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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Veronika Rückamp

Alltag in der Moschee. Eine Feldforschung jenseits von Integrationsfragen

(Globaler lokaler Islam), Bielefeld 2021, transcript, 403 S. m. Abb., ISBN 978-3-8376-5633-6


Rezensiert von Fatma Sagir
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 25.08.2022

n ihrer ethnografischen Studie „Alltag in der Moschee“ stellt die Schweizer Religionswissenschaftlerin Veronika Rückamp die Frage „Was ist eine Moschee?“ in den Mittelpunkt ihrer Forschung (2–3). Damit platziert sie die Ergebnisse ihrer Feldforschung in ausgewählten Moscheen in Zürich und Wien (2013–2014) in den Nukleus gesellschaftspolitischer Debatten um die Zugehörigkeit von Muslim*innen in Nord-West-europäischen Gesellschaften. Die Moschee, in Deutschland die berühmt-berüchtigte „Hinterhofmoschee“, wurde und wird im medialen und politischen Diskurs oft noch als Hort des Terrorismus oder der Integrationsverweigerung dargestellt (87–93). Polarisierende Debatten um den Gebetsruf, ein (Schweizer) Minarettverbot oder um sichtbare repräsentative Moscheearchitektur sind eine Indikation um die Bedeutung dieser Diskurse für die Frage „Welche Gesellschaft wollen wir sein?“

Veronika Rückamp stellt bereits in ihrer Einleitung und schon in ihrem Untertitel „Eine Feldforschung jenseits von Integrationsfragen“ klar, dass sie dieser Politisierung der Moschee einen Zugang zur Alltagskultur entgegen zu stellen wünscht. Dies gelingt ihr. Um sich ihrem Thema aus organisationssoziologischer, religionswissenschaftlicher und wissenssoziologischer Perspektive zu nähern, untersucht Veronika Rückamp Feste und Gebete in der Moschee (170–213), die Bildungsangebote (213–259) sowie den Tag der offenen Moschee als Beispiel für eine öffentliche Veranstaltung (259–289). Dabei widmet sie sich auch den organisationellen und personellen Strukturen in den Moscheeorganisationen. Sie stellt fest, dass sich eine Moschee als Handlungsraum durch diese Praktiken stets im Wandel befindet, der Raum in Wechselwirkung mit geografischen, sozialen und gesellschaftlichen Faktoren steht. Darüber hinaus betrachtet sie sowohl den Einfluss des Generationenwandels unter den muslimischen Gemeindemitgliedern als auch der Interaktion von Muslimen verschiedener Herkunft und Religionspraxis (290) im Gegensatz zur oft negativen Erfahrung der „ethnischen Homogenität“ von Moscheegemeinden (292, 341), die in Wechselwirkung mit Flucht und Migration entstanden war.

In Interviews und mittels Teilnehmender Beobachtung nähert sich Veronika Rückamp der zentralen Frage „Was ist eine Moschee?“, mehr noch den Fragen „Wer ist die Moschee?“ und „Wer macht eine Moschee zur Moschee?“ So widmet sie sich der Untersuchung alltagskultureller Praktiken in einer Moschee. Die inkludierten Farbfotografien von Moscheen von außen ‒ meist als unscheinbare Häuserblöcke ‒ im Gegensatz zu Innenansichten mit Teppichen und religiöser Kaligrafie unterstreichen und begleiten in dieser Buchhandelsausgabe der Dissertation die theoretischen und methodischen Überlegungen sowie die Interviewauszüge.

Die Moschee als gemeinschaftsbildender kultureller Raum entspricht der tradierten islamischen Vorstellung. Ich habe diese Arbeit als Islamwissenschaftlerin und Kulturanthropologin, aber auch als Muslimin aus einer Einwandererfamilie gelesen, die mit solchen Moscheen in Deutschland vertraut ist. So kann ich feststellen, dass das traditionelle Verständnis der Moschee als sozialer Raum, als Raum, der besonders in der Migration Gemeinschaft herstellt, mit den diesbezüglichen Beobachtungen und Erkenntnissen der vorliegenden Studie übereinstimmt. Veronika Rückamp beleuchtet in diesem Zusammenhang den Komplex gesellschaftlicher Erwartungen und Mitgliedererwartungen (345 ff.) spezifisch für den Schweizer und Österreichischen Kontext. Auf ihre Ausgangsfrage „Was ist eine Moschee?“ findet sie unter anderen die Antwort, dass die Moschee „kein Sakralgebäude“ sei. Dies ist in der islamischen Tradition und Lehre auch nicht vorgesehen. Sakralität werde „situativ durch das gemeinsame Ritual als performative Sakralität hergestellt“ (357). Eine Moschee, so stellt Veronika Rückamp fest, werde „über das Handeln, welches auf religiöse Zwecke ausgerichtet ist“ definiert (357). Mit ihrer Studie legt Veronika Rückamp ein Werk vor, das nicht nur in der Forschung zu Religiosität und Alltagspraktiken, sondern auch auf gesellschaftspolitischer Ebene wichtige Impulse setzt.