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Albrecht Steinecke
Dark Tourism. Reisen zu Orten des Leids, des Schreckens und des Todes
(Tourism Now), München 2021, UVK, 222 S. m. Abb., ISBN 978-3-7398-3054-4
Rezensiert von Burkhart Lauterbach
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 25.08.2022
Im Jahr 2012 erschien im Selbstverlag des Faches Geografie in der Fakultät für Kulturwissenschaften der Universität Paderborn ein erster umfassender, wenn auch eher unaufwändig ausgestatteter Sammelband in deutscher Sprache zum Thema „Dark Tourism – Faszination des Schreckens“, herausgegeben von Heinz-Dieter Quack und Albrecht Steinecke. Letzterer Autor hat nun, neun Jahre später, mit einem hervorragend ausgestatteten, vielseitig und vielfältig argumentierenden Band eine Art von Konzentrat, verfasst aus einem Guss, nachgelegt.
Worum geht es Albrecht Steinecke genau? „Unter dem Dachbegriff Dark Tourism werden alle Reisearten (Tagesausflüge und Übernachtungstourismus) zusammengefasst, bei denen die Touristen Orte des Leids und Schreckens, des Grauens und des Todes besichtigen.“ (19) Sieben verschiedene Handlungsfelder rund um eine Auswahl von „dissonanten Sehenswürdigkeiten“ (5) hat sich der Autor vorgenommen, um sie kritisch zu beschreiben und einer Analyse zu unterziehen, dies unter besonderer Berücksichtigung der jeweiligen Inhalte, Formen, Vermittlungsmedien sowie historisch-pädagogischen Funktionen im Sinne der unterschiedlichen Konzepte kulturellen Erbes, dies aber auch unter Einbezug der verschiedenen Aspekte des potentiellen Missbrauchs derselben (Sensationslust, Voyeurismus).
Zunächst geht es um Stätten des Holocaust und des Völkermords, wobei diesem Kapitel ein weiteres zugeordnet ist, in dem unser Fachkollege Jörg Skriebeleit seine langjährigen Erfahrungen als Leiter der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg unter theoretischen und alltagskulturpraktischen Aspekten resümiert. Das nächste Kapitel widmet sich der ältesten Variante des „dunklen“ Tourismus, nämlich dem Besichtigen von Schlachtfeldern und Militäranlagen, was seit dem späten 18. Jahrhundert kultiviert wird, seinerseits auf antike Vorbilder verweist und sich zwischenzeitlich zu einem veritablen „Militärtourismus“ (52) entwickelt hat. Es folgen ein Kapitel über Orte von Terroranschlägen (9/11), Naturkatastrophen (Tsunamis, Erdbeben, Überschwemmungen) und Nuklearunfällen (Tschernobyl) sowie ein Exkurs über Slums, Townships und Armenviertel, bevor Grabmale und Friedhöfe, sodann ehemalige Gefängnisse und schließlich kommerzielle „dunkle“ Besucherangebote (Gruselerlebniswelten jeglicher Art) thematisiert und problematisiert werden.
Steineckes Band eignet sich zum Einstieg in das gewählte Handlungs- und Forschungsfeld, kein Zweifel. Für eine zweite Auflage seien dennoch drei Empfehlungen ausgesprochen: Zum einen taucht in der Liste „konkurrierender Begriffe“ zu „Dark Tourism“ (18), und zwar ohne jegliche Begründung, der Begriff „Erinnerungstourismus“ nicht auf, den zu verwenden Gerhard L. Fasching im genannten 2012er Sammelband geradezu propagiert, dies, nicht zuletzt, als einzigen, sich anbietenden, deutschsprachigen Terminus. Zum anderen sollte der ebenfalls im Sammelband behandelte „Industrietourismus“ auch in der Monografie einen deutlicheren Stellenwert als in gelegentlichen Bemerkungen (56, 105) erhalten; wer jemals, etwa im Rahmen einer Klassenfahrt in den 1960er Jahren, eine Fabrikhallen- oder Hochofenbesichtigung mitgemacht hat, weiß, dass auch dort, und zwar massiv, gelitten worden ist. Und bei der Schriftstellerin und Auschwitz-Überlebenden Ruth Krüger (sic!, 30) handelt es sich um die österreichisch-amerikanische Literaturwissenschaftlerin (Princeton, Irvine) Ruth Klüger (1931–2020), die auch in Göttingen als Gastprofessorin tätig war. Nachbemerkung: Völlig ratlos macht einen Rezensenten die Tatsache, dass ein in München ansässiger Verlag, der zu einer in Tübingen beheimateten Verlagsgruppe gehört, einer deutschsprachigen Veröffentlichungsreihe den Titel „Tourism Now“ verpasst.