Aktuelle Rezensionen
Malaika Winzheim
Zusammen ist man nicht allein – wie junge Menschen feiern
(Schriften zur Alltagskultur im Oldenburger Münsterland 1), Cloppenburg 2021, Stiftung Museumsdorf Cloppenburg, 143 S. m. Abb., ISBN 978-3-938061-44-2
Rezensiert von Meike Tietgen
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 15.09.2022
Mit der hier vorliegenden Studie über die Brauch- und Feierkultur junger Menschen im Oldenburger Münsterland leistet Malaika Winzheim einen aktuellen Beitrag zum Verständnis heutiger Jugendkultur. Die Arbeit ist im Rahmen eines Volontariats am Kulturanthropologischen Institut des Oldenburger Münsterlandes entstanden und erschien begleitend zur gleichnamigen Sonderausstellung im Museumsdorf Cloppenburg. Um das aktuelle Brauchgeschehen zu erforschen, hat die Autorin vor allem qualitative Interviews durchgeführt und Bildmaterial analysiert, das ihr von (nicht nur, aber vor allem) jungen Menschen aus der Region zur Verfügung gestellt wurde. Eine teilnehmende Beobachtung war angesichts der Corona-Pandemie nicht möglich.
Ausgangspunkt von Winzheims Forschung war die Annahme, dass Bräuche auch im beginnenden 21. Jahrhundert wesentliche gemeinschafts- und identitätsstiftende Funktionen erfüllen, ungeachtet oder vielleicht gerade wegen ihrer Fähigkeit zum steten Wandel. Dabei zeigt die Studie, dass an einem lebendigen sozialen Miteinander vor allem junge Menschen beteiligt sind. Winzheim plädiert für ein offenes Verständnis von Bräuchen, das deren Vielschichtigkeit gerecht wird. Gleich zu Beginn positioniert sie sich zudem kritisch gegenüber, ihrer Ansicht nach undifferenzierten, Einschätzungen von Außenstehenden, denen zufolge die festlichen Aktivitäten von jungen Menschen in ländlichen Regionen reine Saufgelage seien. Demgegenüber möchte Winzheim zentrale soziale und kulturelle Funktionen der Feierlichkeiten insbesondere aus Sicht der jugendlichen Akteur*innen herausarbeiten. Ihre Ergebnisse präsentiert sie im ersten Teil der Studie zunächst entlang eines idealtypischen Lebenslaufs junger Menschen in der Untersuchungsregion: von den ersten Festivitäten, die den Übergang vom Kindes- zum Jugendalter kennzeichnen, bis hin zu Ehe und Familiengründung. Zwei weitere Kapitel im zweiten Teil sind den sozialen Gruppen gewidmet, die soziale Räume für das Miteinander zur Verfügung stellen, sowie den wichtigsten Ereignissen im Jahreslauf. Dankenswerter Weise geht die Autorin immer auf den historischen Hintergrund der einzelnen Festlichkeiten und Brauchhandlungen ein, so dass es ihr gelingt, den Wandel und das Wechselverhältnis zwischen traditionellen Elementen und neuen Formen der Brauchausübung darzustellen.
Im ersten Teil beschreibt Malaika Winzheim zunächst den im Oldenburger Land beinahe obligatorischen Besuch eines Standardtanzkurses mit abschließendem Ball. Zurückführen lässt sich dieser Brauch ihren Ausführungen nach auf französische Hofbälle, die im Laufe der Geschichte von bürgerlichen und bäuerlichen Schichten übernommen wurden. Die Tanzveranstaltungen drückten soziale Stellungen ebenso aus wie sie dieselben festigten; sie fungierten zudem als Heiratsmarkt für junge Menschen. Auch wenn solche Konventionen heutzutage weniger wichtig sind, werden die Teilnehmenden immer noch mit gewissen sozialen Erwartungen konfrontiert. Zu ihnen gehört zum Beispiel, auf dem Abtanzball eine besonders glamouröse und damit oft auch teure Kleidung zu tragen. Noch wichtiger wird die Wahl der richtigen Kleidung für den Abschlussball der Schullaufbahn, wobei die Autorin in einem weiteren Kapitel zeigen kann, dass junge Menschen auch durch neue Medien und das Internet Vorstellungen darüber entwickeln, wie ein angemessener Abschlussball auszusehen habe.
Des Weiteren wird eine Reihe von Geburtstagsbräuchen dargestellt, die zumeist im engsten Freund*innenkreis praktiziert werden. Das „Einmehlen“ zum 16. Geburtstag oder das Aufstellen von Schildern mit individuell gestalteten Geburtstagsgrüßen in den Vorgärten zählen beispielsweise dazu. Beim „Einmehlen“ werden die jungen Akteur*innen zum 16. Geburtstag mit einer Dusche aus Mehl, mitunter auch mit Eiern und Bier vermischt, von ihren Freund*innen überrascht. Der Brauch ist noch relativ jung und regional unterschiedlich ausgeprägt. Mit der Mehldusche wird eine Etappe auf dem Weg zur Volljährigkeit zelebriert. Zum 25. und 30. Geburtstag gibt es im Oldenburger Land Rügebräuche wie das Treppenfegen oder das Klinkenputzen. Unverheiratete Männer müssen in öffentlichen oder privaten Räumen unter Aufsicht des Freund*innenkreises mit einem Besen Materialien wie Sägespäne, Stroh oder Kronkorken wegfegen, bis sie von dieser Aufgabe durch den Kuss einer jungen Frau befreit werden. Das Gegenstück dazu ist das Putzen von mit klebrigen Substanzen beschmierten Klinken für unverheiratete Frauen, die allerdings nicht freigeküsst werden. Die Rügebräuche stammen vermutlich aus den 1950er Jahren, in denen Junggesell*innen bei Ehelosigkeit noch stärker mit einer Sanktion durch die soziale Gemeinschaft zu rechnen hatten. Solche Bräuche unterstreichen nach wie vor eine geschlechtsspezifische und binäre Rollenverteilung: Treppenfegen, Klingenputzen oder nach erfolgter Bindung auch Junggesell*innenabschiede und andere Rituale vor oder bei der Hochzeit werden immer noch entlang zweigeschlechtlicher Zuschreibungen arrangiert.
Im zweiten Teil der Arbeit stellt Malaika Winzheim soziale Gruppen vor, innerhalb derer die Bräuche und Feste im ländlichen Raum organisiert und durchgeführt werden, wie zum Beispiel die Landjugend, Sportvereine oder nachbarschaftliche Netzwerke. Solche Verbindungen sind für die Ausübung und Weitergabe von Bräuchen sehr wichtig. Freundschaftliche Cliquen oder die Dorf- oder Landjugend bilden für junge Leute in ländlichen Regionen außerdem die Möglichkeit, die eigene Freizeit zu gestalten, sich mit Gleichaltrigen zu vernetzen und durch das gemeinsame Organisieren soziale Rollen und Aufgaben einzuüben und sich der eigenen Identität zu vergewissern. Auch generationenübergreifende Festlichkeiten und Traditionen wie Osterfeuer, das Aufstellen des Maibaumes oder das Schützenfest werden oft von der Dorfjugend oder generationenübergreifend von Nachbarschaften organisiert. Das Osterfeuer mag für einige der Beteiligten auch eine religiöse Bedeutung haben. Grundsätzlich geht es bei diesen gemeinsamen Festlichkeiten um das Zusammenkommen der Dorfgemeinschaft, um Unterhaltung und das Sich-Vergewissern der eigenen Identität, die mit der Region verbunden ist.
Doch bringen Winzheims Forschungspartner*innen auch Kritik zum Ausdruck: Manche Brauchelemente lehnten sie ab und verwiesen auf den sozialen Druck, die Rituale einzuhalten. Dies wird von der Autorin überzeugend herausgearbeitet, sodass ihr Fazit irritiert, in dem sie lediglich auf die gemeinschafts- und identitätsstiftenden Funktionen von Bräuchen eingeht. Dadurch entsteht abschließend ein eher einseitiges Bild der Feierkultur der jungen Menschen in der untersuchten Region. Auch den hohen Alkoholkonsum nicht nur regional typischer Getränke bei den meisten Feierlichkeiten und Bräuchen hätte die Verfasserin kritisch betrachten können: Wie durch Alkohol hervorgerufene Enthemmung oder Rauschzustände mit der Ausübung von Bräuchen und Ritualen zusammenhängen, darüber hätte die Rezensentin gerne mehr erfahren. Außerdem hätte die soziale Zusammensetzung der Akteur*innen im Feld genauer in Betracht gezogen werden können. Nur an einer Stelle weist die Autorin darauf hin, dass die meisten der von ihr interviewten Personen das Gymnasium besuchen würden, mithin einer bestimmten Bildungsschicht angehören; weitere soziale Aspekte des von ihr untersuchten Milieus thematisiert sie leider nicht. Damit bleiben Fragen offen: Wirken Bräuche und Feste im Oldenburger Land auch gemeinschaftsbildend mit Blick auf Neubürger*innen? Oder dominieren eher exklusive Funktionen der sozialen Handlungen?
Diese Kritik unterstreicht, wie überaus spannend das hier gewählte Thema ist und wie viele Fragen es aufwirft. Insgesamt bietet die Studie einen interessanten Einblick in die Feierkultur junger Menschen in ländlich geprägten Regionen. Damit zeigt sie auch die Relevanz, die Bräuche heutzutage weiterhin haben, neben dem Unterhaltungswert persönliche Lebensabschnitte kulturell zu markieren und sich der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe zu vergewissern.