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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Markus Hofer/Andreas Rudigier

Die vierzehn Nothelfer. Das himmlische Versicherungspaket

(Vorarlberg Museum, Schriften 49), Innsbruck/Wien 2020, Tyrolia, 191 Seiten mit 33 Farbabbildungen, ISBN 978-3-7022-3840-7


Rezensiert von Walter Pötzl
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 09.09.2021

Nach Ausweis des Literaturverzeichnisses der vorliegenden Publikation von Markus Hofer und Andreas Rudigier boomt seit zwei Jahrzehnten die Beschäftigung mit den Vierzehn Nothelfern, etwa: Lindenberg 2006, Lauerz (Schweiz) 2007, Petersberg 2008, München 2011, Kevelaer 2016, Eichstätt 2016. Das Germanische Nationalmuseum stellte bis Oktober 2020 in der Ausstellung „Helden, Märtyrer, Heilige. Wege ins Paradies“ die Heiligen in das Modell der Heldenreise des amerikanischen Mythologen Joseph Cambell, darunter auch die Nothelfer Georg und Christophorus. [1]
Die Beschäftigung mit Heiligen sollte in das breite Spektrum der Kultzeugnisse einsteigen und sich nicht mit Legende und Ikonografie begnügen, so wichtig diese auch sind. [2] Die beiden Kunsthistoriker Hofer und Rudigier stellen, bevor sie zu den Nothelfern kommen, vier Kapitel zur allgemeinen Geschichte der Heiligenverehrung voran, die sie als Lebensform (vergangener Zeiten) begreifen. Sie stellen dabei klar, wenn auch ohne Quellenangabe, wie es das Konzil von Trient 1563 entschied, dass die Heiligenverehrung nicht verpflichtend (und damit nicht heilsnotwendig) sei, was in der Konfessionspolemik oft nicht beachtet wird. [3] Der seit der Kritik der Aufklärung weit verbreiteten Ablehnung von Wundern, die heute vielfach wenigstens in einer ausgeprägten Skepsis fortlebt, stellen die Autoren die Erkenntnisse des Arztes Luc Campana gegenüber, der die Lebenssituation des einfachen Volkes analysiert und in Bezug zum Zustand der zeitgenössischen Medizin gesetzt hat. Mit guten Gründen resümieren die Autoren: „Das Thema Wunder ist keine Frage der Physik.“ (45) Die Placebo-Forschung der Pharmakologie erklärt manches Phänomen, das in die Nähe des Wunders rückt. Die Psychoneuroimmunologie, eine junge Wissenschaftsdisziplin, bestätigt die Wirksamkeit von Glauben beim Heilungsprozess allgemein und bezieht das auch auf den Glauben an ein höheres Wesen. [4] Die auf die Fürsprache der Heiligen bewirkten Wunder ereigneten sich vor allem deswegen. Wir können heute nicht feststellen, ob im theologischen Sinn ein Wunder geschah. Historisches Faktum bleibt aber, dass die Votantin oder der Votant fest an die Hilfe durch ein Wunder geglaubt haben. Von den Geistlichen, aber auch von weltlichen Beamten wurden sie examiniert und zum Geschehen wurden Zeugen vernommen und schließlich wurden darüber Urkunden gesiegelt. [5]
Die beiden Autoren befassen sich mit der Regensburger (auch Frankenthaler) Reihe der Nothelfer: Achatius, Ägidius, Barbara, Blasius, Christophorus, Cyriakus, Dionysius, Erasmus, Eustachius, Georg, Katharina, Margareta, Pantaleon und Vitus. Selbst dem, der sich nur beiläufig mit Heiligen befasst, fällt auf, dass etwa die Hälfte von ihnen mehr oder minder unbekannt ist. Die Autoren widerstehen dem immer wieder erweckten Eindruck, es seien bewusst Heilige zu einer Gruppe zusammengefügt worden, um möglichst alle Stände in all ihren Anliegen anzusprechen. Ein Altar der 14 Nothelfer wird, ohne Aufführung der Namen, erstmals 1284 in Krems genannt. Damals hatten sich die Spezialpatrone noch nicht entwickelt. Gegen die bewusste Zusammenfügung gerade dieser Heiligen spricht deren ganz unterschiedliche Kultintensität. Hätte man bewusst eine Gruppe gebildet, so wäre zu erwarten gewesen, dass etwa so hochverehrte Heilige wie Sebastian, Antonius Eremita, Laurentius, Martin und Nikolaus, der dann oft eingewechselt wurde, oder Elisabeth, die als einzige Deutsche sogar Aufnahme in die Legenda aurea fand, berücksichtigt worden wären. Wer einigermaßen mit der Kultgeschichte der Heiligen vertraut ist, denkt bei dieser Liste an das Reliquienverzeichnis einer Altarweihe, in dem sich bekannte, weniger bekannte und unbekannte Heilige finden. Ursprünglich gehörte auch Magnus Martyr (nicht Magnus von Füssen) dazu, verschwand aber dann, als man unter dem Zwang der Zahlensymbolik (2 x 7) die Vierzehnergruppe bildete. Die Namen der in einem Altar bei der Weihe eingeschlossenen Reliquien blieben nicht auf der Urkunde verborgen, die im Archiv verwahrt wurde, sondern wurden, wie das Beispiel in Eichstätt zeigt (jetzt im Diözesanmuseum), an die nahe Wand geschrieben. Ein Altar mit den Reliquien der Nothelfer war offensichtlich der Ausgangspunkt des Kultes. [6]
Im Hauptteil werden die 14 Nothelfer katalogartig nach einem derzeit üblichen Muster vorgestellt. Die jeweilige Eröffnungsseite bringt den Gedenktag (bei Vitus muss es 15. statt 5. Juni heißen), erklärt den Namen und entwirft eine Visitenkarte (z. B. Barbara: Selbstbewusste junge Frau, Märtyrerin, Nothelferin). Die Heiligen werden dann unter folgenden Aspekten vorgestellt: Leben und Werk, Legenden und Verehrung, als Nothelfer (Patronate), Attribute, Gebet, Wetterregel und Darstellungen in Vorarlberg. In der Regel sind es Einzeldarstellungen. Barbara, Christophorus, Dyonisius und Erasmus werden daneben auch in der Gruppe der 14 Nothelfer vorgestellt, Eustachius, Katharina, Margaretha, Pantaleon und Vitus nur in der Gruppe. Offensichtlich fehlte gegen Ende der Platz, denn es gibt in Vorarlberg sicher auch interessante Darstellungen der beiden Damen und des hl. Vitus. Auf „Sammelbildern“ gruppieren sich die Vierzehn gern um Christus (90, 130), um Maria (39) oder um einen aus ihrer Mitte (169). Ungewöhnlich ist die Gruppierung um Christus auf dem Ölberg (160), in einer Kapelle oder um einen Heiligen Wandel (176) auf einem Bildstock.
Bei den Patronaten sind vielfach Häufungen aufgetreten, die in Nachschlagewerken kulminieren. [7]  Hier wäre insgesamt eine Durchforstung angesagt mit der Überprüfung, was wirklich als Patronat aus der Legende und aus dem Kult begründet ist. Dabei würde auch deutlich, dass sich Patronate bei Zünften und Bruderschaften entwickelten, die mitunter nicht mehr nachvollziehbar sind. Lokal beschränkte Patronate dürfen nicht verallgemeinert werden. Die Anrufung der Heiligen war über Jahrhunderte „ein zentraler Bestandteil der Lebensbewältigung“ (Rückseite). Die Heiligen werden angerufen (nicht angebetet), sind Vermittler, Fürsprecher. Wunder wirken nicht sie, sondern Gott bzw. Christus. Dem „Katalog“ stellen die Autoren das Kapitel „Nöte und Nothelfer heute“ voran, das mit dem Hinweis endet, dass die früheren Nothelfer allen zur Verfügung standen und Gebete bis heute kostenlos sind.
Das Buch basiert auf einem oberflächlich wirkenden Literaturverzeichnis, aus dem nur höchst selten zitiert wird. Das leicht essayistisch Dargestellte überzeugt zwar, doch mangels exakter Quellenangaben verliert es im wissenschaftlichen Bereich an Prägnanz. Für eine breitere Leserschaft bleibt es dennoch ein Gewinn. Den Untertitel „Das himmlische Versicherungspaket“ hätte man sich sparen können.

Anmerkungen


[1] Vgl. dazu meine Rezension im Bayerischen Jahrbuch für Volkskunde 2020, S. 311‒313.


[2] Walter Pötzl: Die Verehrung der Vierzehn Nothelfer vor 1400. In: Jahrbuch für Volkskunde (Görres-Gesellschaft) 23 (2000), S. 157–186, darin einleitend der Abschnitt „Das breite Spektrum der Kultzeugnisse“; dort auch die ältere Literatur.


[3] Heinrich Denzinger u. Adolf Schönmetzer: Enchiridion symbolorum definitionum et declarationum de rebus fidei et morum. Freiburg 1963, Nrn. 1821–1825.


[4] Michaela Ott u. a.: Psychoneuroimmunologie – kann Glaube heilen. In: zaenmagazin 10 (2018), H. 1, S. 26–35.


[5] Walter Pötzl: Mirakelurkunden der Wallfahrt zum Wunderbarlichen Gut in Hl. Kreuz in Augsburg. Das Ringen um die Wahrheit in der evangelisch dominierten Reichsstadt. In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde 2019, S. 125–148.


[6] Walter Pötzl: Die Verehrung der Vierzehn Nothelfer vor 1400 (wie Anm. 2), S. 184 f.; vgl. Peter Ruderich: Die Wallfahrtskirche Mariae Himmelfahrt zu Vierzehnheiligen. Eine Baumonographie (Bamberger Schriften zur Kunst und Kulturgeschichte 1). Bamberg 2000, S. 21–25: Entstehung und Verbreitung der Nothelferverehrung vor 1445, mit Karte.


[7] Vgl. z. B. bei Richard Beitl: Wörterbuch der deutschen Volkskunde. Stuttgart 1974, bes. die Artikel zu den Heiligen, z. B. zu Katharina.