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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Aktuelle Rezensionen


Christin Ruppio

Karl Ernst Osthaus und der Hohenhof in Hagen. Ein Modell kultureller Vermittlung

Berlin 2021, Reimer, 231 S. m. Abb., ISBN 978-3-496-01664-9


Rezensiert von Bernd Wedemeyer-Kolwe
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 01.09.2022

Etwa ab der Zeit um 1900 beginnt sich, (zumindest) in Deutschland, ein Umbruch in der Museumslandschaft, in der Kunstvermittlung und in der Sammlungstätigkeit abzuzeichnen, der in der Folgezeit neue Diskurse und neue Schwerpunkte etablieren sollte. Unter dem Einfluss verschiedener modernekritischer bürgerlicher Reformströmungen entstand die Idee, Kunst und Alltag stärker miteinander zu verbinden, sich bewusster an einheimische deutsche Stil- und Formentraditionen anzuschließen und einen, auf einfachen und dauerhaften Formen basierenden Gebrauchsgütersektor als Gegengewicht gegen die als Kitsch und Protzerei empfundene Massenproduktion der Industrialisierung zu etablieren. Im Rahmen dieser als „Volksbildung“ aufgefassten neuen Bildungsvermittlung entstanden solche Initiativen wie etwa die Heimatkunstbewegung, die Kunstgewerbebewegung und der Deutsche Werkbund, aber auch eine Reform des Laienspiels, eine Theaterreform und die Idee der Volkshochschule als Bildungszentrum für die Bevölkerung. Als Initiatoren rückten dabei nicht nur die neuen Kunstgewerbemuseen in den Mittelpunkt, sondern auch einzelne fördernde Personen aus den deutschen Oberschichten und dem Bildungsbürgertum, die ihr Vermögen in den Aufbau neuer kunstgewerbeorientierter Sammlungen und die Förderung entsprechender Museumsbauten investierten, die die Vorstellung einer Einheit von „Volk“, „Kunst“, „Kultur“ und „Alltag“ vorbildhaft repräsentieren sollten.

Neben solchen, bis heute existierenden Großprojekten zwischen Neuem Bauen, Neuem Leben, Kunst, Handwerk und Alltagskultur wie etwa der Mathildenhöhe in Darmstadt machte zu jener Zeit auch der vermögende Hagener Mäzen Karl Ernst Osthaus (1874–1921) mit vergleichbaren Initiativen von sich reden. Er gründete das Hagener Folkwang-Museum, das später nach Essen verkauft wurde – schon der Name „Folkwang“ (Volksfeld), der aus der nordischen Mythologie stammt, ist programmatisch – , etablierte eine Folkwang-Malschule, ließ eine Gartenstadt und Arbeitersiedlungen errichten und mit dem Hohenhof sein eigenes Wohnhaus bauen. Diese Projekte entstanden unter der Planung und Mitwirkung zahlreicher bekannter Architekten und Gestalter wie Peter Behrens, Henry van de Velde, Adolf Loos oder Bruno Taut. Seine als Gesamtkunstwerke angeregten Initiativen einer Vereinigung von Kunst und Leben firmierten bald unter dem Begriff „Hagener Impuls“; seine Bauten sind heute als Museen bekannt, seine Person ist bis heute Gegenstand zahlreicher kunsthistorischer Studien und Erörterungen.

An diesem Punkt setzt die bei Barbara Welzel an der TU Darmstadt entstandene Dissertation von Christin Ruppio an. Sie befasst sich mit dem Hohenhof, der zwischen 1906 und 1908 von Henry van de Velde als Wohnhaus der Familie Osthaus am Stadtrand auf dem Gelände der Gartenstadt Hohenhagen erbaut worden ist und heute als Teil des Osthaus-Museums Hagen zur lokalen Museumslandschaft gehört. An diesem Projekt zeigt die Autorin beispielhaft, wie ein damaliges typisches „Modell kultureller Vermittlung“ als Gesamtkunstwerk im Kontext von Kunstgewerbe, Neuem Bauen und Gesellschaftsutopie funktioniert hat. Dafür geht Christin Ruppio ausgesprochen systematisch vor: Nach einer Einleitung zum Thema und seines Umfelds gliedert die Autorin ihre Darstellung in drei Teile, die den Baukontext („Fundament“), das Haus und das Wohnen selbst („Grundstein“) und die vielgestalterische und zitatreiche Inneneinrichtung („Gewebe“) in den Blick nehmen.

Im ersten Teil kontextualisiert Christin Ruppio den Hohenhof im Rahmen der Ideen von Osthaus und der Einflüsse auf ihn, im Rahmen der begleitenden Bauwerke der Umgebung und des Gesamtbebauungsplans der Gartenstadt Hohenhagen sowie im Rahmen der daran orientierten architektonischen und gestalterischen Außen- und Innenansichten des Hauses selbst und verdeutlicht so das Ideen- und Gestaltungsnetzwerk, in dem sich der Hohenhof befindet. Im zweiten Kapitel untersucht sie das Bezugssystem des und innerhalb des Hauses und der Einrichtung zwischen zeitgenössischer Ästhetik, kunstgeschichtlichen Einflüssen und sozialen und gesellschaftlichen Ansprüchen. Im dritten Teil befasst sich die Autorin speziell mit den internationalen Kultureinflüssen auf Osthaus in der Einrichtungsgestaltung am Beispiel der reflektierten Präsentation islamischer Kunst und Kultur, die Osthaus als Weltreisender selbst vor Ort erfahren und dann im Hohenhof umgesetzt hat. Abschließend fragt Christin Ruppio nach den Möglichkeiten, den Chancen, der Vermittlung und dem Gewinn des Hohenhofs, seiner Einrichtung und seiner Ikonografie zwischen Kunstgewerbe, Heimatkunst und Weltkunst für die aktuelle Museumsnutzung und die Rezeptionspalette der Besucherinnen und Besucher. Im Zentrum steht hier das Potential, aber auch die Problematik heutiger Kulturvermittlung, vergangene und daher nicht einfach zu rezipierende Ideen, Ästhetiken und Umsetzungen in einem modernen Museum zu vermitteln und im Rahmen einer aktuellen Museumspädagogik fruchtbar zu machen.

Abschließend sei aus aktuellem Anlass noch eine Bemerkung zum Sprachgebrauch erlaubt: Für ihre Dissertation hat sich Christin Ruppio sehr bewusst dafür entschieden, genderneutrale Sprache nicht durchgängig, sondern differenziert zu verwenden, da der Diskurs über binäre Geschlechtersysteme nicht auf historische Situationen übertragbar ist. Wo immer es inhaltlich möglich war, verwendet sie den Genderstern. Wo es sprachlich und inhaltlich schwierig war, das heißt für die historischen Verhältnisse um 1900, benutzt sie den Schrägstrich. Und „wo allein die maskuline Form genutzt wird, handelt es sich entweder um indirekte Zitate oder die Abbildung einer Situation, in der de facto nur Männer vorkommen“ (189). Diese saubere  wissenschaftlich geleitete Differenzierung und die präzise Definition sind zu begrüßen. Aber es ist doch auch bemerkenswert, dass man sich im wissenschaftlichen Kontext mittlerweile dafür rechtfertigen muss, historische Quellen nach wissenschaftlichen Belegen und nicht nach ideologischen Gesichtspunkten zu analysieren.