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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Aktuelle Rezensionen


Andrea M. Kluxen/Julia Krieger (Hg.)

Festtagsschmaus und Einheitsbrei. Ernährung in Franken von der Antike bis zur Gegenwart

(Geschichte und Kultur in Mittelfranken 7), Baden-Baden 2019, Ergon, 432 Seiten mit Abbildungen, ISBN 978-3-95650-614-7


Rezensiert von Florian Schwemin
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 15.09.2021

Der vorliegende Sammelband geht zurück auf eine Tagung, die die mittelfränkische Bezirksheimatpflege im Vorfeld des Tags der Franken 2018, der unter dem Motto „Genussregion Franken“ stand, im November 2017 in Ansbach ausrichtete. Im Geleitwort der Mitherausgeberin Andrea M. Kluxen wird der Anspruch des Bandes, der sich mit der Ernährung in Franken als komplexem Thema von der Antike bis zur Gegenwart in Ausschnitten befasst, damit umrissen, dass die vorliegende Publikation „die umfangreiche Literatur zum Thema ‚Essen‘ um ein regionalgeschichtliches Element ergänzen und zu weiteren Untersuchungen über einen hochinteressanten kulturhistorischen Forschungsgegenstand anregen“ (11) soll. Das – so viel sei gleich zu Beginn verraten – gelingt auch sehr gut. Chronologisch hangelt sich der Band durch einzelne Aspekte der kulinarischen Geschichte Frankens, ohne dabei jedoch an der Konstruktion einer „Genussregion“ mitzuwirken. Vielmehr wechseln sich empirisch dichte Beiträge mit eher grundlegenden Gedanken ab, welche dabei stets über den sprichwörtlichen Tellerrand hinausführen. Der Band ist dabei, was Ansatz wie Einbettung der Beiträge in weitere Forschungszusammenhänge betrifft, sehr heterogen. Der überwiegende Teil der Aufsätze ist kulturhistorisch orientiert und zeichnet unterschiedliche Aspekte quer durch Franken und darüber hinaus meist mit breiter Quellenbasis nach.
Die Gegenwart ist zwar in manchen Beiträgen der Schlusspunkt chronologischer Betrachtungen, doch lediglich die Beiträge von Saskia Müller und Wiltrud Gerstner haben dezidiert gegenwartsbezogene Fragestellungen und Themen, wobei der letztgenannte eher ein Überblick ist. Das macht deutlich, dass es noch Desiderata zu Genüge gibt, an denen eine Erforschung gegenwärtiger Ernährung in Franken ansetzen könnte. Mit dem vorliegenden Band ist ein wichtiger Grundstein gelegt.
Die gut recherchierten kulturhistorischen Beiträge bieten eine breite Basis für eine historisch-vergleichende Perspektive auf regionale Ernährung. So umreißt Günther E. Thüry anhand archäologischer Belege den Einfluss der römischen Kochkultur auf die Ernährung in Franken und spricht dabei von einer römisch-germanischen „Fusionsküche“ (31), auf die mit Dill, Sellerie, Koriander und Bohnenkraut ein Großteil der für die Antike belegten Würzpflanzen in Franken zurückgehen. Andreas Klumpp nimmt, nach einem Überblick über mögliche Quellen mittelalterlicher Ernährungsforschung, mit dem „buoch von guoter spise“ (1350 in Würzburg verfasst) und der „Kuchemaystrey“ (gedruckt 1485 in Nürnberg) zwei spätmittelalterliche, städtische Kochbücher hinsichtlich der Zubereitungsmethoden genauer in den Blick. Wolfgang F. Reddig gibt anhand von Beispielen aus Bad Windsheim, Weißenburg, Würzburg und Bamberg einen Einblick in die Bedeutung des Essens und Trinkens in fränkischen Spitälern, wobei er besonders die durch das Essen sichtbar werdende „soziale Distinktion der scheinbar homogenen Gemeinschaft“ (85) hervorhebt. Komplexer als die Regelung der Ernährung im Spital sind die jüdischen Speisevorschriften, deren Entstehung und Bedeutung für die jüdische Kultur Daniela F. Eisenstein zunächst prägnant umreißt, um dann knapp auf einige fränkisch-jüdische Lebensmittel wie „Berches“ – einen Brotzopf – einzugehen. Das recht abrupte Ende des Beitrags zeigt wohl, wie wichtig hier weitere Forschungen wären.
Schauessen als historisches „europäisches Kommunikationssystem“ (106), welches das Mittelalter mit dem Barock verbindet, sind immer wieder Gegenstand von Einzeldarstellungen und auch die Theorie und Inszenierung ist breit erforscht. Andrea M. Kluxen legt in „Schauessen und Schaugerichte in Franken“ einen regionalen Fokus an und zeichnet den Einfluss von Georg Philipp Harsdörffers in Nürnberg ab 1642 erschienenen „Trincirbuch“ und dem Friedensmahl von 1649/50 auf nachfolgende Schauessen äußerst detailliert und plastisch nach.
Betrafen Schauessen vor allem gehobenere Kreise, beschäftigt sich Juliane Sander mit der Frage, was die ländliche Bevölkerung Frankens um 1700 zu sich genommen hat, wobei sie aufgrund der Heterogenität des Untersuchungsraumes zu dem Schluss kommt, dass ein „Bild der Nahrung der ländlichen Bevölkerung in Franken um 1700 daher nur vage zu zeichnen“ (147) sei. Dabei trägt Sander einen Fundus an Quellen und Literaturbelegen zusammen, der einen Ausgangspunkt für anknüpfende Studien auch aus anderen Regionen bietet. Während sich im 18. Jahrhundert auch die Ernährung breiter Bevölkerungsschichten durch neue Genuss- und Nahrungsmittel änderte, die im 16. und 17. Jahrhundert bereits in die Städte und für höhere Schichten importiert wurden, blieb sie dennoch primär eine auf Mehl- und Getreidespeisen aufbauende Alltagskost. Julia Krieger nimmt den Faden von Juliane Sandner auf und arbeitet quellengesättigt heraus, wie sich in der Zeit zwischen 1850 und 1930 die bürgerliche Küche in Franken etablierte und zu dem wandelte, was heute landläufig unter „fränkischer Küche“ verstanden wird. Dabei zeichnet sie den Weg der „Haute Cuisine“ in die Landfrauenküche, der auf mehreren Faktoren von technischer Innovation über Kochbücher, dem Wandel der Gastronomie bis hin zu Hauswirtschaftsschulen beruhte, präzise nach und ordnet so das „Schäuferla“ und die fränkische Küche insgesamt kulturhistorisch ein.
Eine technische Neuerung, die zum grundlegenden Wandel der Küchenkultur an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert beitrug, ist die Kühltechnik, der sich Andrea May neben anderen Konservierungsmethoden widmet, von denen besonders Einwecken und Sterilisieren als weitere moderne Methoden zur Haltbarmachung von Lebensmitteln für die Entwicklung der gegenwärtigen Ernährung maßgeblich sind.
Weniger mit dem Essen, sondern mit den technischen Aspekten seiner Zubereitung beschäftigt sich Konrad Bedal in seinem mit Feldforschungsaufnahmen aus den Jahren um 1969 reich bebilderten Beitrag „Ofengabel und Dreifuß“. Anhand von Beispielen aus der Oberpfalz und Franken geht er dem Kochen im Ofen und der Koexistenz von Ofen, Herd und Rußkuchl nach und eröffnet so in der Rückschau auf durchgeführte teilnehmende Beobachtungen eine Perspektive auf eine Lebenswelt, die „von heute aus gesehen, fast Äonen zurückliegt“ (213). Dass das ohne Romantisierung oder Exotisierung so profund gemacht ist, zeugt von bewundernswertem Forschungsdatenmanagement.
Lediglich sechs Seiten umfasst Sylvia Habermanns Beitrag über das Fichtelgebirge als „Pionierland des Kartoffelanbaus im 17. und 18. Jahrhundert“ (237), auf denen sie aber eine konzentrierte Zusammenfassung verschiedener archivalischer und literarischer Belege für Kartoffelanbau und -konsum im Fichtelgebirge liefert. Wolfgang F. Reddig befasst sich mit der Bratwurst und deren Bedeutung für Franken, die auch vor dem Hintergrund der Veranstaltungen zum „Tag der Franken“ immer wieder als Signum fränkischer Küche und Tradition bemüht wurde. Der kurzweilig und anschaulich geschriebene Text fasst äußerst dicht „lukullisch-patriotische Beziehungen zur Bratwurst“ (249) zusammen und wirft auf Basis archivalischer und literarischer Belege vom 14. bis zum 20. Jahrhundert Schlaglichter auf die Geschichte der Bratwurst. Dem Aufsatz von Herbert Heinzelmann über „den kulinarischen und ökonomischen Reichtum der Pfeffersäcke“ hätten Fußnoten gut getan, so bleibt die Zusammenschau, die trotz eines Rittes durch Zeiten und Orte nachvollziehbar auf die Nürnberger Lebkuchen zusteuert und durchaus Stellen enthält, an denen man gerne andernorts vertiefen wollen würde, etwas für sich stehen.
Wolfgang Mück, Historiker und Altbürgermeister von Neustadt an der Aisch, ist wohl das, was man eine Idealbesetzung nennt, wenn es darum geht, die Teichkultur des Aischgrunds historisch einzuordnen, der mit über 7 000 Teichen das größte zusammenhängende Teichgebiet Deutschlands ist. Mundgerecht in 30 grätenfreie Stücke zerteilt wird das Thema von den historischen Grundlagen über die Zucht der Karpfen zu den Zubereitungsmethoden multiperspektivisch angegangen. Dass bei der Breite vieles nur angerissen wird, fällt kaum ins Gewicht. Ina Schönwald stellt mittels des Kirchweihessens mit Fokus auf Lauf und Schnaittach ausschnitthaft den Wandel der Kirchweih beziehungsweise der Kirchweihspeisen vor allem in der Zeit von 1920 bis heute dar. Nach Höhen und Tiefen hat die Kirchweihkultur seit den 1990er Jahren mit dem Aufkommen vereinsgetragener „Zeltkirwan“ einen bis heute anhaltenden Aufschwung genommen, dabei aber auch diverse Veränderungen erfahren. Der Schluss, dass das Servieren von Braten und „Schäuferla“ allein dem „Wunsch, das Althergebrachte trotz einer sich wandelnden Gesellschaftsstruktur zu erhalten“ (319) entspränge, greift aber wohl zu kurz und verkennt die Einbettung in eine auch über Franken und Bayern hinausgehende Stereotypisierung von solchen Zelt-Feiern. Sicher ist die Pflege von Tradition oder dessen, was man dafür hält, ein Beweggrund. Das Rekurrieren auf ein traditionelles Speisenangebot ist in diesem Kontext – zumindest derzeit – aber auch erwartet und damit geschäftsträchtig und verspricht eine Legitimierung des eigenen Tuns.
Ein pot pourri ist ein französischer Eintopf, ein Potpourri hingegen eine in der Gebrauchsmusik bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts sehr beliebte Aneinanderreihung bekannter Melodieteile, vornehmlich aus Märschen, Schlagern und Operettenmelodien, die ein harmonisches Ganzes ergeben (sollten). Der Beitrag von Heidi Christ, der die wissenschaftliche Ergänzung des zum „Tag der Franken“ erschienenen Liederbuchs „Der Mensch, der lebt vom Essen“ (2018) darstellt, ist auch eine Art Potpourri, das – um beim Thema Essen zu bleiben – im Schweinsgalopp durch rund 25 Lieder führt, die von der Nahrungszubereitung und -aufnahme handeln. Dabei bleibt aber immer genügend Zeit, „liedkundliche Untersuchungen zur Herkunft, Verbreitung und Variantenbildung“ (322) anzustellen.
Christine Sauer eröffnet den Blick auf eine bislang kaum beachtete Quellengattung, die für gewöhnlich durch das Raster von Museen und Archiven fällt, am Bildungscampus Nürnberg aber glücklicherweise mit mehr als 200 Exemplaren überliefert ist: die Menükarten. Anhand ausgewählter und äußerst heterogen gestalteter Druckerzeugnisse kann sie für Nürnberg belegen, dass „in den Luxushotels transnationale, stark an der französischen Küche orientierte Gerichte serviert wurden“ (352). Die Aufmachung und einzelne Details aber lassen viel mehr Schlüsse über die Wertigkeit von Speisen und gemeinsamem Essen zu, die hier nur angerissen werden konnten. Im Gegensatz zum Essen in Luxushotels im Kaiserreich beschäftigt sich Claudia Selheim anhand eines Kriegskochbuchs mit der „Ernährungspropaganda im Ersten Weltkrieg“ (353). Das Buch wurde von der Zentraleinkaufsgesellschaft (ZEG) 1915 herausgegeben und war von Hedwig Heyl mit der Hilfe von Zuträgerinnen verfasst worden, doch es war, so arbeitet Selheim heraus, bei seinem Erscheinen schon nicht mehr anwendbar, weshalb weitere Kochbücher folgten. Interessant ist auch die Verknüpfung zur Sachkultur, die anhand eines brennmaterialsparenden Selbstkochers dargestellt wird.
Der Aufsatz von Saskia Müller über „Dorfwirtshäuser zwischen Ideal und Bedeutungsverlust“ spürt aktuellen Prämissen und Programmen von Staatsregierung („Heimatwirtschaften“) und dem Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (DEHOGA) nach, die eine traditionelle bayerische Wirtshauskultur postulieren, die unter anderem standesnivellierend, identitätsstiftend und traditionserhaltend wirke und im Verschwinden begriffen sei. Dass es sich hierbei um eine identitätspolitische Konstruktion mit Parallelen zur Heimatkonjunktur der 1970er Jahre, zur Heimatschutzbewegung des ausgehenden 19. Jahrhunderts und zur Wittelsbachischen Identitätspolitik handelt, zeichnet die Autorin anhand mittelfränkischer Beispiele nach. Die Gründe, warum in den untersuchten Programmen „der Eindruck, Bayern wäre aus der Zeit gefallen und in den 1950er/60er Jahren stehen geblieben“ (386) erweckt werde, macht sie in einer Politik aus, die ein ästhetisches Bayernbild entwerfe, um nach innen wie nach außen Identität zu produzieren. Die Frage ist berechtigt, ob ein „innovatives Bayernbild, das jüngeren Generationen eine mögliche Zukunft im ländlichen Raum aufzeigt“ (391), den Freistaat weniger erfolgreich repräsentieren würde als ein Rekurrieren auf eine vermeintliche gute alte Zeit.
Wiltrud Gerstners Beitrag über die Beziehung zwischen neuen Medien und Ernährung ist am Schluss ein Ausblick, der Raum und Zeit erweitert. Ist das Gros der in diesem Band versammelten Schlaglichter historisch orientiert oder zumindest unterfüttert, wirft Gerstner einen Blick in die Gegenwart und die (potentielle) Zukunft des Wissens um und Redens über Ernährung. Dabei wird auch der Raum in die globale Gesellschaft des Internets geweitet. Auf der Basis aktueller kultur- und informationswissenschaftlicher Literatur gibt sie einen profunden Überblick über die verschiedenen Wege der Kommunikation über die Kanäle digitaler Medien und deren Wechselwirkungen mit Ernährungswissen und -kommunikation.
Diese literaturbasierte Zusammenschau möchte man als Amuse-Gueule verstehen, als Anregung und Versprechen, dass sich in nächster Zeit empirische Studien mit den Manifestationen regionaler Küche in den aufgezeigten Kommunikationskanälen beschäftigen und einen kulturwissenschaftlichen Blick auf die gegenwärtige Konstruktion von regionaler Kulinarik werfen. Explizit zu erwähnen ist noch der Registerteil, der dem allen an der Erforschung regionaler Esskultur vor allem in kulturhistorischer Perspektive Interessierten empfohlenen Band die letzte Würze gibt.