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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Johannes Müske/Stephan Puille/Peter A. Leitmeyr

Die Technisierung der Klangwelt. Phonographen im Deutschen Museum

München 2020, Deutsches Museum, 234 S. m. 164 Abb., ISBN 978-3-940396-91-4


Rezensiert von Josef Focht
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 25.08.2022

Dieser Bestandskatalog des Deutschen Museums ist dem Andenken an Peter A. Leitmeyr gewidmet, der 2003 das zugrundeliegende Dokumentationsprojekt der Sammlung von Phonographen und Graphophonen im Deutschen Museum angestoßen hatte, dessen Abschluss er allerdings infolge einer schweren Krankheit und seines frühen Todes (2010) nicht mehr erleben konnte. Die unvollendete Arbeit des Münchner Ingenieurs und Technikhistorikers wurde schließlich von dem Kulturanthropologen und Wissenschaftshistoriker Johannes Müske (Zürich, Freiburg/Breisgau) gemeinsam mit dem Restaurator und Tonarchäologen Stephan Puille (Berlin) ergänzend und erweiternd zu Ende geführt, so dass sie zehn Jahre nach ihrer Unterbrechung als Printmedium veröffentlicht werden konnte.

Der Band ist in zwei Hauptteile – mit drei Essays und dem Katalog einer 38 Objekte umfassenden Sammlung des Deutschen Museums – und einen Anhang mit Findmitteln und Referenzen gegliedert. In den Essays geben Johannes Müske und Stephan Puille gemeinsam einen Überblick über die Phonographen in den Sammlungen des Deutschen Museums, ehe Puille die Entwicklung des Phonographen in Deutschland darstellt und Müske diesen Gerätetyp in der Wissenschaft speziell mit dem Augenmerk der technischen Dimension der Erforschung der Klangwelt untersucht.

Die beschriebenen 38 Objekte erzählen eine Technik- und Mediengeschichte ab dem Jahr 1877, in dem Thomas Alva Edison den Phonographen entwickelte. Damit traten die Audiomedien neben die Printmedien, modern anmutend, konkurrierend, ergänzend, sinnlich erlebnishaft. Ihre Materialien lösten einander im Bestreben nach einer Optimierung in rascher Folge ab: Zinnfolie, Amberol, Zelluloid, Wachs und ähnliche Substanzen. Bestimmungszwecke, Materialien und Beschreibverfahren forderten dabei immer neue Formate und Funktionsweisen der Speichermedien, nämlich Walzen und Platten mit zunehmender Speicher- oder Spieldauer, die auf unterschiedliche Weise mit Energie versorgt wurden, meist mit Strom, Federkraft, Wasserdampf oder Tretkurbel. Die Baujahre der hier dokumentierten Geräte reichen bis in die ersten Jahre des 20. Jahrhunderts, ihre Baureihen endeten zumeist noch vor dem Ersten Weltkrieg.

Die Objekte werden vergleichbar in Text und Bild dokumentiert: mit ihren Basisdaten, Objektmaßen, Signaturen, typenspezifischen Merkmalen und dem zu ihnen erhaltenen Zubehör. Die großformatigen Abbildungen stellen das Layout mitunter vor Herausforderungen, einmal (169) provozieren sie sogar eine vacat-Seite. Dies erstaunt heute, wo Fotomaterial billig und schnell verfügbar ist.

Ein weiterer Aspekt darf in einer Zeit der vollständig digitalisierten Wissensspeicherung und Qualitätssicherung in einer Institution wie dem Deutschen Museum, einem Forschungsmuseum der Leibniz-Gemeinschaft, nicht unberücksichtigt bleiben: Die angesprochene Vergleichbarkeit ist – wie sollte dies in einem Buch auch anders sein! – dem Close Reading-Zugang einer Leserin oder eines Lesers, eines Menschen zugedacht. Der überwiegende Teil der hier besprochenen 38 Objekte ist dankenswerterweise zwar auch im Portal „Deutsches Museum Digital“ erreichbar, doch auch dort nur text- und bildlich und noch ohne multimodale Ergänzung im Anspruch einer Enhanced Publication.

Die verschiedenen Wandlungsrichtungen von Schall in Schrift und umgekehrt boten in der Gründerzeit ganz verschiedenartige Nutzungsszenarien, die für Aufnahmen und Wiedergaben in zunehmender Anzahl sorgten. Auf einen Aspekt davon geht, wie eingangs bereits ausgeführt, der Kulturwissenschaftler Johannes Müske näher ein: auf den Phonographen als wissenschaftliches Instrument, das in der „phonographischen Methode“, wie sie Erich Maria von Hornbostel 1930 beschreibt, auch ethnografische Belege herstellt. Objektiv, nachvollziehbar, haltbar, wie man damals glaubte.

In dieser von Johannes Müske eingebrachten Perspektive wüsste man natürlich gern mehr über die auralen Inhalte auf den Zinnfolien und Walzen im Zubehör der Geräte oder über deren primär-funktionale Nutzung durch ihre Vorbesitzer. Dieses Wissen ist freilich schwer zugänglich. Die Auralisierung und Digitalisierung sind noch herausfordernd, vielfach ungelöst. Nur weniges ist bis dato über das Walzenkonvolut von 848 Objekten in der Sammlung der Nachrichtentechnik im Deutschen Museum bekannt, lediglich ein paar Phonographen sind mit einer Handvoll Walzen überliefert, singuläre mit 35, 96 oder gar 150 Tonträgern.

Die Rezeptionsgeschichte des Phonographen – gar nicht unbedingt der individuellen Objekte, sondern der gesamten Typenklasse – ist erst zu schreiben. Einzelne Segmente daraus deutet der Autor schon kenntnisreich an, etwa die Belletristik, die Medizin, die Ethnografie. Längst erkannt, aber noch lange nicht ausreichend untersucht sind insbesondere die musikalischen Bereiche, etwa die Aspekte der Singstimme, der instrumentalen Spieltechnik, der Aufführungspraxis und Interpretationsforschung.