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Aktuelle Rezensionen


Marion Näser-Lather/Marguerite Rumpf (Hg.)

Vampire. Zwischen Blutdurst und Triebverzicht

Marburg 2020, Büchner-Verlag, 172 Seiten mit Abbildungen, ISBN 978-3-96317-203-8


Rezensiert von Jaqueline Winkel
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 27.09.2021

Aberglaube, Populärkultur, Wissenschaft: Wenn der Vampir uns etwas verdeutlicht hat, ist es die Tatsache, dass er als Phänomen so universell wie zeitlos ist. Vom lebenden Leichnam und Sündenbock des Mittelalters und der Frühen Neuzeit über die Schauerliteratur des 19. Jahrhunderts bis hin zu den großen Kinoleinwänden Hollywoods und in die Angebote moderner Streamingportale wie Netflix und Co. schafft der nicht tot zu kriegende Untote reichlich Input für akademische Diskurse interdisziplinärer Forschungen. Der Aufgabe, das Phänomen aus ethnologisch-kulturwissenschaftlicher Perspektive in der „gesamten Bandbreite moderner Imaginationen von Vampirgestalten in digitalen Spielen, Serien und literarischen Fiktionen“ hinweg zu untersuchen, haben sich Studierende der Kulturwissenschaft am Institut für Europäische Ethnologie/Kulturwissenschaften der Phillips-Universität Marburg angenommen. Auf Grundlage der Überlegung, „ob Vampir*innen ganz nach Blutdurst oder im Sinne eines Triebverzichtes handeln“ (21) ist der Sammelband „Vampire. Zwischen Blutdurst und Triebverzicht“ von Marion Näser-Lather und Marguerite Rumpf als Ergebnis eines zweisemestrigen Seminars herausgegeben worden und beinhaltet verschiedene, thematisch von den Studierenden frei gewählte Beiträge zur wissenschaftlichen Rezeption des modernen Vampirmotivs.
Die Herausgeberinnen Näser-Lather und Rumpf konturieren in der Einleitung des Sammelbandes den Mythos des Vampirs in seiner historischen Entwicklung, beginnend mit dem Glauben an schädigende Wiedergänger oder bluttrinkende Dämon*innen wie den Lamien und Strigen aus der griechischen beziehungsweise römischen Mythologie. Weiterführend werden Volksüberlieferungen isländischer Sagen, mittelalterliche Wiedergänger sowie Vorstellungen im „alltagsreligiösen Glauben im Osteuropa des 16. bis 18. Jahrhunderts“ (9) umrissen, um die ethnologischen Wurzeln des Vampirglaubens und seiner Faszination sowie die Verschiebung der damit einhergehenden Diskursebenen zu akzentuieren. Wünschenswert wäre hier an einigen Stellen eine deutlichere Distanzierung des historischen Vampirismus von literarischen Imaginationen gewesen. Im Kontext der europäischen Vampirdebatte des 18. Jahrhunderts verdeutlichen die Autorinnen zwar die Rolle des Vampirs als die eines lokalen Sündenbocks für Seuchen, vollziehen mit dem nächsten Abschnitt jedoch einen (sich wiederholenden) fliegenden Wechsel hin zu der Vorstellung übernatürlicher Fähigkeiten, welche argumentativ mit Exempeln populärer Belletristik belegt werden: „Zudem sind sie in der Lage sich mit unterschiedlichen Kreaturen, zum Beispiel Ratten, zu verbünden und verfügen teilweise über übermenschliche Geschwindigkeit, Kraft und Fähigkeiten wie Telepathie (siehe etwa Dracula oder die Vampir*innen von Anne Rice).“ (10) Sehr gelungen ist hingegen die Darstellung der politischen Diskurse, Projektionsflächen und Adaptionsfähigkeiten des Vampirs. So eigne er sich, „um als Metapher die Sehnsüchte, Ängste und Wünsche, aber auch die Tabus und (unterdrückten) Diskurse der jeweiligen Zeit zu repräsentieren und gesellschaftliche Normen infrage zu stellen“ (20).
In ihrem Aufsatz „Mensch – Monster – Metamorphosen. Eine exemplarische Analyse des Gestaltwechsels von Serienvampir*innen“ setzt sich Franziska Peikert mit der Fragestellung auseinander, über welche Symbole und Argumentationen Vampir*innen als monströs dargestellt werden und welche Bedeutung der optischen Transformation während der vampirischen Metamorphose zugeschrieben wird. Anhand einer auf diskurs- und filmmethodischen Ansätzen begründeten Untersuchung analysiert sie dafür die Serien „Buffy the Vampire Slayer“, „being human“ und „Shadowhunters“ und resümiert, „dass die in der Metamorphose sichtbar werdenden Kategorie-Brüche, die das Scheitern des vernunftgeleiteten Blicks bloßstellen, in den Vampir*innen nicht nur von Blutdurst und Kontrollverlust abhängig sind, sondern auch charakterliche Besonderheiten der Hauptfigur betonen“ (27). Durch detaillierte, mit Screenshots unterlegte Szenenanalysen verdeutlicht Peikert anhand von drei exemplarisch ausgewählten Metamorphosen die Grenzposition des modernen Vampirs. Hinsichtlich moderner Vampirdarstellungen sieht sie einen deutlichen Verlust des Monströsen sowie vampirischer Stereotypen und verortet den Vampir als hybrides Grenzwesen. Geschickt umreißt die Autorin hier den Serienvampir als Produkt einer Gesellschaft, die mittlerweile multiple Identitäten dem eingegrenzten Selbst vorzieht, was eine klare Dichotomie von Gut und Böse in Bezug auf Untote obstruiert.
Sandra Schwarzmann untersucht in ihrem Artikel „Form Zero to Shero. Vampirjägerinnen als Third-Wave-Feminismus-Ikonen“ das feministische Potenzial von Vampirjägerinnen der Fernsehserien „Buffy – Im Bann der Dämonen“, „Blood Ties – Biss aufs Blut“ und „Van Helsing“. Schwarzmann verritt dabei die These, dass „Vampirjägerinnen als Spiegel emanzipierter Frauen betrachtet werden können“ (76). Positiv hervorzuheben ist hier vor allem die ausführliche theoretische Auseinandersetzung mit der Kategorisierung des Vampirfilms und seiner stereotypen Rollenbilder sowie mit dem amerikanischen Third-Wave-Feminismus. Die im Vergleich dazu relativ knapp ausfallende Inhaltsanalyse setzt die verschiedenen Vampirjägerinnen anhand exemplarischer Folgenanalysen in den Kontext feministischer Lesarten. Schwarzmann kommt zu dem Schluss, dass letztlich alle untersuchten Figuren feministisches Potential in ihrer jeweiligen Darstellung aufweisen, jedoch gleichzeitig noch am Anfang der Loslösung von traditionellen Geschlechtskonzepten stehen. Da die ausgewählten Serien in einem Zeitraum von mehr als 20 Jahren produziert worden sind, wäre hier eine detailliertere Differenzierung der jeweiligen feministischen Ansprüche im zeitlichen Kontext der Produktionszeiträume wünschenswert gewesen – die Rolle der Buffy Summers wurde am Ende der 1990er Jahre mit einer anderen feministischen Erwartungshaltung konzipiert als die einer Vanessa Van Helsing im Jahr 2016. Dennoch hat Schwarzmann mit ihrer Untersuchung der ansonsten sekundär beachteten Vampirjägerinnen einen gendertheoretisch gehaltvollen Beitrag für weiterführende Studien und Material für zukünftige Diskussionen erbracht.
Unter dem Titel „Der/die VampirIn in Vampire the Masquerade – die Bändigung des Biestes. Triebverzicht als Mittel sozialen Wandels“ beschäftigt sich Alexander Gerdes mit der Divergenz von Triebverzicht und -zwang in dem Pen-&-Paper-Rollenspiel „Vampire – The Masquerade“. Durch eine qualitativ-inhaltsanalytische Untersuchung geht Gerdes dabei der Leitfrage nach, „wie das Individuum durch bestimmte Formen des Wiederstands gegen die eigenen animalischen Züge seine soziale Wirklichkeit beeinflusst und die gesellschaftlichen Strukturen verändern kann“ (100). Die Figur des Vampirs wird hier aufgrund der „christlich-religiösen Komponente“ (99) und als Nachfahre Kains als „KainitIn“ verstanden und beginnt ihre Existenz in einer festen Hierarchie, welche durch Blut als „gesellschaftskonstruierendes Mittel“ (109) und Abstammung bestimmt wird. Durch das Konzept „Golconda“ kann der Vampir auf einen asketischen Lebensweg gelangen, der dem Triebzwang und Konsum entgegensteht. Gerdes Beitrag gelingt es, das Tischrollenspiel als Medium zu revitalisieren, welches ansonsten im digitalen Zeitalter des Bildschirms größtenteils untergeht, und es in den Kontext gesellschaftskritischer Diskurse um Konsumverhalten und Selbstregulierung zu setzen, was im Umkehrschluss wiederum die Projektionsfläche der Vampirfigur für zeitgenössische Diskurse verdeutlicht.
Nils Bernd Michael Weber analysiert in „Blutverzehr in dunklen Gassen. Zeichen und Orte des Vampir-Genres im digitalen Spiel“ anhand von drei Computerspielen die Zeichen und Merkmale der Vampirfigur in einem Zeitraum von 40 Jahren und unternimmt den Versuch, das Vampir-Genre in Knut Hickethiers Vier-Phasen-Modell (Entstehung, Stabilisierung, Erschöpfung und Neubildung) zu verordnen. Weber beginnt auf theoretischer Ebene mit einer Kategorisierung des Vampirfilms, um die ikonografische Entwicklung des Vampirs zu explizieren. Mit dem Vier-Phasen-Modell als theoretische Schablone arbeitet er anschließend anhand von Ikonografie und Topografie die Entwicklung der Vampirdarstellungen im digitalen Spiel heraus. Weber konstatiert, dass das Blut als festes Leitmotiv „seine semantische Deutung auf ludischer und narrativer Ebene“ (135) je nach Spielfigur verlagert, wobei der narrative Wechsel der Spielfigur nicht nur die Bedeutung anderer genretypischer Zeichen, sondern auch die Beziehung des Spielers zur Vampirfigur nachhaltig verändert.
Summa summarum zeigen die Beiträge des Sammelbandes, dass der moderne Vampir sich sowohl negativer Assoziationen wie auch optischer Monstrosität entledigt hat. Ob die moderne Revitalisierung des Vampirmotivs dabei wirklich Stephenie Meyers Twilight-Saga (2005–2008) geschuldet ist oder von populären US-Serien wie „True Blood“ (2008–2014) oder „The Vampire Diaries“ (2009–2017) akzeleriert wurde, restringiert die Faszinationskraft der Blutsauger keinesfalls, sondern bietet darüber hinaus Projektionsfläche für zeitgenössische Diskurse und Identifikationsmöglichkeiten, wie die diskutierten Aufsätze zeigen. Aufgrund der partiell sehr spezifisch ausgewählten Serien und Spiele kann der Sammelband natürlich nicht jeder modernen Imagination des Vampirbildes gerecht werden. Aber die exemplarisch ausgewählten Beispiele zeugen im Kontext zeitgenössischer gesellschaftlicher Diskurse von einer tiefgehenden und gehaltvollen Bereicherung für die interdisziplinäre Forschung und von vielversprechenden Nachwuchswissenschaftler*innen.