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Gitta Böth/Manfred Hartmann/Viktor Pröstler
Werkzeuge. Eine Typologie für Museen und Sammlungen. Teil 1: Axt ‒ Feile, Raspel, Schaber ‒ Hacke, Haken, Harke, Haue
(MuseumsBausteine 20.1), Berlin/München 2020, Deutscher Kunstverlag, 144 Seiten mit 220 Abbildungen, ISBN 978-3-422-07477-4
Rezensiert von Thomas Schindler
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 20.09.2021
Am Anfang allen musealen Beschreibens, Inventarisierens, Klassifizierens, Sortierens und damit systematischen Sammelns steht ein Wort. Dieses Wort ist die Objektbezeichnung. Sie benennt einen konkreten Gegenstand anhand formaler oder beziehungsweise und/oder funktionaler Parameter und stellt mithin die wichtigste Ordnungskategorie dar. Und genau damit beginnt das sprichwörtlich babylonische Sprachengewirr innerhalb der Museumscommunity, nicht nur im weiten Feld der Gattung Werkzeug. Denn individuelle Vielfalt bei der Objektansprache bedeutet für Datenbankfütternde und Datenbanknutzende in aller Regel gleichermaßen einen abnehmenden Arbeitserfolg. Ist es bei den Museumsmachenden die unbefriedigende dokumentarische Präzision, so verlieren sich Recherchierende in der Unendlichkeit wachsender Datenbanken. Um eine plausible Museumssprache zu fördern, Trefferwahrscheinlichkeiten in Datenbanken zu erhöhen und die Kommunikation zwischen Museen zu erleichtern, leisten seit vielen Jahren unterschiedlich besetzte Arbeitsgruppen an der Fortentwicklung von Museumsthesauri mittels standardisierter Oberbegriffe Kärrnerarbeit. Das Ergebnis einer dieser durch großes persönliches Engagement gekennzeichneten Arbeitsgruppen, die im vorliegenden Fall mit Gitta Böth, Manfred Hartmann und Viktor Pröstler federführend aus Bayern und Nordrhein-Westfalen besetzt ist und moderiert wird, ist der 2020 erschienene Band „Werkzeuge. Eine Typologie für Museen und Sammlungen“. Die Werkzeugtypologie richtet sich zwar speziell an Museumspersonal, doch nicht unbedingt nur an Werkzeugspezialist*innen. Sie ist der erste Teil einer umfassenden, auf mehrere Bände hin angelegten Werkzeugtypologie und fokussiert auf die drei Gerätegruppen „Axt ‒ Feile, Raspel, Schaber ‒ Hacke, Harke, Haken, Haue“.
Die Publikation beginnt mit einer kurz und bündig gehaltenen thematischen Einführung, in der Böth, Hartmann und Pröstler die methodischen Ansätze ganz allgemein schildern. Am Beispiel der grundsätzlichen Unterscheidung von Axt und Beil anhand von Stiellänge und bedingt auch von Kopfgröße exemplifizieren sie zugleich ihre Herangehensweise. Sie betonen, dass alle abgehandelten Werkzeuge nach wiederkehrenden formtypologischen und nicht funktionstypologischen Merkmalen bewertetet wurden, was in vielen Fällen sehr sinnvoll erscheint. Zudem weisen die Herausgebenden noch darauf hin, dass etliche Werkzeugvarianten bei Anwendung ihrer methodischen Vorgehensweise nicht erfasst werden können. Die folgenden 91 Seiten behandeln die einzelnen Arbeitsgeräte der drei Gerätegruppen quasi kapitelweise. Darauf folgen ein sehr kenntnisreich zusammengestellter Literaturanhang, ein dreiseitiges Glossar und ein umfangreiches Deskriptorenregister.
Am Beispiel des ersten Kapitels „Axt“ lässt sich die Systematik der Typologie beispielhaft aufzeigen. Darin finden sich 22 alphabetisch abgehandelte Axttypen von der „Beilhacke“ bis zum „Wiesenbeil“, wobei manche der Typen als verbreitete Exemplare noch in eine dritte Unterscheidungsebene auffächern. Die Beschreibungen der einzelnen Typen sind in ein bis zwei Sätzen in angenehm zu lesendem technisch-präzisem Duktus angelegt. Außerdem ergänzen viele aussagekräftige Farbfotografien die einzelnen Beschreibungen. Dies hilft den Lesenden dabei, die Charakteristika einzelner Typen zu verstehen. Dabei fällt aber auch auf, dass die Zuordnung von Bildern zu beschriebenen Typen mitunter nicht gelungen ist, was unterschiedliche Gründe zu haben scheint. Möglicherweise fehlte an der einen oder anderen Stelle schlicht das notwendige Bildmaterial. In solchen Fällen findet sich der Bildbeleg, hier beispielsweise ein historischer Kupferstich für eine aufgeführte Axt, Seiten weit entfernt an ganz anderer Stelle. Kritisch anzumerken ist an der gewählten Form der systematischen Werkzeugdarstellung auch, dass bestimmte Axttypen wie beispielsweise Beschlagbeil (hier unter „Breitbeil“ subsummiert), Langbeil und Müllerbeil zwar hinsichtlich Form und Funktion deutliche formtypologische Parallelen (vor allem die Klingengeometrie und Anordnung des Axtkopfes in Relation zum Stiel) besitzen, hierzu aber keine flankierende Aussage getroffen wird. Bei der Benutzung der Typologie durch mehr oder weniger Unkundige könnten sich hieraus Zuordnungsprobleme ergeben, sodass der Einsatz der Typologie nicht den erhofften Effekt erzielen kann. In dieser Hinsicht ist die Terminologie auch nicht immer so eindeutig, wie man es sich wünschen würde. Auffällig ist dieser Aspekt etwa bei dem „Langbeil“ (25), besser bekannt als „Gänseflügelbeil“, wobei dieser Begriff nur als nachrangiges Synonym ausgewiesen ist. Eine für Werkzeuglaien schwer zu bewältigende Hürde bei der Benutzung der Typologie ist der fehlende Beschreibungsparameter einer tätigkeitsbezogenen Zuordnung beziehungsweise zumindest Hinweise darauf: In der musealen Praxis werden schließlich überwiegend Werkstattkonvolute inventarisiert und keine Einzelwerkzeuge.
Die kleinen Kritikpunkte, die ganz ähnlich auch für die beiden folgenden Kapitel zutreffen, würden an dieser Stelle den Rahmen sprengen. Viel wichtiger ist es mir zu betonen, dass mit dem vorliegenden Buch ein erster großer Schritt von allgemeinem Interesse für die mit Werkzeugen aller Art befasste Museumscommunity und darüber hinaus für alle weiteren Interessierten getan ist.