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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Aktuelle Rezensionen


Stefan Dornheim (Hg.)

Kultbild – Götze – Kunstdenkmal. Entsorgung, Umdeutung und Bewahrung vorreformatorischer Bildkultur im Luthertum

(Bausteine aus dem Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde 41), Leipzig 2021, Leipziger Universitätsverlag, 459 S. m. Abb., ISBN 978-3-96023-415-9


Rezensiert von Wolfgang Brückner
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 25.08.2022

Auf der Generalversammlung der Görres-Gesellschaft 1995 in Dresden handelte deren Kommission für Kunstgeschichte von der „Bewahrenden Kraft des Luthertums“ vor allem in Bezug auf die Überlieferung mittelalterlicher Vasa sacra, die auf katholischer Seite in der Regel im Barock durch Umschmelzen für den weiter existierenden Kultus verlorengegangen sind (publiziert durch Johann Michael Fritz, Regensburg 1997). Schon damals war dies ein Vorstoß der Denkmalpflege im wiedervereinigten Deutschland. Nun kommt 2019 wiederum aus Dresden von der dortigen amtlichen Denkmalpflege aus deren Inventarisierungsaufgaben die Dokumentation einer Tagung auf Schloss Weesenstein durch das Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde (ISGV) über das Phänomen der „Götzenkammern“ in evangelischen Kirchen.

Das Grimmsche Wörterbuch kennt den Begriff „Götzenkammer“: „kirchlicher raum zur aufbewahrung alter heiligenbilder und zerstörter kirchlicher requisiten“ (Bd. 8, Sp. 1461). Damit sind wir im Bereich der Landeskirchengeschichte und den Abseiten der bisherigen Kunsthistorie. Darum packen heute Kulturwissenschaftler der Randphänomene des gehobenen wissenschaftlichen Feuilletons der etablierten Kenntnisfakultäten das Thema auf. Dazu gehört die „einstige“ historisch forschende Volkskunde im Verbund mit noch existierender Landesgeschichte, wie in Dresden institutionalisiert und geleitet von den Fachordinarien in Dresden und Leipzig, bislang Winfried Müller und Enno Bünz. Letzterer ist Verfasser der umfangreichen einleitenden Grundlegung „Kirchenorganisation, Pfarrkirchenausstattung und Frömmigkeitspraktiken in Mitteldeutschland um 1500“ (25–92). Dazu sei erinnert an den großen Ausstellungkatalog „Alltag und Frömmigkeit am Vorabend der Reformation in Mitteldeutschland“ (Petersberg 2013). Keine offizielle Liturgiewissenschaft kennt derlei Dinge im Detail. Auch bezeichnend, dass kaum gestandene Kunsthistoriker sich in der Lehre für das Alltagsleben von Artefakten wirklich interessieren. Dafür gibt es jedoch Gott sei Dank die Praxis der Denkmalpflege. Und so verwundert es nicht, wenn der vorliegende Band auch wichtige Beiträge zu einer Entwicklung von organisierter, das heißt amtlicher Denkmalpflege bietet. Dazu gibt es einen dritten Teil „Dokumentieren, Konservieren, Musealisieren. Die Wiederentdeckung ‚kirchlicher Kunstalterthümer‘ und die Anfänge der Denkmalpflege in Sachsen“ (311–438). Hier besonders interessant der Beitrag  „Die Romantisierung Meißens als mittelalterlicher Sehnsuchtsort in der Malerei bis zum Ende des 19. Jahrhunderts“ von Falk Dießner (375–408).

Der Kunsthistoriker der Technischen Universität Dresden Bruno Klein steuert einen Überblick zum Phänomen „Bauten und Bilder recycelt“ bei (175–211), mit Beispielen vom Konstantinsbogen in Rom bis zu Container-Auftürmungen heutigentags in London oder von den antiken Säulen-Spolien bis zur Verbauung von Grabsteinen jüdischer Friedhöfe oder der Bestückung von Gemmenkruzifixen mit antiken Schmucksteinen oder der Wiederverwendung von Baumaterial zerstörter Monumente. Diesem Aufsatz voraus gehen Überlegungen von Martin Sladeczek zum „Umgang mit Altarretabeln in thüringischen Städten und Dörfern im 16. Jahrhundert“, von Peter Knüvener über den „Umgang mit vorreformatorischen Kirchenausstattungen in Brandenburg und in den Lausitzen“ und Kateřina Horničková über „Wechselnde Zugänge zur Kirchenausstattung in Böhmen zur Zeit der Konfessionalisierung“.

Der zentrale Teil des Buches handelt von den „Bedeutungen und Umdeutungen vorreformatorischer Bildkultur zwischen Reformation, Aufklärung und Romantik“ mit Beiträgen von Hartmut Ritschel mit dem Titel „Bewahrung und Anpassung. Aspekte konfessioneller Kontinuität an sächsischer Kirchenausstattung“, von Günter Donath über „Die ‚Götzenkammer‘ in der Wilsdruffer St. Jacobikirche“, von Stefan Laube über „Idyllische Idole. ‚Heilige‘ Objekte in Kunst- und Schatzkammern protestantischer Dynastien“ und von Hartmut Kühne über „Von Oels nach Mecheln und von Braunschweig nach Elsterberg. Frühe Erfolgsgeschichten der lutherischen Wunderzeichenliteratur“. Letzteres greift unter anderem die volkskundlichen Studien zu den sogenannten Prodigien auf und verortet Bildhaftes anhand von Einblattdrucken und Berichten über Himmelserscheinungen.

Unser aller falsche Vorstellungen von den strukturellen und damit bisweilen sogar historisch verstandenen Unterschieden zwischen Nord-, Mittel- und Süddeutschland werden hiermit kräftig durcheinandergeschüttelt. Und zwar nicht durch die Gegenwartsempirie heutiger Alleinerkenntniswünsche, sondern durch kulturwissenschaftliches Fragen in historischen Kontexten, wie sie inzwischen weiterhin von der landesgeschichtlichen Methodik gelehrt wird. Ad fontes gehen lautete die Parole. Nicht unsere Meinungen sind gefragt, aber deren Entstehen.