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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Aktuelle Rezensionen


Friederike Faust

Fußball und Feminismus. Eine Ethnografie geschlechterpolitischer Interventionen

Berlin: Budrich UniPress, 2019. 344 Seiten, ISBN 978-3-86388-819-0


Rezensiert von Gabriele Sobiech
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 20.09.2021

Friederike Faust führt ihre ethnografische Studie über das Verhältnis von „Fußball und Feminismus“ mit der provokanten Frage ein, ob Fußball immer noch als Männersport aufzufassen sei oder ob durch einen feministischen Verein wie „Discover Football“ (DF) die traditionellen Geschlechterverhältnisse nicht nur auf den Prüfstand gestellt, sondern vielmehr auch verändert werden könnten. Geschlecht wird als soziale Konstruktion und Effekt einer zweigeschlechtlichen, historisch gewachsenen Ordnung aufgefasst, in der Heterosexualität die Norm bildet. In interaktiven sozialen Praktiken wird die hierarchische Anordnung von Männlichkeit und Weiblichkeit immer wieder (re-)produziert. Präziser lautet auf der Basis dieses Ansatzes die Frage: Können in dem Prozess der (Re-)Produktion „gegenwärtige diskursive Formationen, Sport und Geschlechterpolitiken auf internationaler, staatlicher und zivilgesellschaftlicher Ebene […] es möglich machen, dass die fußballerischen Geschlechterverhältnisse ihre Selbstverständlichkeit verlieren und kritisierbar werden“ (14), um letztlich konkrete Veränderungen und Alternativen zu verankern.
Folgerichtig werden im ersten Teil geschichtliche, politische, sportkulturelle und gesellschaftliche Formationen bei der Entstehung des Verbandsfußballs als hegemoniale Sportkultur bis hin zur Gegenwart untersucht, um genauer zu verstehen, wie sich die Verbands- und Vereinskultur mit einer spezifischen Geschlechterordnung herausbildete und verfestigte. Ebenso werden dominante diskursive Formationen des Fußballs in den Blick genommen und danach befragt, an welchen Stellen den traditionellen Geschlechterverhältnissen der Status des Selbstverständlichen abhandengekommen ist. Ein Ergebnis der Analyse historischer Konstellationen wird in der Tatsache offenbar, dass die Geschlechterverhältnisse im Fußball immer auch „Konjunkturen der Stabilität und Durchlässigkeit durchliefen“ (103). Diese wurden nicht nur durch verbandsinterne Kämpfe, wie etwa den Widerstand gegen das Verbot für Frauen, Fußball unter dem Dach des DFB zu spielen (1955–1970), erschüttert, sondern vor allem auch durch Entwicklungen in anderen gesellschaftlichen Bereichen, z. B. durch marktwirtschaftliche Entwicklungen (wie Sponsoring), durch die internationale zweite Frauenbewegung oder durch die Entwicklung zivilgesellschaftlicher Initiativen zur Stärkung von Frauen und zur Bekämpfung von Homophobie und Sexismus. Die Idee einer politischen Neutralität des Fußballs war damit nicht länger aufrecht zu erhalten, was zur Folge hatte, dass die traditionellen Geschlechterverhältnisse im Fußball mit der Jahrtausendwende immer brüchiger wurden. Dadurch entstanden Spielräume, die die feministische Problematisierung von Geschlechterverhältnissen im Fußball plausibilisieren. Die Verfasserin schlägt für diesen Kontext vor, die geschlechterpolitischen Problematisierungen, die in den Verbandsfußball hineinwirken, mit Anna Tsings Konzept der Friction (2005) „als spannungsreiches, produktives und zugleich […] unvorhersehbares Aufeinandertreffen zu denken“ (75).
Die Beschreibung des Forschungsprozesses ist ein notwendiger Teil qualitativer Forschung, der von der Autorin sehr dezidiert zu Beginn ihrer Ausführungen dargestellt wird und vor allem für Teil 2 und 3 Relevanz erhält. „Teilnehmen und beobachten“ im Prozess der „Herstellung, Reproduktion, Umarbeitung und Aushandlung des Sozialen in konkreten Praktiken“ (21) gehört zum wesentlichen Vorgehen in der ethnografischen Forschung. Die Rolle von Friederike Faust, die nicht nur als Forscherin, sondern zugleich als aktives Mitglied, Beobachterin, „Mitstreiterin und Freundin“ (24) eingebunden war, führt zunächst zu Irritationen. Denn wie kann die Idee „freundschaftliche Vertrauensverhältnisse nicht auszunutzen“ (26) zugleich umgekehrt mit notwendigen Distanzierungen zum Forschungsfeld kompatibel sein, um ein in der Ethnografie bekanntes Phänomen des „going native“ zu vermeiden? Als erstes Argument gegen diesen Prozess ist die Methodenvielfalt zu nennen, mit der das Forschungsfeld untersucht wurde: die Durchführung narrativer biografischer Interviews mit den Protagonistinnen von DF, Dokumentenanalyse von einzelnen Flyern, Handbuch, Broschüren, Analyse der Repräsentanz auf der eigenen Website und auf Facebook, ebenso von Abschlussberichten finanzieller Förderung, E-Mails sowie von Artefakten, die sich auf DF beziehen wie Zeitungs- und Zeitschriftenartikel, Radio- und Fernsehberichte.
Weiterhin greift Faust das Postulat ethnografischer Forschung auf, „die vertrauten Aspekte des Feldes zu befremden“ (32 f.), also „verkörperte und habitualisierte Denk- und Handlungsroutinen“ (31) zu reflektieren und Verwobenheiten zu entflechten, indem sie sich „ethnografischer Feldforschungssupervision“ unterzog. Zusätzlich – und dies durchzieht auch die nächsten zwei Kapitel – fragt die Verfasserin immer wieder kritisch nach und nimmt Perspektivwechsel vor, um zu verstehen, „warum gegenwärtige Zustände im Zusammenspiel mit ökonomischen, sozialen, kulturellen und politischen Relationen so und nicht anders gewachsen sind“ (47) und welchen Bewertungen sie unterliegen.
Der zweite Teil beschäftigt sich vorrangig mit der Entwicklung und Positionierung des feministischen Vereins „Discover Football“ als komplexe Formation heterogener Institutionen, Erwartungen und Interessen im kontinuierlichen Prozess des Sich-Organisierens auf zivilgesellschaftlicher Ebene in spätkapitalistischen Demokratien. Es ist unglaublich beeindruckend, wie viele Zeugnisse und deren durchaus auch kritische Deutung Friederike Faust vorlegt, um diesen vielfältigen Prozess, in dem unterschiedlich relevante Stakeholder jeweils eigene Kompetenzkriterien aufstellen, zu verdeutlichen. Zu diesen gehören staatliche Sportförderungen ebenso wie zivilgesellschaftliche Fördereinrichtungen, etwa politische und private Stiftungen, die die finanzielle Basis der Aktivitäten von DF sicherten. Hierdurch konnte sich DF als rechtsfähig eingetragener Verein etablieren, der zugleich durch seine internationale Expertise als NGO im Bereich Gender, Frauenrechte und Frauenfußball als feministische Alternative zu traditionellen Fußballvereinen und damit als Mitorganisatorin des städtischen Kultur- und Sportprogramms auftreten konnte. Die in diesen Aktivitäten angelegte oppositionelle Distanz zum Verbandsfußball erforderte, wenn das Ziel im Verbandsfußball etwas zu verändern umgesetzt werden sollte, kooperatives Einlenken, um sich zum Beispiel trotz Differenzen in das Leistungs- und Wettkampfprinzip des Verbandsfußballs einzugliedern und Mitspracherechte zu erhalten. Die eigene Positionierung zwischen machtvollen Ansprüchen staatlicher und verbandsfußballerischer Verwaltung an professionelle Organisationsstrukturen einerseits, Anforderungen feministischer Solidarität und Moralvorstellungen andererseits – beispielweise sichtbar am Widerstreit, wenn Hierarchien und Ungleichheiten nicht zugunsten gleichberechtigter Partizipation von Spielerinnen des globalen Südens aufgrund der Sicherung eigenen organisatorischen Überlebens aufgelöst werden konnten – , erforderte besonderes strategisches Handeln. In Anlehnung an den Begriff von Henrik Vigh (2006, 2009) versteht die Verfasserin daher unter Sich-Organisieren nicht das Auflösen von Konflikten und Widersprüchen, „sondern das geschickte Navigieren zwischen verschiedenen Regimen“ (202). Dazu gehört ein strategisches Koalieren zwischen Gestalten und Ausbalancieren, aber ebenso das Aushalten von Differenzen, Konfliktpotentialen und Widersprüchen.
Im dritten Teil stehen die konkreten Praktiken der Problematisierung im Fokus, das heißt, es wird genauer untersucht, wie „Discover Football“ entlang differenter Anerkennungslogiken die Geschlechterverhältnisse des Verbandsfußballs zu beeinflussen suchte und welche Effekte damit verbunden waren. Dazu wurden zum einen Forderungen an die Dachverbände gestellt und zum anderen durch internationale Koalitionen mit Fußball-Aktivistinnen, durch Kooperationen mit der staatlichen Sportförderung eine Situation geschaffen, in der die politische und wettkampfbezogene Dimension des Fußballs zugleich mit den Geschlechterverhältnissen nach den Vorstellungen von DF modelliert werden konnte.
Konkret wurde ein eigener Fußballverein gegründet, um Frauen geschlechtergerechte Angebote zu offerieren. Weiterhin wurde versucht, Frauen weltweit zum Fußballspielen zu mobilisieren und zugleich frauenrechtliches Engagement zu stärken. Dies gelang, da die Politik, die Frauen aus dem globalen Süden durch Sport fördern wollte und Sport als Mittel internationaler Friedensförderung anerkannte, DF finanziell unterstützte. Auch durch die lokale sportliche Förderung sowie durch den Zusammenschluss mit anderen, auch internationalen Fußballinitiativen, die ebenso wie DF Forderungen nach paritätischer Repräsentation aufstellten, wurden die Verbände letztlich unter Druck gesetzt. Das gleichheitsfeministische Postulat „Frauen sind zur gleichen sportlichen Leistung fähig“, wenn sie nicht rechtlich, ökonomisch, kulturell und sozial daran gehindert werden, blieb allerdings trotz der Etablierung von Quoten, transparenten Verfahren und Diskriminierungsbekämpfung nicht umsetzbar. Denn der Herrschaftsanspruch der Verbände und damit das sportliche Leistungsprimat, das dem „männliche[n], jungen[n], fitte[n] und weiße[n] Körper als Norm eingeschrieben ist“ (295), blieb unangetastet. (Nachhaltige) Veränderungsbemühungen, so schlussfolgert die Verfasserin, bedürfen demnach ständiger Flexibilität zwischen unterschiedlichen Strategien, Positionen und Fähigkeiten, zwischen Leistungsprimat und feministischen Ansprüchen, um geschlechterpolitische Wirkungen zu erzielen und Alternativen zu verankern.
Für alle, die sich für die Egalisierung von Geschlechterverhältnissen, ob in Organisationen oder sozialen Bewegungen, ob im Fußball oder Sport generell interessieren, ist diese beeindruckende Studie zu empfehlen, ein wirklich lesenswertes Buch, auch wenn beim Lesen geradezu sportliche Ausdauer verlangt wird!