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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Aktuelle Rezensionen


Christoph Bareither/Ingrid Tomkowiak (Hg.)

Mediated Pasts – Popular Pleasures. Medien und Praktiken populärkulturellen Erinnerns

(Kulturen populärer Unterhaltung und Vergnügung 5), Würzburg 2020, Könighausen & Neumann, 270 Seiten mit Abbildungen, ISBN 978-3-8260-6774-7


Rezensiert von Marguerite Rumpf
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 15.09.2021

Mit „Mediated Pasts – Popular Pleasures. Medien und Praktiken populärkulturellen Erinnerns“, herausgegeben von Christoph Bareither und Ingrid Tomkowiak, legt die Kommission „Kulturen populärer Unterhaltung und Vergnügung“ der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde e. V. (dgv) ihren fünften Band vor. „Mit und durch Medien werden Vergangenheiten gestaltet“ (7), heißt es in der Einführung des Sammelbandes, der aus der fünften Arbeitstagung der Kommission hervorgegangen ist. Das Thema kommt dabei dem Bedarf nach, sich mit den Zusammenhängen „von medialisiertem Erinnern mit Kulturen populärer Unterhaltung und Vergnügung“ (7) auseinanderzusetzten. In der Einleitung wird von den Herausgebenden das Themenfeld skizziert und darauf verwiesen, dass in den Beiträgen zum einen Erinnerungsprozesse „als Praktiken der zeitlichen, räumlichen und soziokulturellen situierten Vergegenwärtigung von Vergangenheiten“ (7) in den Blick genommen werden. Zum anderen wird verdeutlicht „wie verschiedene Medien die Vergegenwärtigung der Vergangenheit prägen“ (7).
Die Publikation beginnt mit zwei Beiträgen zu dem ZDF-Film „Unternehmen Reichspark“, einer Fake-Dokumentation von Jan Böhmermann, die sich mit der Planung eines Freizeitparks beschäftigt, der die NS-Vergangenheit auf vergnügliche Weise aufbereiten möchte. Kaspar Maase richtet seine essayistischen Überlegungen dazu auf zwei Betrachtungsweisen: Das nationalsozialistische „Dritte Reich“ als Zustimmungsdiktatur und als Alltag. Während Maase den Film aus der Perspektive der Populärkulturforschung betrachtet, analysiert ihn Sharon Macdonald im Kontext der Heritage Studies.
Der Band ist danach in zwei weitere thematische Abschnitte unterteilt. Unter der Überschrift „Medien und Praktiken erinnernden Vergnügens“ folgen sieben Beiträge, von denen einige hier herausgegriffen werden sollen. Marketa Spiritova setzt sich in ihrem Beitrag mit den Inszenierungen von "nationalen Traumata" in der tschechischen Rockmusik auseinander und beleuchtet, wie Liedtexte zur Konstruktion und Festigung des Opfer- beziehungsweise Märtyrermythos werden können. Im Mittelpunkt stehen historische Narrative und ihre Tradierung, wobei die Autorin deutlich herausarbeitet, dass es „bestimmte[r] Materialitäten und Technologien“ (53) bedarf, um Erinnerungen an eine Vergangenheit hervorzurufen.
Fotopraktiken an Erinnerungsorten sind Thema in Christoph Bareithers Aufsatz „Gedenkendes Erinnern – ästhetisches Vergnügen. Digitale Medienpraktiken und touristisches Erleben an Heritage Sites in Berlin“. Er geht der Frage nach, wie an „Erinnerungsorten die Vergegenwärtigung von Vergangenheit mit ästhetisch-vergnüglichem Erleben“ (75 f.) verflochten ist und welche Konsequenzen dies hat. Bareithers Beispiele beziehen sich auf Posts bei Instagram und Facebook und nehmen die East Side Gallery, den Check Point Charlie, das Sowjetische Ehrenmal und das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in den Fokus. Der Autor knüpft explizit an die Populärkulturforschung im Fach Europäische Ethnologie/Kulturwissenschaft/Kulturanthropologie/Volkskunde an und verbindet sie mit den Perspektiven der Emotionspraxistheorie. Dabei wird verdeutlicht, wie Social-Media, Populärkultur und Erinnerungskultur zusammengelesen und beforscht werden können.
Mit einer Form, die an die Kultur des Live-Action-Roleplay (LARP) erinnert, setzt sich Katharina Viktoria Weiß auseinander, wenn sie „Das Vergnügen der Vintage Virtuosen. Ästhetische Erfahrung durch Selbstinszenierung im Stil der Vergangenheit“ beleuchtet. Der Beitrag handelt von Protagonist*innen einer Berliner Veranstaltungsreihe im Stil der 1920er Jahre. Die Autorin zeigt, wie für die Teilnehmenden die Prioritäten „in der Steigerung, Vermehrung und Verbreitung von Schönheit“ (122) liegen, wobei mit der Anlehnung an die 1920er Jahre das Vergnügen durch die Inszenierung von Rollen und einem gemeinschaftlichen Erinnern entsteht. Weiß streift in diesem Zusammenhang gleichsam den Diskurs des „doing emotions“.
Während Spiritovas, Bareithers und Weißʼ Beiträge kulturhistorische und ethnografische Perspektiven im Fokus haben, sind im dritten Abschnitt sieben Texte unter der Überschrift „Formate und Politiken erzählter Geschichte“ gefasst. Die Beiträge beschäftigen sich mit der Inszenierung von Vergangenheit in Film, Fernsehen und Comic, einige von ihnen werden im Folgenden herausgegriffen. In „Helden- und Feindbilder im Blockbusterkino: Vlad III als ‚last defender of Europe‘ und der ‚Orient‘ in ‚Dracula Untold‘“ analysiert Jenny Hagemann die Verknüpfung von Vergangenheit und Heldentum am Beispiel des genannten Films aus dem Jahr 2014. Sie stellt heraus, dass der Film und im Besonderen Vergangenheit „zum Nährboden für westliche Imagination des Orients, dessen Andersartigkeit historisch erklärt und fantastisch übersteigert wird“ (168). Hagemann legt dar, dass der Film allerdings eher dem Superhelden-Genre zugeschrieben werden kann, womit „das deutlich wahrnehmbare Vergangen-Sein der Handlung [...] Teil des Vergnügens“ (169) wird.
Toni Reichert zeigt in seinem Aufsatz „,Im Haus der Henker wurde vom Strick gesprochen wie nie zuvor‘– das Fernsehereignis HOLOCAUST und das bundesrepublikanische Geschichtsbild nach 1979“, dass für ein adäquates Verständnis der Serie „Holocaust – Die Geschichte der Familie Weiß“ die „theoretische Rahmung als Medienereignis“ (210) mit zu berücksichtigen ist. Denn die erste Ausstrahlung im deutschen Fernsehen 1979 wurde von der Sendung „Anruf erwünscht“ und einem Sende- und Publikationskonzept begleitet. In der Beschäftigung mit dem Material wird ein interessanter Blick auf Gedenk- und Erinnerungsdiskurse eröffnet, der zeigt, wie nah sich Erinnerungskultur und Medienereignis sein können.
Manuel Trummer beschließt den Band mit dem Aufsatz „‚Requiem for a village.‘ Die Mediatisierung von Vergangenheit im britischen ‚folk horror cinema‘“. Während „volkskulturelle Phänomene“, so der Autor, „über eine Zuspitzung auf besonders positiv konnotierte Aspekte“ (263) hindeuten, erfolge im Filmgenre des folk horror „die Mediatisierung volkskultureller Traditionen [...] über die negativen Aspekte von vorindustriell-bäuerlicher Welten“ (263). Gleichzeitig arbeitet Trummer heraus, wie sich in dem Genre die Kulturen populärer Unterhaltung und Vergnügung mit den Perspektiven der Brauch- und Ritualforschung (265) verbinden.
Neben Forschungsfeldern der Kulturwissenschaft knüpfen die Autor*innen an jene der Medien- und Filmwissenschaft, aber auch der Geschichts- und Literatur- sowie Erziehungswissenschaft an. Die Beiträge stellen aktuelle Bezüge zum Themenkomplex „doing history“ her, wodurch Anschlüsse an die Media und Memory Studies gegeben sind. Insgesamt ist der Sammelband eine eindrückliche Momentaufnahme der vielfältigen Themen und unterschiedlichen Zugänge im Fach Europäische Ethnologie/Kulturwissenschaft/Kulturanthropologie/Volkskunde. Er zeigt exemplarisch, wie Aspekte der Vergangenheit in Dokumentationen, Musik, Freizeitveranstaltungen, Social-Media, Online-Plattformen, Spielzeugen, Filmen, TV-Serien oder Comics präsent sind und mit popkulturellem Blick rezipiert werden können.