextualisiert sie im Rahmen der fachlichen Diskurse zu Kultur-, Illusions- und Simulationsindustrie sowie Massenkultur, um nur einige der behandelten Konzepte zu nennen. Die (symbolische) Aneignung funktioniere dabei nach derselben Logik, etwa bei Gebäuden nicht nur anhand der Originale, sondern auch bei deren Nachbauten in entsprechenden Themenparks und -hotels. Vielfältigen Formen der Materialisierung von Mobilität im Rahmen touristischer Aktivitäten stellt Lauterbach das bewusste Nicht-Reisen gegenüber, das teilweise schon als den gesellschaftlichen Erwartungen widersprechend gedeutet wird.
Bei den „Möglichkeiten“, mit der „tourismusbezogenen Kulturtransferforschung“ (62) an Studien der Kultur- und Sozialwissenschaften anzuknüpfen, geht der Autor unter anderem (wieder) auf Arbeiten Marc Augés, Hans Peter Hahns, Bruno Latours oder Kerstin Schaefers ein und überlegt mit ihnen, wie sich Reiseerfahrungen (zum Beispiel bei der Nutzung der Métro in Paris, durch das Radfahren in den Niederlanden oder durch die Erfahrungen auf Flughäfen) auf das Leben nach dem Urlaub auswirken können. Pragmatische Überlegungen zur Erreichbarkeit von Reisezielen sind es schließlich auch, die unter anderen als Auswahlkriterien für eine Urlaubsdestination sichtbar werden, wenn Lauterbach am Ende des Kapitels Auszüge aus seinen Fragebogenergebnissen präsentiert.
Die „Veränderungen durch touristisches Reisen“, die in der Literatur (Lauterbach nennt etwa Henry Miller, Simone de Beauvoir oder Johann Wolfgang von Goethe) beschrieben werden, kontextualisiert Lauterbach in der Ritualtheorie Arnold van Genneps und Victor Turners, stellt insgesamt jedoch einen Mangel an einschlägigen Untersuchungen aus kulturwissenschaftlicher Perspektive fest, auch wenn es – etwa vonseiten der Philosophie und Tourismusgeografie – Ansätze gibt, die speziell die Veränderungen durch das Reisen (nicht nur auf der Seite der Tourist*innen) behandeln. Genauer geht der Autor dann auf Arbeiten aus der Psychologie und Anthropologie ein, die für seine Untersuchung von besonderer Bedeutung waren: Für die Psychologie sind dies besonders jene von Martina Zschocke und Jessica de Bloom, für die Anthropologie hingegen die Kritik an typologisierenden und daher (für unser Fach) zu oberflächlichen Untersuchungen, denen er die Vorschläge von Orvar Löfgren und Ingrid Thurner zu einer stärker differenzierenden Betrachtung gegenüberstellt.
Stärker den Befunden seiner eigenen Umfrage wendet sich Burkhart Lauterbach im Kapitel „Von Handlungen und Wandlungen während der Reise“ zu. Dass seine Auswahl an Informantinnen und Informanten keineswegs „einen Querschnitt der deutschen Gegenwarts-Bevölkerung […] repräsentieren“ kann, sieht er „bei einer Exploration zunächst“ nicht als Problem (96) und fasst das empirische Material hinsichtlich der Aktivitäten am Urlaubsort in vier Gruppen zusammen: nach rekreativen, bildungsbezogenen sowie kommunikativen Aspekten und dem Schwerpunkt auf dem „Unterwegs-“ beziehungsweise „Woanders-Sein“. Am besten gefallen haben dabei den Reisenden die verschiedenen „natürlichen oder als natürlich betrachteten Reisebedingungen“ wie etwa Wüstenerlebnisse und die „soziokulturellen Reisebedingungen“ (97) wie Lebenslust und Leichtigkeit, während sich Kritikpunkte gegenüber für sie unerfreulichen Reisebedingungen, den Bereisten, anderen Reisenden, den Mitreisenden, aber auch gegenüber sich selbst ergaben. Ergänzend dazu bietet das Unterkapitel „System und Lebenswelt“ – auch unter Rückgriff auf Jürgen Habermas – Überlegungen zu Kommunikationsformen und -weisen Reisender vom Brief über die (Bild-)Postkarte bis zur Informationstechnologie. Der Enzensbergerʼschen Frage der Relation zwischen Postkarte und privater Fotografie wird ebenso nachgegangen wie charakteristischen verbalen Botschaften in der Kommunikation. Die „[t]ouristische[n] Selbst-Veränderungen“ während der Reise werden unter anderem anhand von Beispielen aus Paris, München, Hawaii, Wien und Rom behandelt, wobei der Aspekt biografischer Umbrüche anhand von Grußbotschaften und literarischen Beispielen erörtert wird.
Das zentrale Kapitel handelt von „Handlungen und Wandlungen nach Abschluss der Reise“. Nach einführenden Überlegungen anhand autoethnografischer Beobachtungen des Autors und Auszügen aus den Fragebogenantworten werden unter anderem Gedanken Jost Krippendorfs zur Nachurlaubsphase reflektiert, um dann in sieben Unterkapiteln einzelne Aspekte dieser Phase zu analysieren. Zu den „Aneignungen und Mitteilungen“ zählt Lauterbach Gegenstände der materiellen Kultur, Dokumentations- und Vermittlungsmedien sowie Immaterielles, wobei er nach Überlegungen zum möglichen Wertewandel im Urlaub und zu den Erzählungen danach speziell auf Souvenirs und Reiseandenken fokussiert. Welche „Erinnerungen“ mit diesen Reiseandenken verknüpft sind und wie mit ihnen umgegangen wird, ist ebenso Thema wie die „Funktionen“ der mitgebrachten Objekte, etwa als Lieblingsgegenstand, als Vermittlungsmedium oder als Hilfsmittel, um das flüchtige und einmalige Erlebnis des Urlaubs zu konservieren. Zu den „Vorerfahrungen und Nacherfahrungen“ zählt Lauterbach zum Beispiel Filme, die uns schon vor Antritt einer Reise prägen, aber auch zur vertiefenden Auseinandersetzung mit eigenen Erinnerungen beitragen. Hier geht er auch auf das Assmannʼsche Konzept des kommunikativen Gedächtnisses ein, bevor spezielle – nicht immer positive – Verhaltensweisen im Umgang mit Reiseerfahrungen analysiert werden. Dass auch Städtetourismus durchaus Erholungswert haben kann und nicht unbedingt als stressbelastet zu sehen ist, ist für viele Leserinnen und Leser wohl nicht überraschend, wird hier jedoch auch durch eine Studie aus der Psychiatrie belegt.
Unter der etwas irreführenden Formulierung „Formen der Bewältigung“ geht es zwar auch um die Verarbeitung von negativen Eindrücken oder Folgen des Reisens durch schriftliches Festhalten oder mündliches Erzählen; es werden aber ebenso viele positive Folgen analysiert und dies sowohl anhand der Literatur, wobei Simone de Beauvoir einen Schwerpunkt bildet, als auch bei der Auswertung der Fragebögen, die die unterschiedlichen Umgangsformen mit dem Urlaubsende dokumentieren. Schließlich wendet sich Lauterbach den negativen Stereotypen zu, die in diesem Rahmen geäußert werden. „Positionierungen“ nach der Reise berühren nach Lauterbach durchaus Unterschiedliches: Verständnisprobleme können zwischen Rückkehrer*innen und den Daheimgebliebenen entstehen, wenn die Reise zu große Veränderungen ausgelöst hat und umgekehrt wird von Reisenden oft betont, wieder, wie in der „Reisegesellschaft“ Elizabeth von Arnims, „ganz der Alte“ (177) zu sein. Die Versuche der Selbstoptimierung besonders bei Rucksackreisenden können durchaus im Sinne des Neo-Liberalismus gesehen werden, auch wenn das „Konzept von den Selbstaktualisierungsbedürfnissen“ (179) von Abraham Harold Maslow bereits deutlich älter ist. Als wesentliche Positionierung sieht Lauterbach auch die Tatsache, dass meist das Ende einer Reise oder eines Urlaubs den Beginn des Planens für oder zumindest Träumens von einem neuen, besseren konstituiert, egal ob bewusst ein neues oder ein bereits bekanntes Ziel gewählt wird. Das letzte Unterkapitel der Aktivitäten und Einstellungen nach dem Urlaub widmet sich den „Verweigerungen“ der beiden letztgenannten Praktiken der Urlaubsvorbereitung und kann sowohl „konservativer oder auch elitärer Kulturkritik“ (184) entspringen als auch der Sehnsucht nach dem Bekannten, wie in Udo Lindenbergs Song über die Reeperbahn.
„Von Flexibilität und Kreativität“ geprägt sieht Lauterbach zunächst die Freiheiten bei der Planung der Reise (freilich nur bei denen, die sich diese Freiheiten auch leisten können), aber in der Folge auch jene auf der Reise selbst, wie die Freiheit, Reisetipps auch zu ignorieren, mehr oder weniger Kontakt zur ortsansässigen Bevölkerung aufzunehmen oder Ähnliches. Die Optimierung von Kenntnissen und Fähigkeiten beim Reisen (vor allem zur immer wieder gleichen Destination) sieht er durchaus als Reisefolge und zugleich als Distinktionsmöglichkeit gegenüber den „Erstbesuchern“ (191). Die Analyse der „Reise-Analyse“ der „Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen“ für 2019 mit einem Schwerpunkt auf der Kommunizierbarkeit der Urlaubserlebnisse, führt Lauterbach zum Aspekt der „Bildung“ am Beispiel des Inkorporierens von Sprachkenntnissen als kulturellem Kapital und der Flexibilität, etwa zwischen US-amerikanischem und britischem Englisch zu differenzieren. „Reale und ideale Ziele“ decken sich bei einem Teil der von Lauterbach Befragten ganz oder zumindest teilweise. In anderen Fällen gibt es oft eine große geografische Distanz zwischen der beschriebenen realen Destination und einem Sehnsuchts- oder Wohlfühlort, die jedoch Ähnlichkeiten (Strand, Ruhe, Natur) aufweisen können. Kreativität und Flexibilität sind bei allen Formen zu finden, etwa wenn es um die Optimierung von Aufenthalten an einem schon früher besuchten Ort oder auch um den Wechsel von der Urlaubsreise zum Daueraufenthalt geht.
Ausgehend von Husserls und Heideggers Einschätzungen der Wirkungen des Reisens geht Burkhart Lauterbach im Kapitel „Von Tendenzen der Selbst-Kosmopolitisierung“ zunächst auf unterschiedliche Meinungen ein, was Reisen zur Völkerverständigung beitragen könne. Der tendenziell pessimistischen Sicht (etwa Krippendorfs) schließt er die Forderung an, „im Rahmen einer potentiell ganzheitlichen Betrachtung der Begegnungsproblematik eine Ergänzung der inter-kulturellen durch die intra-kulturelle Dimension“ (215) vorzunehmen. Im Unterkapitel „Grenzüberschreitungen“ wird auf die Hannerzʼsche Meinung hin, dass Tourismus „weitgehend ein Zuschauersport“ sei (217), der Vergleich von Tourismus und Sportereignissen – besonders anhand des Stierlaufs in Pamplona – bemüht oder mit Karlheinz Wöhler festgestellt: „Es geht schon lange nicht mehr darum, mehr vom fremden Anderen zu erfahren, sondern um ein Mehr des Andersseinkönnens zu konsumieren.“ (220) Skeptisch wird auch gefragt, wie man von Urlaubsreisen eine Wirkung „in Richtung verstärkter persönlicher Selbst-Kosmopolitisierung“ (222) erwarten könne, wenn nach empirischen Untersuchungen schon der gesundheitliche Erholungseffekt nur wenige Tage bis Wochen andauere. In „Kulturelle Prozesse“ geht es zunächst um die zunehmende Bedeutung der Neurowissenschaften auch für kulturwissenschaftliche Fragestellungen, wie zum Beispiel solche zum Sehen und zur Ästhetik, die im Tourismus eine besondere Rolle spielen und auch Inhalt einer Medienwirkungsforschung sind. Über Urrys „ästhetischen Kosmopolitismus“ (230) werden positive, aber auch negative Effekte der Kosmopolitisierung angesprochen, um Möglichkeiten einer europäischen Integration – gefördert auch durch Tourismus – zu diskutieren. „Stereotype“ untersucht Lauterbach am Beispiel US-amerikanischer und deutscher Paris-Tourist*innen, wobei er bei Letzteren die Zeit der NS-Besatzung für viele (auch in der eigenen Familie) als prägend sieht. Für die Hoffnung, Tourismus trage zu mehr Verständnis für Andere bei, bringt der Autor sowohl positive als auch negative Beispiele und sieht letztlich die Möglichkeiten „der Selbst-Europäisierung oder gar Selbst-Kosmopolitisierung“ (242) ebenso wie jene der oben angesprochenen Flexibilität als abhängig von vielfältigen historischen Voraussetzungen und zahlreichen aktuellen Faktoren.
Den resümierenden Abschluss bilden zunächst durchaus positive Perspektiven für eine intensivierte Tourismusforschung, die von weiterer Zusammenarbeit verschiedener Disziplinen profitieren und so die vielen noch offenen Fragen genauer unter die Lupe nehmen könne, wie auch von der Covid-19-Pandemie geprägte Überlegungen zu „krisenhaften Erscheinungen“. Danach werden jedoch auch Grenzen des Tourismus im Sinn von „Katastrophen oder Hazards“ (248) angeführt, die Lauterbach basierend auf der einschlägigen Forschungsliteratur in sieben Gruppen zusammenfasst: Verkehrsunfälle, allgemeine Kriminalität, innenpolitische Auseinandersetzungen, internationaler Terrorismus, Kriege, Naturkatastrophen und Folgen des Klimawandels sowie schließlich Krankheiten und Epidemien. Ulrich Becks Begriff der (Welt-)Risikogesellschaft wird hier sichtbar, dennoch führten diese Faktoren lange nicht zu einer Einschränkung des Tourismus. Lauterbach kann aber in seinem Buch abschließend (mit August 2020) auch noch den damaligen Stand der Covid-19-Pandemie mitberücksichtigen, der nun tatsächlich einen weitgehenden Stillstand (nicht nur) des Tourismus bewirkt hat – wobei die hier genannten Überlegungen bereits zu einem Gutteil überholt sind: Der bei ihm gerade aktuellen Frage nach der zweiten Welle ist bekanntlich bereits die nach der dritten gefolgt und auch die Verschiebungen von Reiseplänen für 2020 werden 2021 oftmals wieder aktuell. Negative Folgen des Nicht-Reisens im Inland, Alternativen zu physischen Reisen und welche Auswirkungen sie auf Kosmopolitisierung oder Kulturtransfer haben, werden kurz angesprochen.
Resümierend kann festgehalten werden, dass die Publikation eine anregende, teils autobiografisch geprägte Lektüre darstellt, was nicht nur die zahlreich vertretenen (meist Literatur-)Zitate am Beginn jeden Kapitels fördern, sondern auch der eher locker gehaltene Schreibstil des Autors. Dabei bietet das Buch einen guten Überblick und eine intensive Auseinandersetzung mit unterschiedlichsten Ansätzen einer interdisziplinären Tourismusforschung und neben den Ergebnissen der eigenen explorativen Studie zahlreiche Belege aus Forschungsliteratur, Belletristik oder Musik, was auch aus dem über 30 Seiten umfassenden Literaturverzeichnis sichtbar wird. Gemäß seiner eigenen Forderung, statt einem „intradisziplinären Differenzparadigma“ zwischen gegenwartsorientierter und historischer Forschung einem „Integrationsparadigma“ (229) zu folgen, das historische Forschung mit einschließt, ohne die wir nicht zu Erkenntnisgewinn gelangen könnten, geht Burkhart Lauterbach auch auf Entwicklungen ein, die teilweise zumindest ins 18. Jahrhundert zurückreichen, auch wenn dies nicht ausreicht, alle Fragen „ganz genau“ beantworten zu können, um abschließend eine beliebte Formulierung des Autors zu zitieren.