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Johanna Korbik

Mode frei Haus. Die Modewelten der Quelle-Kataloge, 1954–1978

(Internationale Hochschulschriften 689), Münster 2021, Waxmann, 261 m. Abb., ISBN 978-3-8309-4429-4


Rezensiert von Monika Ständecke
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 01.09.2022

Im Klappentext des Buches von Johanna Korbik liest man, der „Versandhandelskatalog als Teil einer deutschen Modekultur“ sei Gegenstand der Untersuchung. Solche Druckwerke seien in der Mode- und Konsumforschung bisher kaum erschlossen. Der Versandhändler sei in der Rolle des „Akteurs auf dem Modemarkt“ zu betrachten, der Katalog als „Konsumanleiter“. Und die Autorin stellt an den Beginn ihres Werkes auch die vom Zeitkritiker Hans Magnus Enzensberger vertretene Auffassung, der Katalog sei „Resultat eines unsichtbaren Plebiszits“ (9). In der Presse werden Universal-Versandkataloge als „Enzyklopädien der Konsumgesellschaft“ ihrer Zeit gehandelt, bevor digitale Angebote den traditionellen Versandhandel revolutioniert hätten (9, zitiert nach der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“, 2018). Korbik spricht damit Aspekte an, denen sie nachgeht.

Ein „Katalog“ ist zugleich Warenangebot und Ausdrucksform, erfüllt Erwartungen und macht Vorgaben. Was lässt sich über die Gesellschaft (Kundinnen und Konsumenten) aussagen, wenn Kataloge in die Hände der Kulturwissenschaften geraten? Was sagt ein Katalog über die Gesellschaft aus, die ihn verwendet? Wer beeinflusst wen und inwiefern?

Die Überlegungen der Autorin konzentrieren sich auf das Objekt „Katalog“: eine serielle Folge von Bildern und Texten, die mit der Absicht entstehen, bestimmte Konsumgüter ‒ hier Kleidung, nicht die „komplette Warenwelt“ ‒ möglichst erfolgreich zu verkaufen. Der Rahmen der Arbeit ist abgesteckt. Speziell geht es um die massenweise verbreiteten, benutzten und als Bestellungsgrundlage dienenden Exemplare des deutschen „Versandriesen“ Quelle in dessen erfolgreichster Zeit. Im Fokus stehen so die Jahre 1954‒1978, in denen Gustav Schickedanz (1895‒1977) Unternehmensleiter war. Zur Einordnung gibt die Autorin einen Überblick zur Geschichte des Versandunternehmens, das 1927 bis 2009 existierte (45‒55). Die Engführungen, die die Arbeit begleiten, sind die Spezialisierung auf den Textileinzelhandel, den Katalog, die Blütezeit eines westdeutschen Unternehmens, die Welt der Damen- und Herrenmode. Es geht um Massenmode, Modebilder, aber nebenbei auch um Verkaufsstrategien und Konsumverhalten. Untersuchungsgegenstand ist der Inhalt der zweimal jährlich herausgegebenen Hauptkataloge des Versandhauses Quelle, nicht deren „Sitz im Leben“. Die Ergänzung durch Archivalien aus Wirtschaftsarchiven war kaum möglich; weder ein Firmen- noch ein Familienarchiv existieren. Vergleichsmaterial, wie etwa Modezeitschriften und Kataloge anderer Versandhäuser wie „Neckermann“ oder „Otto“, zieht die Autorin in geringem Umfang heran (Untersuchungsraster, 35). Viel Aufwand betreibt sie mit der Erarbeitung ihres Analyse-Werkzeugs.

Im einleitenden Kapitel geht Johanna Korbik auf den Stand der „Versandhandelsforschung“ ein. Vorgestellt sind hier wirtschaftswissenschaftliche Arbeiten, die sich mit organisatorischen, wirtschaftlichen und politischen Aspekten des Versandgeschäfts befassen. Auf den Textileinzelhandel ist kaum eine spezialisiert. Korbik zeigt Forschungsdesiderate auf. So fehlen Arbeiten, die ‒ wie in einer Britischen Studie von 2005 ‒ sozialhistorische Aspekte beleuchten oder sich der kultur- und sozialwissenschaftlichen Analyse widmen. Die deutsche Konsumforschung habe das Warenhaus ausgiebig behandelt, den Katalog als „nächsten Verwandten“ jedoch nicht. Als einzige Ausnahme sei Annette Kaminsky mit ihrem Werk „Kaufrausch. Die Geschichte der ostdeutschen Versandhäuser“ (Berlin 1998) zu nennen. Anschließend stellt Johanna Korbik ihre eigens entwickelte Vorgehensweise der „Kataloganalyse“ dar, eine der seriellen Quelle angemessene Rasteruntersuchung von stereotypen Bild-Text-Komplexen (das heißt einer Katalogseite als Einheit).

Die Kulturanthropologin betrachtet das „Modebild als gestalterische Einheit“, will „typische Präsentationsweisen“ beschreiben und die „Formensprache der Kataloge im Hinblick auf die Präsentation von Mode“ analysieren (27‒36). Als Leitfaden zur Bildbeschreibung nutzt sie denjenigen von Karin Mann in der Untersuchung „Jugendmode und Jugendkörper. Die Modeseite der Zeitschrift Bravo im Spiegel vestimentärer Ikonografie und Ikonologie“ (Hohengehren 2002). Um den Kontext der Bilder mit einzubeziehen kombiniert sie damit die „seriell-vergleichende Fotoanalyse“, wie sie Nora Mathys (in Christine Bischoff u.a. [Hg.]: Methoden der Kulturanthropologie, Bern 2014) zur Untersuchung privater Fotoalben angewandt und dargestellt hat. Korbik erfasst damit eine Vielzahl an Daten: „Bildobjekte wie Kleidung, Körper, Hintergründe und Requisiten, bildräumliche Komponenten, bildästhetische Elemente aber auch Textelemente“ (nach Mann) sowie „zwei Botschaften: eine denotative, d.h. buchstäbliche, und eine konnotative, d.h. zusätzliche, emotionale oder stilistische Botschaft“ (nach Mathys, beide 31). Beim Punkt „konnotative Botschaft“ unterscheidet sie zwischen Einzelkatalog, Katalogserie (synchroner und diachroner Vergleich der Einzelkataloge) und „weiteren öffentlichen Publikationen und Bildern“. Die gewonnenen Daten ordnet sie den Untersuchungsbereichen „Kataloggestaltung“, „Mode“ und „Katalogbestellung als Konsumpraxis“ zu (35 f.).

Die einzelnen Kapitel lauten „Grundlagen und Vorstellung des Quelle-Versands“ (37‒64), „Katalogbestellung als Form der Modeaneignung“ (65‒110), „Der Quelle-Katalog – ein ModeBildMedium?“ (111‒177). Der Großteil der Abbildungen ist Teil des letztgenannten Kapitels. Sie zeigen Katalogdoppelseiten, die zeittypische Layouts und Gestaltungselemente wie zum Beispiel Bildhintergründe veranschaulichen sowie Ausschnitte mit stereotypen Gesten und Posen. Das letzte Kapitel behandelt „Quelle als Modeakteur“ (178‒234). Es endet mit zwei Resümees: einem zum Thema „Quelle als ‚Geschmacksmediator‘“ und einem zur Frage, inwieweit das Format Katalog zur „Demokratisierung“ von Mode beigetragen habe. Schließlich folgen unter „Fazit und Ausblick“ „Ergebnisse“ und „Schlussbetrachtungen“ (235‒241).

Der Wortreichtum, der sich in den Überschriften des letzten Kapitels erkennen lässt, ist ein Charakteristikum des gesamten Werks, mit all den dazugehörenden Vor- und Nachteilen (Komplexität, Aussagekraft, Textlänge). Auffällig viele Kapitel- und Zwischenüberschriften sind als Frage formuliert: „Wer kauft im Versandhandel?“, „Der Quelle-Katalog als ‚Modeberater‘?“, „Katalogsprache – Modesprache?“ usw. Die Autorin arbeitet am Quellenmaterial ebenso akribisch wie an der Erläuterung der Bergriffe, Gegenstände und Methoden, die bisher in verschiedenen Forschungsrichtungen diskutiert worden sind. Sie untersucht deren Tauglichkeit für ihre Gegenstände, den Modekatalog und das Modeversandhaus. Die Katalog-Welt hat hinsichtlich Bildsprache, Gestaltungsweise, Modegenre ein eigenes Profil. Die Autorin entwickelt ihre Untersuchungsmethode dementsprechend, plädiert schließlich in Abgrenzung zu „Modefotografie“ für die Verwendung von „Modebild“ als Forschungsbegriff und für „eine weiterführende Modebildforschung“ (239). Sie hat begonnen, eine Lücke im Wissen um „Modeakteure“ in Deutschland zu schließen und dazu einige Türen zum angemessenen Umgang mit seriellen Quellen im Bereich Mode/Kleidung weiter aufgemacht. Systematisierungen lassen Stereotypen erkennen. Dies hat Relevanz für das Verstehen kultureller Befindlichkeiten und Prozesse. Massenbilderforschung ist nichts Neues (man denke an die Arbeiten über Tafeln nationaler Stereotypen, Votivbilder, Trachtengrafik, Bilderbogen, Postkarten, Öldrucke etc.). Text und Bild als Komplex zu betrachten war dabei nicht immer selbstverständlich. Forschungsbegriffe, die nicht von vorne herein auseinanderklamüsern, was kulturell zusammenhängt, wie eben zum Beispiel das Modefoto des Starfotografen und das Katalogbild, sind zweckdienlich.

Derart viele, überwältigend dicke Kataloge zu wälzen war eine große Herausforderung für die Autorin und stellt hohe Ansprüche an das Instrumentarium (Ausdauer, Methode, Datenverarbeitung). Johanna Korbik ist es gelungen, Überblick zu gewinnen über die Masse der Bild-Text-Komplexe und der konnotierten Details. Sie beschreitet einen nachvollziehbaren Weg und kommt zu ebensolchen Schlussfolgerungen. Wenn es dem/der Lesenden darum geht, das Geflecht aus Mode, Handel und Bekleidungskultur besser zu verstehen, kann er/sie hier eine für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts typische Nuance intensiv kennen lernen.