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Christina Ludwig
Die Signatur des Schwarzwalds. Volkskundliches Sammeln um 1900 am Beispiel des Wissenschaftsamateurs Oskar Spiegelhalder (1864–1925)
(Internationale Hochschulschriften 685), Münster 2021, Waxmann, 280 S. m. Abb., ISBN 978-3-8309-4373-0
Rezensiert von Claudia Selheim
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 15.09.2022
Die vorliegende Doktorarbeit von Christina Ludwig, inzwischen Direktorin des Stadtmuseums Dresden, zeigt einmal mehr, welche profunden Studien am Institut für Kunst und Materielle Kultur unter Gudrun M. König an der TU Dortmund entstehen. Die Autorin hatte die Chance als wissenschaftliche Assistentin in dem Forschungsprojekt „Das Unsichtbare und das Sichtbare. Zur musealen Herstellung von Region am Beispiel der Schwarzwaldsammlung Oskar Spiegelhalder“ mitarbeiten zu können. Das von der VolkswagenStiftung im Schwerpunktprogramm „Forschung in Museen“ geförderte Projekt war an der TU Dortmund und im Franziskanermuseum Villingen-Schwenningen angesiedelt. Wenngleich Christina Ludwig nicht die erste Person ist, die Oskar Spiegelhalders Tun beforscht hat, so hatte sie im Rahmen des Projektes sowohl einen uneingeschränkten Zugang zu seiner dritten Schwarzwaldsammlung als auch zu seinem umfangreichen Nachlass, aus dem die 67 Abbildungen im Buch stammen.
Die Autorin gliedert die Arbeit in drei Abschnitte, wobei die Einführung mit „(K)ein Sammler wie der andere“ überschrieben ist und schon erahnen lässt, dass Parallelen und Unterschiede zu anderen zeitgenössischen Sammlern aufgezeigt und hinterfragt werden. Spiegelhalder, ein in der Uhrenindustrie tätiger Kaufmann und Reisender, legte drei je über 1 000 Objekte umfassende „Schwarzwaldsammlungen“ an, die miteinander verzahnt waren und die er jeweils veräußern wollte. Die erste erwarb die Stadt Freiburg 1896, die zweite 1909 das Großherzogtum Baden für das heutige Badische Landesmuseum in Karlsruhe. Die letzte verkaufte die Witwe 1929 an das Franziskanermuseum in Villingen.
Zentral ist für Ludwig die Sichtbarmachung der Musealisierung als mehrstufigen Transformationsprozess und die Einbeziehung der Sammlerpersönlichkeit in diesen, denn diese bleibt ja im Material, also in den Objekten, anwesend. Die Autorin wirft eine Reihe von Fragen auf, zum Beispiel wie typisch die heute noch permanent exponierten Objekte der Sammlung für die eingegrenzte Natur- und Kulturlandschaft des Schwarzwalds zwischen 1700 und 1850 sind, welchen Anteil Spiegelhalder an der Profilierung der Kulturregion hatte, welche übergeordneten Musealisierungsdynamiken ihn in seinem Sammlungsprozess beeinflusst haben und warum er spezielle Dinge ausgewählt hat. Letztlich will die Untersuchung „durch historische Kontextualisierung eruieren, ob bestimmte individuelle Objektstrategien gleichzeitig auch soziale Praktiken darstellen und ob die Dinge den mehrstufigen Vorgang des Sammelns intuitiv, etwa durch inkorporiertes Wissen, strukturieren“ (14).
Der zweite Abschnitt unter dem Titel „Sich selbst professionalisierende Sammler“ gilt vor allem der Selbstprofessionalisierung Spiegelhalders, der von seiner dritten Schwarzwaldsammlung behauptete, sie sei wissenschaftlich angelegt. Er agierte als Forscher und nahm als Wissensproduzent Einfluss auf die Entwicklung volkskundlicher Konzepte um 1900. Um den Weg dahin nachzuzeichnen widmet sich Ludwig ausführlich Spiegelhalders Biografie, die seine Handlungsmuster aufzeigt. Der Sammler trug zudem heterogenes Material zu seiner Familie und von seinen Geschäftsreisen zusammen, das er im Nachhinein ordnete. Sein Vater war als Buchhalter in der „Aktiengesellschaft für Uhrenfabrikation in Lenzkirch“ tätig und ermöglichte seiner Familie ein bürgerliches Leben. Spiegelhalder war dort seit 1887 Außenvertriebsmitarbeiter bevor er 1908 zum Direktor ernannt wurde. Zahlreiche Reisenotizen zeigen, wie verwoben privates und geschäftliches Tun bei diesen Touren waren. Theaterkarten, Fotografien, Postkarten oder Eintrittskarten von Museumsbesuchen finden sich ebenso wie Hotelbewertungen. Letztlich ermöglicht die Materialdichte der Egodokumente „das Nachvollziehen von relevanten Entwicklungslinien und Abhängigkeiten, die sich zwischen Privatleben und Objekt- beziehungsweise Sammelstrategien ausbildeten“ (31). Spiegelhalder benennt sogar die Initialzündung für seine eigene systematische Sammeltätigkeit, nämlich einen Besuch des Museums für deutsche Volkstrachten und Erzeugnisse des Hausgewerbes im Jahr 1890.
Anhand dieses Materials demonstrierte der Sammler, wie Ordnung, Akribie und Netzwerkfähigkeit sein Leben bestimmten, und er versuchte seiner Biografie eine logische Struktur zu verleihen. Wie viele andere Sammler baute Spiegelhalder eine Bibliothek auf, die als geschlossener Bestand mit 620 Titeln im Stadtarchiv Villingen verwahrt wird. Auf ihre Genese und Besonderheiten geht Ludwig ein, um die Transformation von Bücherwissen und den Objekten herauszukristallisieren. Auf seinen Reisen, die Spiegelhalder aus der Region herausführten, waren es gerade die Museumsbesuche, die ihn beim Aufbau seiner Sammlungen beeinflussten. So kann Ludwig zum Beispiel nachweisen, wie oft er die Sammlungen zur Volkskunde in Wien, Berlin und Nürnberg besuchte, dort auch Gespräche führte, sich neues Wissen aneignete und Netzwerke mit Wissenschaftlern knüpfte. Seine Vereinsmitgliedschaften erstreckten sich von solchen an seinem Heimatort über regionale, also badische, bis hin zu solchen des sich gerade etablierenden volkskundlichen Vereinswesens. Mit diesen Mitgliedschaften bekundete Spiegelhalder zudem den wissenschaftlichen Anspruch, den er mit seiner Sammeltätigkeit verband. Die Vereinsorgane boten ihm ein Forum zur Bekanntmachung seiner Sammlung – deren Reste seit 1907 in seinem Lenzkirchner Haus für die Öffentlichkeit zugänglich waren – und eine Möglichkeit selbst Aufsätze zu publizieren. Schließlich geht Ludwig auf Sammler ein, mit denen Spiegelhalder im Austausch stand, wobei hier besonders auf die Verbindung zu dem Naturwissenschaftler und für das Germanische Nationalmuseum und dessen volkskundliche Sammlung so wichtigen Sammler Oskar Kling (1851–1926) verwiesen wird. Von letzterem haben sich nur seine um seine Sammlungstätigkeit kreisenden Briefe ans Museum erhalten, nicht aber anderweitige persönliche Quellen. Somit sind die Aufzeichnungen Spiegelhalders ein Fund, der hinsichtlich des Kontakts der beiden Männer neue Perspektiven aufzeigt, wenngleich sich auch in seinem Nachlass keine Briefe erhalten haben. 1896 besuchte er Kling erstmals in dessen Frankfurter Villa, 1898 folgte der Gegenbesuch. Die Sammler standen in regem Austausch und betrieben jeweils autodidaktische Studien. Beide wollten die von ihnen geprägten Sammlungen in Museen präsentieren, allerdings verfolgte Spiegelhalder durchaus ein kaufmännisches Interesse, während Kling als Mäzen auftrat.
Ein letzter Abschnitt gilt der Schneflerei und den durch dieses Handwerk erzeugten Holzschatullen mit Blumenmalerei, die in allen drei Sammlungen vertreten sind. Ludwig befragt die Objekte unter anderem hinsichtlich ihrer ökonomischen und kulturellen Kontexte, ihres Repräsentationscharakters für die Region, ihrer Objektbiografien. Sie schildert, welches mehrdimensionale Material Spiegelhalder heranzog und belegt, dass Schatullen und Spanschachteln für ihn eine Geschichte hatten. Anhand dieses Materials kann Ludwig sowohl nachweisen, wie und wo sie produziert wurden, als auch, dass das Gros unbemalt war. Die vom Sammler ausgewählten Behältnisse waren aber bemalt, womit er letztlich eine Signatur für den Schwarzwald herstellte, die ihren Ursprung in der staatlichen Wirtschaftsförderung sowie im aufkommenden Tourismus hatte. Spannend sind zudem die Schilderungen, wie Spiegelhalder das Sammeln mit Hilfe von Agenten organisierte. Die Autorin macht deutlich, wie er Medien der Präsentation und Kommunikation für die Bekanntmachung seiner Sammlungen nutzte. Er war Botschafter für seine Region, „den verlorenen ruralen Schwarzwald“ (188) und prägte die materielle Volkskunde. Ludwig kann am Beispiel des Schwarzwälders die These erhärten, dass Musealisierung ein mehrstufiger Umwandlungsprozess ist und Dinge produziert, die interpretationsbedürftig sind. Oskar Spiegelhalder erzeugte aktiv ein Schwarzwaldbild, er pendelte zwischen Land und Stadt, zwischen Vergangenheit und Moderne, was letztlich von der Janusköpfigkeit des 19. Jahrhunderts zeugt.
Christina Ludwig ist es gelungen, ein quellengesättigtes, spannendes Buch zu schreiben, das Neues zu Erzeugnissen der „Volkskunst“ sowie zur Person des Sammlers hervorbringt und sie zeichnet nach, wie hoch Spiegelhalders Anteil an der Wissensproduktion war.