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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Aktuelle Rezensionen


Michaela Fenske/Arnika Peselmann (Hg.)

Wasser, Luft und Erde. Gemeinsames Werden in NaturenKulturen

(Alltag – Kultur – Wissenschaft 7), Würzburg 2020, Königshausen & Neumann, 212 S. m. Abb., ISBN 978-3-8260-7168-3


Rezensiert von Mieke Roscher
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 25.08.2022

Mit NaturenKulturen nimmt das von Michaela Fenske und Arnika Peselmann herausgegebene Themenheft der Zeitschrift „Alltag – Kultur – Wissenschaft“ einen Begriff der amerikanischen Wissenschaftsforscherin Donna Haraway prominent in den Titel auf, der die für die westliche Moderne bedeutsame Trennung zwischen Natur und Kultur in Frage stellt und sich für eine vermischte Betrachtung von Menschen, Umwelt und anderen Lebewesen ausspricht. In der Ethnologie wird dieser Ansatz zumeist unter der Klammer der Multispezies-Ethnografie gelistet, die Herausgeberinnen verwenden aber bewusst einen weiteren Begriff, nämlich den der Multispecies Studies, wohl auch um damit einem über die Ethnologie/Sozialanthropologie hinausgehenden Beiträger*innenfeld gerecht zu werden. Die im Heft versammelten Texte gehen auf ein Forschungskolloquium am Lehrstuhl für Europäische Ethnologie in Würzburg zurück, in dem auch Historiker*innen und Kunstwissenschaftler*innen eingeladen waren, ihre Perspektiven auf die gemeinsame Produktion von Wissensbeständen zu präsentieren, die sich in den „Kontaktzonen“ der drei Atmosphären Wasser, Luft und Erde entfalten. Wie wichtig dabei die Interruption eingeübter Sichtweisen ist, beweisen auch die künstlerischen Interventionen im Band.

In ihrem Einleitungskapitel, das einen sehr guten Überblick über das Feld und für das Feld zentrale Begriffe wie die Kontaktzone, das „becoming-with“ oder die Immersion gibt, stellen Fenske und Peselmann eindrücklich heraus, um was es den Multispecies Studies immer auch geht: eine politische Intervention, die sich der Verbundenheit der Menschen mit der Umwelt stets bewusst sein muss, möchte sie die globalen Probleme etwa des anthropogenen Klimawandels angehen. Davon zeugt auch das den Aufsätzen beigefügte Interview mit der Klimaethnologin Silja Klepp. Gleichsam verweisen die Herausgeberinnen richtigerweise auf die immanente Historizität, die dem gemeinsamen „Werden“ innewohnt. Mitunter hätte ein inklusiverer Sprachgebrauch, der das Vokabular der Multispecies Studies nicht als Prämisse, sondern als Resultat der Auseinandersetzung erfasst, geholfen, dem doch immer noch marginalisierten Feld zu mehr Anschluss zu verhelfen. So entwickelt sich das Tableau der durchaus unterschiedlichen Bedeutungen erst in den Aufsätzen.

Wie zentral eine saubere Betrachtung der Historizität ist, die der Mensch-Tier-Beziehungskonstellation innewohnt, stellt im ersten Kapitel Anne-Charlott Trepp mit ihrem Beitrag zur physikotheologischen Auseinandersetzung mit der belebten Natur in der Nachreformationszeit dar. Sie erteilt damit einer viel zu einfachen und teleologischen Behauptung der Dominanz eines cartesianisch-mechanistischen Weltbildes eine klare Absage. Stattdessen müssten die Leiblichkeitskonzeptionen, die insbesondere von pietistisch beeinflussten Naturkundlern entworfen wurden, im Hinblick auf die von ihnen proklamierte, in allen Wesen vorhandene Präsenz Gottes und dessen sensorische Erfahrbarkeit überprüft werden. Auch der spannende Beitrag zum Mensch-Bienen-Verhältnis von Marie-Helene Wichmann spürt der kulturnatürlichen Annäherung beider Spezies in der historischen Tiefenbetrachtung nach. Der Ansatz, das Verhältnis als einen Kolonialisierungsprozess zu begreifen und damit den Forderungen der Multispecies Studies nach der Dezentrierung des Menschen und der Betrachtung asymmetrischer Machtverhältnisse in der Kontaktzone eine postkolonial-posthumanistische Lesung entgegenzusetzen, leuchtet durchaus ein. Indes ist dies ein schwieriges Terrain und Bienen beziehungsweise den Superorganismus Bien als die nächsten Subalternen zu begreifen auch methodisch diffizil. Hier hätte ich mir eine eingehendere Auseinandersetzung mit postkolonialer Theorie gewünscht.

Insgesamt bieten die Beiträge einen guten Überblick darüber, inwieweit die Multispecies Studies der Materialität des Werdens in sowohl räumlicher wie temporaler Weise neue Dimensionen entlocken. Nicht allen Beiträger*innen gelingt es dabei so gut wie Sandra Eckhardt mit ihrer Multispecies Ethnography über die Hannoveraner Zucht auch die für den Band titelgebende Atmosphärität, in ihrem Fall der des Bodens auf dem Pferde laufen, „schweben“ und dessen Gras sie essen, zu berücksichtigen. Auch Jessica Ullrich schafft es mit ihrem Aufsatz über eine Reihe moderner künstlerischer Auseinandersetzungen mit dem Tod von Tieren, ihrer Beerdigung, Einäscherung und „Enterdigung“ (131), dem transformatorischen Charakter des körperlichen Materials und den damit verbundenen unterschiedlich verwobenen Welten im Zusammenhang mit dem Element Erde zu begegnen. Der Bezug zur Erde ist hier auf gleich mehrfache Weise relevant. Religiös-christliche Bilder werden ebenso aufgeworfen wie ökologische. Die Assemblage wird hier plastisch. Allerdings: Boden und Erde sind nicht dasselbe und auch hier hätten die Herausgeberinnen das Potenzial, das in den Arbeiten liegt, noch weiter ausschöpfen können.

So sticht der sonst hervorragend recherchierte und gut geschriebene Aufsatz von Jana Piňosová über die Verbindung von Landschafts- und Minderheitenschutzkonzepten im Spreewald des 19. Jahrhunderts heraus, nicht weil er als einziger Aufsatz andere Multispecies Beziehungen außerhalb von Tier-Mensch-Verhältnissen aufgreift, sondern weil Wasser beziehungsweise das Abgraben von Wasser durch die Meliorationsversuche des preußischen Staates hier primär „von außen“ gedeutet wird, die Wirkmacht des Wassers also zwar in seiner Materialität beschrieben wird, eine genaue Beschreibung des Entanglements als Multispeziesgemengelage aber ausbleibt. Was diese unterschiedlichen Atmosphären als heuristische Klammer und Ansatz bieten können ist längst auch im weiteren Feld noch nicht zu Ende gedacht und birgt sicherlich Potenzial für künftige Überlegungen der Multispecies Studies. Dazu hat Thorsten Gieser in seinem Beitrag über die Landschaftswahrnehmungen von Jäger*innen wichtige Anstöße geben können. Indem er die „atmosphärische Präsenz“ (171), die sowohl von der Landschaft wie auch von den diese Landschaft bewohnenden Tieren, ausgeht, praxeologisch aufgreift, gelingt es ihm, leibliche Empfindungen zu kanalisieren und für die Wissenschaft produktiv zu machen.

Alles in allem gelingt es dem Band aber den multidisziplinären Charakter der Multispecies Studies zu konturieren. Dass dabei nicht alle Fragen beantwortet und alle Konzepte vorgestellt werden konnten, dass nicht alle Beiträge mit dem posthumanistischen Theoriewerk hantieren, sollte daher eher als eine Anregung gesehen werden, offen für multidisziplinäre Denkanstöße zu bleiben. Diese miteinander ins Gespräch zu bringen ist ein Verdienst der Herausgeberinnen.