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Johannes Müske/Ute Holfelder/Thomas Hengartner (Hg.)

Fixing and Circulating the Popular. Ethnographies of Technology, Media, Archives and the Dissemination of Culture

(Kulturwissenschaftliche Technikforschung 6), Zürich 2020, Chronos, 164 S. m. Abb., ISBN 978-3-0340-1394-9


Rezensiert von Lennart Ritz
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 01.09.2022

Die technische und mediale Durchdringung des Alltagslebens gilt gemeinhin als ein Merkmal unserer Gegenwart. Einen Beitrag zur Erforschung dieser technisierten Alltagspraktiken möchte der von Johannes Müske, Ute Holfelder und Thomas Hengartner herausgegebene Sammelband „Fixing and Circulating the Popular. Ethnographies of Technology, Media, Archives and the Dissemination of Culture“ leisten. Die Publikation behandelt in neun Beiträgen Praktiken des Sammelns, Ordnens und Ausbreitens von Populärkultur anhand von Beispielen wie Populärer Musik, „Volksmedizin“, traditioneller Architektur oder Internetplattformen wie Google Maps. Die Beiträge vereint dabei zum einen die gemeinsame Beschäftigung mit Technologie in alltagskulturellen Kontexten, zum anderen ein von Hermann Bausinger ausgehendes und von Thomas Hengartner weitergeführtes kulturwissenschaftliches Verständnis von Technologie als Ermöglichungspotential für kulturelle Praktiken.

Diese Perspektive wird im einführenden Beitrag von Holfelder und Müske postuliert und im darauffolgenden von Hengartner expliziert. Erstere erkennen in Praktiken des Sammelns und Sicherns von klanglichen, schriftlichen und visuellen Aufnahmen Ende des 19. Jahrhunderts, geleitet von der Intention, eine scheinbar „authentische“ Volkskultur zu erfassen, eine konstitutive Praxis der Volkskunde. Den wissenschaftlichen Zeitgeist habe dabei die Angst vor dem Verschwinden traditionellerer kultureller Praktiken bedingt durch technische Innovationen bestimmt, woraus sich die paradoxe Notwendigkeit ableitete, diese mit ebenjenen technischen Mitteln zu dokumentieren und zu archivieren. Neue zeitgenössische (digitale) Technologien und die aus ihnen resultierende mediale Zirkulation von Populärkultur böten heute eine ähnliche wissenschaftliche Signifikanz wie die bestehenden Archive. Die Auslotung dieser Möglichkeiten in Bezug auf ethnografische Daten stehe im Zentrum dieses Sammelbands, wobei der methodologische Fokus auf akteurs- und praxiszentrierten Ansätzen liege, die auch normabweichende und subversive Nutzungsformen von Technologie im Alltag miteinbezögen. Laut Hengartner werde die Technikforschung gegenwärtig als integraler Bestandteil des Alltags und als eingeschrieben in Kultur und Gesellschaft behandelt, woraus für ihn zentrale kulturwissenschaftliche Fragestellungen erwachsen. Diese seien ausgerichtet auf den Einfluss von Technologie auf den Alltag und vice versa, die Produktion von Bedeutung im Spannungsfeld von Kultur und Technologie, die Analyse der Aneignung, Verwendung und des Bewusstseins von Technologie, aber auch die Analyse der Internalisierung von technologischen Praktiken im Alltag als Potentiale für Handlungsmöglichkeiten beziehungsweise ‑begrenzungen. Ferner zählt Hengartner noch weitere eher wissensgeschichtlich geprägte Ansätze der Technikforschung auf, wie zum Beispiel die Untersuchung der Rolle von Narrativen und Ideen im Aushandeln und Interpretieren der sozialen Bedeutungen von Technik oder das Positionieren von Technologie als Akteur im Sinne der Actor Network Theory. Dabei bekommt jeder beschriebene Ansatz einen Beispieltext spendiert, der die theoretischen Konzepte verdeutlicht. Hengartners Beitrag ist damit dienlich als Übersicht sowie als programmatischer Beitrag zur kulturwissenschaftlichen Technikforschung und das insbesondere für diesen Sammelband. Die Nachvollziehbarkeit einiger Ausführungen der eher abstrakten Ansätze hätten aber von ein paar Zeilen mehr Text profitiert.

Ähnliches gilt für den Beitrag von Sibylle Künzler über Raumpraktiken, deren Mediatisierung und Technologisierung am Beispiel von Google Maps. Sie arbeitet mit Ansätzen der sensorischen Ethnografie, die auf die Analyse von Interkation verschiedener Akteure und Technologien ausgerichtet sei. Diese Ausführungen nehmen stellenweise die Form einer Aneinanderreihung von Schlagworten und Operatoren an. Das trübt nicht nur den Lesefluss, sondern täuscht auch darüber hinweg, dass ihre konkludierende These vielmehr aus der wertvollen, aber kurzweiligen Analyse der Raumpraktiken des Spazierens, Klickens, Lokalisierens mit Google Diensten an Kraft gewinnt. So zirkulieren laut ihr diese Raumpraktiken zwischen „material physical environments“ und „imagined geographies“ (101) und seien damit hybride Verschmelzungen von Realem und Imaginierten.

Der darauffolgende Beitrag von Ute Holfelder, der die Praxis des Aufnehmens von Videos mit Handykameras auf Konzerten sowie ihre anschließende Zirkulation in sozialen Netzwerken und im Privaten behandelt, kommt mit dem kurzen Format besser zurecht. Denn sie arbeitet, ausgehend von der Analyse der Videos als Materialisierungen von Erinnerungen, innerhalb einer individualisierten Konstruktion von Nähe zu Berühmtheiten der Kulturindustrie auf ihre Konklusion hin: Die Video-Praxis sei mit Einsetzen der öffentlichen Zirkulation der Videos simultan ermächtigend sowie sozialer Kontrolle ausgesetzt.

Auch Christian Ritter beschäftigt sich in seinem Beitrag mit der Zirkulation von audiovisuellem Content in sozialen Netzwerken, jedoch hinsichtlich der Symbolik des albanischen Doppelkopfadlers, und kommt zu einem ähnlichen Schluss wie Holfelder. Entlang dreier Themen – der Konstruktion von Ethnizität durch Kamera-Technologie, der Zirkulation von nationalen und populärkulturellen Symbolen in verschiedenen Kontexten und der Repräsentation des Selbst durch digitale Kommunikationstechnologie – erarbeitet er mithilfe von Fallstudien, wie das Symbol des albanischen Doppelkopfadlers und seine Performance verschiedene Bedeutungen und Funktionen annehmen könne. Abschließend konstatiert er, dass das Ermöglichungspotential digitaler Kommunikationstechnologie vom „pressure and desire to be creative“ (137) begleitet werde.

Demgegenüber beschäftigen sich Karin Gustavsson und Johannes Müske in ihren Beiträgen mit bestehenden Archiven und deren gegenwärtiger Signifikanz. Vor dem Hintergrund der ersten Feldforschungen zu traditionellem Haus- und Siedlungsbau in Skandinavien in den 1920er Jahren geht Karin Gustavsson der Frage nach, wie und unter welcher Zuhilfenahme von Technologien diese Dokumentationen und Forschungen stattgefunden haben. Dabei unterzieht sie Fotografien, Skizzen und Feldnotizen des „close reading“ und kommt zu der Konklusion, dass das in den Archiven aufbewahrte großzügig gesammelte Material ausschließlich aus evolutionistisch und diffusionistisch geprägten Perspektiven befragt wurde. Fotografien aus diesen Forschungen würden bis heute Vorstellungen vom ländlichen Leben in Skandinavien prägen, womit Foto- und Transporttechnologien einen direkten Einfluss auf die Wissensproduktion ausüben. Johannes Müske beschäftigt sich mit der diskursiven Konstruktion der schweizerischen „Volksmedizin“ in Abgrenzung zur Schulmedizin durch Rahmungen und Sammlungen von populären Wissensbeständen anhand des Archivs der Schweizerischen Gesellschaft für Volkskunde (SGV). Er fragt sich, wo das Unbehagen gegenüber der Schulmedizin bei gleichzeitiger Konjunktur der „Volksmedizin“ herrührt. Nach einem Abriss der Geschichte der „Volksmedizin“-Forschung in der schweizerischen Volkskunde behandelt er die kulturpolitische Aufwertung und Kommodifizierung der „Volksmedizin“ im Kanton Appenzell Ausserrhoden. Diese werde durch diskursive Rahmung der „Volksmedizin“ als Kulturerbe rationalisiert und von der „aura of superstition“ (78) befreit. Das volkskundliche Wissen von der „Volksmedizin“ fungiere dabei als Archiv, welches durch die Kulturerbe-Politik aktiviert werden könne und durch seine Konnotation mit regionaler Identität zu größerer sozialer Akzeptanz der „Volksmedizin“ führe.

Fanny Gutsche-Jones und Karoline Oehme-Jüngling greifen in ihrem Beitrag Ansätze der Actor Network Theory auf, indem sie Medientechnologien von der Lithografie bis zum Kurzwellenrundfunk als Akteure im Diskurs über das Schweizerische positionieren. Die Autorinnen konkretisieren dies anhand der Rezeptionsgeschichte des schweizerischen Volksliedes „Lueget, vo Bärg und vo Tal“. Sie legen dar, wie das Lied, das ein Idealbild der Schweizer als alpin und im Einklang mit der Natur lebend konstruiere, durch Medientechnologien wie Rundfunk in unterschiedlichen zeitlichen, kulturellen und sozialen Kontexten reinterpretiert und aneignet wurde und wird. Klaus Schöneberger analysiert in seinem abschließenden Beitrag Liebesbotschaften via Handyvideo und distanziert sich dabei von der Positionierung von Technologie als Akteur. Er plädiert vielmehr für eine historische Perspektive auf kulturelle Praktiken und ihren Wandel. Die liefert er sogleich mit einem Abriss der Mediengeschichte der Liebesbotschaften, dessen gegenwärtige filmische Praxis er vor dem Hintergrund eines soziokulturellen „creative imperative“ (147) beschreibt. Der Diskurs über Liebe bestimme dabei die Art und Weise, wie und in welcher Form Liebe artikuliert werden könne. So seien filmische Liebesbotschaften und ihre Rezeption von ihren Medien, von ihrer diskursiven Tradition und insbesondere von Heteronormativität sowie schließlich von „changed requirements regarding the presentation of self in the age of an aesthetic capitalism“ (155) geprägt.

Dieser Schlusssatz gilt geradezu paradigmatisch für die Beschäftigung mit digitalen Kommunikationstechnologien in diesem Band. Deutlich inspiriert vom Reckwitzschen Kreativitätsdispositiv arbeiten insbesondere Ritter, Holfelder und Schönberger den ambivalenten Charakter von Kommunikationspraktiken mit dem Smartphone zwischen Ermöglichungspotenzial und Kreativzwang heraus. Damit verortet sich der Band in einer Tradition der kulturwissenschaftlichen Technikforschung, die sich einer kritischen Auseinandersetzung mit unserer gegenwärtigen Lebensweise sowie der Fachgeschichte der Volkskunde annimmt.