Aktuelle Rezensionen
Franziska Zschäck/Torsten Lieberenz (Hg.)
Balken, Bohlen, Wellerwände. Ländliches Bauen in Thüringen
(Schriften der Volkskundlichen Beratungs- und Dokumentationsstelle für Thüringen, Sonderbd. 1), Hohenfelden 2021, Thüringer Freilichtmuseum, 244 S. m. Abb., ISBN 978-3-00-069341-0
Rezensiert von Thomas Naumann
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 15.09.2022
Es ist erfreulich, wenn sich die regionale und lokale Politik für ländliche historische Baukultur einsetzt und dabei betont, dass deren Dokumentation und Erhalt mindestens den gleichen Stellenwert hat wie diejenige von Schlössern, Burgen oder historischen Innenstädten. Diese Bewertung bringen in dieser Publikation, herausgegeben für das Thüringer Freilichtmuseum Hohenfelden von der Volkskundlichen Beratungs- und Dokumentationsstelle für Thüringen, zwei Vorworte des zuständigen Thüringer Ministers sowie der Landrätin des Kreises Weimarer Land zum Ausdruck. Doch derartige Bekenntnisse politischerseits gibt es in solchen Publikationen nicht selten, ohne dass dies direkte Auswirkungen haben muss. Dem Bundesland Thüringen aber wäre zu wünschen, dass den Worten kräftige Taten folgen, denn es besteht Nachholbedarf, weil in der ehemaligen DDR die Erforschung der historischen ländlichen Kultur und Baukultur nicht gerade im Vordergrund stand. Mit dem Thüringer Freilichtmuseum Hohenfelden jedenfalls ‒ 1979 gegen politische Widerstände gegründet und erstaunlicherweise damals schon vom politisch nicht gerne gelittenen, namhaften Bauforscher Hartmut Wenzel so benannt ‒ hat man heute einen Ort, wo vermehrt seit der Jahrhundertwende wissenschaftliche Hausforschung betrieben wird. Mit der hier angesiedelten staatlich finanzierten volkskundlichen Forschungs- und Servicestelle ist 2020 ein Pluspunkt hinzugekommen, der sicherlich eine wichtige Unterstützung auch für freilichtmuseale Forschungsaufgaben ist, da ja im Museum selbst, wie in vielen Freilichtmuseen der Bundesrepublik, im Gegensatz zu den „großen“ staatlichen Landesmuseen, fachliche Unterbesetzung herrscht. Denn nach wie vor ist in der Politik noch nicht durchweg angekommen, welche wichtigen und umfangreichen Arbeiten die von allen Schichten der Bevölkerung gut besuchten Freilichtmuseen allüberall leisten und welche Möglichkeiten und Lösungen sie anbieten können, beispielsweise für den gesellschaftlichen Zusammenhalt in unseren gerade widrigen Zeiten. Die hier vorliegende, gut edierte, umfangreich und in hervorragender Qualität bebilderte Publikation wird hauptsächlich bestritten von Franziska Zschäck, der Leiterin des Freilichtmuseums Hohenfelden, und dem Bauforscher Torsten Lieberenz. In ihrer Einleitung fasst Franziska Zschäck den Forschungsstand über das thüringische ländliche Bauen seit dem frühen 19. Jahrhundert zusammen, beginnend mit Aufzeichnungen von Pfarrern und Medizinern, die damals berufsbedingt Zutritt zu bäuerlichen Anwesen hatten. Es folgten im 20. Jahrhundert Aufzeichnungen und Berichte von Heimatforschern sowie Bauaufnahmen ländlicher Gebäude, zum Beispiel durch „Baugewerkeschulen“ (10) wie in Erfurt und Gotha, die zwischen 1918 und 1945 Dokumente beisteuerten. Zu all diesen Quellen erläutert Zschäck richtigerweise einschränkend, dass sie zwar mangels anderer Zugänge unverzichtbar seien, jedoch „steht eine kritische Erforschung und Bewertung der Bauernhausforschung in Thüringen für diesen Zeitraum noch aus“ (10). In der DDR, so die Autorin, gab es eher nur „lokales Engagement“ (10), das auch hie und da zu kleinen Publikationen führte, aber auch immerhin zu Karl Baumgartens „Das deutsche Bauernhaus“ (1985), das jedoch, so möchte der Rezensent anmerken, heutigem Forschungsstand nicht mehr genügt, ebenso wie „Das Bauernhaus in Thüringen“ von Oskar Schmolitzky (1968). Und „universitäre Forschung gab es zu dieser Zeit nicht“ (10). Nach der Wende wurde in Weimar eine Professur für ländliches Bauen installiert und nun erfolgte erstmals zeitweise eine „systematische Forschung zum ländlichen Bauen in Thüringen“ (10), die aber abrupt im Jahre 2003 endete. Bleibt die Bauhaus-Universität Weimar, wo sich ein Lehrstuhl für Bauaufnahme und Baudenkmalpflege ländlicher Gebäude annimmt. Unerwähnt bleiben in dieser Aufzählung aber die durchaus bedeutenden, 1996 und 2002 erschienenen Publikationen zur Bauernhausforschung des Weimarer Professors Hermann Wirth, herausgegeben von der Volkskundlichen Kommission für Thüringen. Gegenwärtig werden, so die Autorin, „neue Erkenntnisse zur Geschichte des ländlichen Bauens und der dörflichen Gebäude nur noch im Rahmen vereinzelter bauhistorischer Dokumentationen herausragender Objekte gewonnen beziehungsweise bei den Dokumentationen vor dem Abbruch von Einzelgebäuden“ (10 f.). „Herausragender Objekte“ also, und man ahnt, dass diese Objekte jedenfalls nicht mehr die einfachen dörflichen Gebäude sind. Hier sei ein Ausschnitt aus dem Vorwort des Herrn Ministers zitiert: „Im Gegensatz zu den […] ‚Prachtbauten‘ gehen diese ungenutzten und aus heutiger Sicht unkomfortablen Gebäude leise, unbeweint und meist undokumentiert verloren. Mit ihnen verschwinden wichtige historische Quellen zu unserer Geschichte auf unwiderrufliche Art und Weise.“ (7) Somit wäre also eigentlich unverzüglicher politischer Handlungsbedarf, damit die „unkomfortablen Gebäude“ nicht untergehen. Die vorliegende Publikation will die bauhistorischen Untersuchungen der letzten Jahrzehnte wiedergeben, die nicht zuletzt auch durch das Hohenfeldener Freilichtmuseum, das sich immer mehr zum zentralen Thüringer Freilichtmuseum mausert, zustande gekommen sind und so das Wissen wesentlich erweitert haben, da neue und weit gründlichere Untersuchungsmethoden zur Verfügung standen und Platz gegriffen haben. Angesichts aber viel zu großer Forschungslücken, so Zschäck, werde von Verallgemeinerungen, insbesondere im Hinblick auf die Unterschiedlichkeit der thüringischen Regionen, Abstand genommen. Wieder zugänglich machen will die Publikation auch „Zeichnungen der ländlichen Gebäude, die 1971 in Münster veröffentlicht wurden“ (11) und diese mit dem, soweit noch vorhanden, aktuellen Zustand vergleichen.
In ihrem Hauptteil geht die Publikation den klassischen Weg der Hausforschung und stellt die dokumentierten Hof- und Hausformen, Wohnhäuser, Nebengebäude, Gemeinschaftsbauten, die Hausbautechniken, die Innengestaltung und deren Technik in den verschiedenen Landesteilen ausführlich in insgesamt 14 Beiträgen dar. Dies gelingt meist auf eindrückliche und einwandfreie Weise, jedoch gibt es auch Ausnahmen, denn einige Beiträge sind der Versuchung erlegen, bestimmte Bautechniken nur für ein Gebiet, nämlich als Besonderheit Thüringens zu reklamieren. So etwas geht meistens schief. Dies gilt für die „Lehmwellerbauten“ (Torsten Lieberenz, 68‒75) und die „Umgebindehäuser“ (Lutz Scherf, 76‒83) sowie die damit zusammenhängenden mobil ein- und auszubauenden Holzstuben (Torsten Lieberenz, 90‒101). Lehmwellerbauten sind kein Phänomen Thüringens allein; das Zentrum dieser Bautechnik liegt eher im Süden von Leipzig und hier im Mansfelder Land. Offensichtlich wurde hierzu das Standardwerk von Christof Ziegert (Lehmwellerbau, 2003) nicht hinzugezogen; es fehlt im Literaturverzeichnis. Ein ähnlicher Fehler unterläuft bei den „Umgebindehäusern“, die in Thüringen nur östlich der Saale existieren; in viel größerer Zahl gab und gibt es sie in der Oberlausitz, in den Zittauer Bergen, und auf sie trifft man auch im angrenzenden Teil Tschechiens sowie im südwestlichen Polen. An anderen Stellen des Buches wird durchaus bewiesen, dass man ein Auge auch für Nachbarlandschaften und dort vorhandene Gleichheiten und Ähnlichkeiten hat. Die Publikation legt das Hauptaugenmerk auf Bauten vorvergangener Jahrhunderte und ist sich an zwei Stellen (42 ff. und 85 f.) nicht ganz einig, welches nun das älteste bekannte Bauernhaus beziehungsweise das älteste bekannte Blockhaus Thüringens ist. Doch weitet sich der Blick erfreulicherweise auch auf das „Bauen im Dorf nach 1945“ (Zschäck, 110‒115) und Franziska Zschäck geht eindrücklich ein auf die „Verlorene Geschichte“ (122‒125), also auf Gebäude, die „in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen“ (122) und sang- und klanglos, nicht nur zu DDR-Zeiten, sondern auch und gerade nach 1990, beseitigt wurden. Damit geraten dann auch die „Spuren des Lebens“ (122) der ehemaligen Bewohner*innen in Vergessenheit und geht außerdem, angesichts der überall gleichen Gebäude und Baumaterialien, die an die Stelle der alten treten, „die Einmaligkeit des jeweiligen Ortes“ (122) verloren. Auch und gerade unter heutigen tiefgreifenden Veränderungen sind die Dörfer „Spiegelbild ihrer Geschichte“ (122). Exemplarisch aber an die Geschichte zu erinnern und Entwicklungen zu verdeutlichen, hierzu sind die Freilichtmuseen da; deren Bestand in Thüringen beschreibt Franziska Zschäck in einem eigenen Kapitel (116‒121). Wobei hier auch deutlich vor Augen tritt, dass die älteren Freilichtmuseen, wie überall, unter den in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vorherrschenden Ideologien zu leiden hatten; das heißt, es wurden nicht selten beim Wiederaufbau „Veränderungen vorgenommen […], um die Häuser noch altertümlicher wirken zu lassen“ (117), oder es fehlt jegliche Abbaudokumentation, was die wissenschaftliche Aussagekraft entscheidend mindert. Da ist von Glück zu sagen, dass das Hohenfelder Freilichtmuseum die zeitgemäßen Wege der Translozierung und deren penible Begleitforschung eingeschlagen hat und dort also heute eine Vielzahl wissenschaftlich einwandfreier Hausdokumente zu besichtigen sind. Allgemein ist an der Publikation zu loben, dass die jeweiligen Bedingungen des Hausbaus nicht nur unter technischen Aspekten gesehen, sondern in die landschaftlichen, die wechselnden ökonomischen, politischen, kulturellen, rechtlichen Voraussetzungen eingeordnet werden, auch in sich verändernde gesellschaftliche Vorstellungen und familiäre Bedürfnisse, also entwicklungsgeschichtlich unter sich wandelnden Bedingungen der verschiedenen Jahrhunderte interpretiert werden. Dabei wird auch der städtische Einfluss auf den ländlichen Hausbau ‒ nicht nur im 20. Jahrhundert ‒ berücksichtigt und ebenso die spezifische Situation in der DDR nach 1945.
Knapp die Hälfte der Publikation nehmen die hier neu veröffentlichten historischen „Bauernhofaufmasze Thüringen“ (127‒222) ein, die auf die Unterlagen des 1936 in Berlin gegründeten „Bauernhofbüros“ zurückgehen und nach 1945 in das westfälische Baupflegeamt Münster übergingen. Diese Bauernhofaufmaße kommen aus einem Vorhaben, das 1934 begann und alle deutschen Landschaften umfassen sollte: „Haus und Hof deutscher Bauern“. Ab 1959 wurden Hefte für einzelne Landschaften publiziert; 1971 erschien das Heft für Thüringen, das hier als Grundlage dient, jedoch ergänzt durch neu ausfindig gemachte Archivaufnahmen und sogar, sofern die Häuser noch vorhanden sind, durch aktuelle Fotos sowie komplettiert durch Anmerkungen, genaue gegenwärtige beziehungsweise alte Adressen, gegebenenfalls Abbruchdaten sowie Literaturhinweise. Eine akribische Arbeit! Hierdurch wird das 1971 erschienene Heft zweifellos entscheidend ergänzt und die enthaltenen Quellen aufgewertet, soweit das möglich ist. Jedoch muss auch angemerkt werden, dass die ursprünglichen Quellen zwar mangels anderer mit Vorsicht herangezogen werden können, dass aber stets berücksichtigt werden muss, wann ein Großteil von ihnen entstanden ist, nämlich in den 1930er Jahren. So zitiert Franziska Zschäck zu Recht die Vorgaben, die das „Bauernhofbüro“ seinen Mitarbeitern machte: „Unter anderem wurde gefordert, […] den Erhaltungszustand ‒ nicht ohne zeichnerische Beseitigung aller Verunstaltungen und aller die Erkenntnis des Ursprungs störenden Neuerungen ‒ mithin begründete zeichnerische Wiederherstellung des mutmasslichen Ausgangszustandes, festzuhalten“ (127). Nicht also an den vorgefundenen Zustand sollten sich die Zeichner halten, sondern an einen „ursprünglichen reinen vom Erbauer gewollten“ (127). Da ist Tür und Tor für die damalige Suche nach „völkisch reinen“ Häusern geöffnet, „der ideologischen Ausrichtung der Zeit folgend, als Ausdruck ‚stammesgemäßer Zusammenhänge oder Verwand[t]schaften‘“ (127). Immerhin aber nahmen die damaligen Zeichner nicht nur stattliche Bauernhöfe auf, sondern auch einfache Handwerkerhäuser oder ein Tagelöhnerhaus. Fazit zur Quelle „Bauernhofaufmasze Thüringen“: Sie ist für Fachleute geeignet, die einzuordnen wissen, was hier geschehen ist; durch die erwähnten reichhaltigen Ergänzungen durch die Autorinnen und Autoren dieser Publikation ist sie aufgewertet worden. Das Werk schließt mit einer Literaturliste, einer Übersicht unveröffentlichter Bauaufnahmen, einem Bildnachweis und einem Glossar, das die in den Beiträgen verwendeten Fachbegriffe sehr gut erläutert, sowie einem Ortsverzeichnis. Ein alles in allem durchaus gelungenes Werk, eine zu begrüßende Publikation trotz der vorgebrachten Kritik an Ungenauigkeiten einzelner Beiträge, ein lesbares Buch auch für Laien, das derzeit zur Verfügung stehendes Wissen über das ländliche Bauen in Thüringen nicht nur textlich, sondern auch durch hervorragende Bilddokumente anschaulich macht. Eine kleine formale Kritik noch zum Schluss: Leider werden auch hier ‒ wieder einmal in einer wissenschaftlichen Publikation ‒ die oft sehr umfangreichen Anmerkungen in blasser Kleinstschrift am Seitenrand angebracht. Auch wer über hervorragende Augen verfügt, sollte also eine Lupe bereithalten.