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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Christian Heumader

Milch. Allgäuer Bergbauern und Bergbäuerinnen erzählen

Bad Hindelang 2020, BergWegVerlag, 304 Seiten mit zahlreichen Abbildungen, ISBN 978-3-00-066273-7


Rezensiert von Birgit Speckle
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 15.09.2021

Der Oberallgäuer Autor und Fotograf Christian Heumader legt mit „Milch“ seinen fünften Band vor, der sich dem Landleben in seiner Heimat widmet. Handwerk, die bäuerliche Waldarbeit, jene mit dem Heu und schließlich die Kunst des Baus und der Nutzung von „Stadel und Schinde“ hat er in opulenten Schwarz-Weiß-Bildbänden bereits fassbar gemacht. Im hier zu besprechenden Band geht es um Milch. Der Titel ist als Statement aufzufassen: Die Allgäu-Werbung lebt seit Jahrzehnten von den Kühen, die sich – immer mit prächtigem Gehörn – vor dekoraktiver Bergkulisse präsentieren. Welchen Preis diese in der Realität selten gewordene vermeintliche Idylle hat, ist in Heumaders Buch nachzulesen. Dabei geht es immer um die Milch, um Milchpreis und Milchquote, um ihre traditionelle oder industrielle Herstellung. Heumader bewegt sich in den Spannungsfeldern zwischen Gestern und Heute: „Manche Bauern und Bäuerinnen haben mit beeindruckender Standfestigkeit an überlieferten Wirtschaftsweisen festgehalten. Ohne sie wäre das Landschaftsbild des Oberallgäus ein anderes.“ (8) Auch dieses Buch des Autors stellt eine geglückte Mischung aus drei Komponenten dar: Schwarzweiß-Fotografien aus Fotoalben der 1950er und 1960er Jahre, deren Bedeutung als Zeitdokumente er durch sorgfältige Bearbeitung, Vergrößerung und brillanten Druck ins Bild setzt, seine eigenen Fotografien aus dem Alltagsleben von Bäuerinnen und Bauern und schließlich Interviews mit über fünzig (!) Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, oft Familienmitglieder aus verschiedenen Generationen. Ein Anhang zu den Kurzportraits der befragten Personen mit einem Überblick über die Familienverbände wäre hier hilfreich gewesen.
Der Autor lässt seine Zeitzeuginnen und Zeitzeugen in ausführlichen Statements zu ihrem Hof, ihren Tieren, ihrer Arbeit und ihren Zukunftsperspektiven zu Wort kommen. Manche Texte sind dabei zunächst im Dialekt wiedergegeben, dann ins Hochdeutsche übertragen, bei anderen sind Passagen in Mundart lediglich eingestreut. Den überwiegenden Teil des Bandes nehmen jedoch Fotografien ein, häufig ohne Text für sich sprechend oder nur sparsam mit Stichworten und Datierungen versehen. Heumaders Fähigkeit zur Tierfotografie verbindet sich hier auf glückliche Weise mit seinen Erfahrungen als Alphirte: Er kennt Kühe in ihrer Sensibilität, Schönheit und manchmal auch Komik.
Christian Heumader teilt sein Buch in vier Abschnitte. Er beginnt mit der Rückschau „Wie es war… Ein Blick zurück“. Hier ist die Rede „vom einfachen Leben“ (56), von bäuerlicher Armut früherer Jahrzehnte und beschwerlicher Arbeit im Heu. Unter dem Motto „Wachse oder weiche… Gedanken zum Verschwinden einer alten Welt“ werden im zweiten Teil Fragen zur Qualität der Milch, zur Stallgestaltung und zum Höfesterben verhandelt. Den Bergbauern ist ein eigenes Kapitel gewidmet. Hier vermittelt Heumader in besonders drastischer Weise die anstrengenden Tätigkeiten im Stall, die Knochenarbeit an den Steilhängen und die Notwendigkeit eines funktionierenden Familienverbands mit mehreren Standbeinen als Voraussetzungen dafür, den Milchviehbetrieb erhalten zu können. Heumader endet mit der Frage nach Zukunftsperspektiven: „Tradition und Fortschritt… Wie es weitergehen könnte“. Bäuerinnen und Bauern äußern sich hier zu entscheidenden Fragen im Kleinen und im Großen: Zur Toleranz der Autofahrer gegenüber „Gassenkühen“, die täglich über die Straße auf die Weiden getrieben werden oder dazu, was Lebensmittel kosten dürfen.
Christian Heumaders Buch „Milch“ ist wieder ein Heimat-Buch im besten Sinne geworden, das mit einem positiven Blick in die Zukunft endet, trotz aller Probleme und Schwierigkeiten und der stetig wachsenden Gefahr, dass die fragile Situation einer kleinbäuerlichen Milchwirtschaft „kippt“ (100).