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Francis Seeck

Care trans_formieren. Eine ethnographische Studie zu trans und nicht-binärer Sorgearbeit

(Queer Studies 31), Bielefeld 2021, transcript, 252 S., ISBN 978-3-8376-5835-4


Rezensiert von Anamaria Depner
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 15.09.2022

„Wie wird Für_Sorge jenseits heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit organisiert und entworfen?“ (223) – um diese Frage dreht sich die ethnografische Studie von Francis Seeck. Empirisch fundiert werden die überlappenden Felder von Gender und Care vor der Folie nicht-binärer, trans und queerer Zugänge in den Blick genommen. Seeck gibt damit Einblicke in bisher nur wenig beachtete Aspekte von Care-Arbeit. Francis Seeck forscht und publiziert zu Care(-Theorien), Klassismus, sozialer Ungleichheit sowie im Bereich der Gender, Queer und Trans Studies, arbeitet aktuell als Post-Doc an der HU Berlin und ist Antidiskriminierungstrainer*in. Seeck wurde an der HU Berlin in Europäischer Ethnologie promoviert; die hier besprochene Publikation ist die zugehörige Dissertation.

Das Buch ist in insgesamt acht Kapitel gegliedert. Der Einleitung folgt ein Abschnitt, in dem der theoretische und methodische Rahmen der Arbeit adressiert sowie Seecks Selbstverständnis als Forscher*in reflektiert wird. In den Kapiteln drei bis sieben wird das empirische Material vorgestellt und besprochen. Das empirische Korpus basiert auf Interviews mit „19 trans und/oder nicht-binären Personen in Deutschland und der deutschsprachigen Schweiz, die Care-Räume aufbauen und die im Feld geschlechtlicher Vielfalt politisch aktiv sind“ (15). Das Korpus wurde über einen Zeitraum von eineinhalb Jahren erhoben und von Feldnotizen und Beobachtungen in diversen einschlägigen Kontexten ergänzt. Am Ende der Studie zieht Seeck ein knappes Fazit und gibt einen Ausblick.

In der Einleitung werden das Thema sowie das begriffliche Repertoire der Arbeit in den aktuellen Care-Debatten verortet. Dabei zeige sich, dass „trans, nicht-binäre und queere Care-Praktiken in der Forschung ausgespart werden und folglich unsichtbar bleiben“ (16). Gleich im ersten Unterkapitel werden Begriffe wie Sorgearbeit oder Geschlechterarbeit (Jane Ward) besprochen. Mit Benerice Fisher & Joan C. Tronto wird ein breites Verständnis von Care etabliert, das weit über den medizinischen Versorgungskontext hinausgeht und auch (kollektive) Um-, Für- und Selbstsorgepraktiken umfasst. Care kann dabei auch ein ambivalentes und von Machtordnungen wie Risiken der Abhängigkeit durchwirktes Verhältnis sein (Maria Puig de la Bellacasa). Die vier leitenden Fragen der Studie (Kapitel 1.4) beziehen sich erstens auf die Ausgestaltung von Care jenseits heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit; zweitens das methodische Vorgehen dieses zu erforschen; drittens die Rolle von Kategorien wie Klasse, Alter, Stadt/Land im gegebenen Kontext und viertens die imaginierten Zukünfte der befragten Personen.

Im zweiten Kapitel werden methodisches Vorgehen (im Sinne von Feldzugang, Zugang und Kontaktpflege zu den Forschungspartner*innen etc.) und Forschungsstrategie dargelegt, forschungsethische Fragen diskutiert und Seecks Rolle im Feld und für das Feld reflektiert. Seeck setzt sich dazu ausgiebig und differenziert mit den fluiden Grenzen zwischen In- und Outsider Ethnografie (Kapitel 2.1) sowie Forschung und Aktivismus (Kapitel 2.2) auseinander und stellt die „sorgende Ethnographie“ (Kapitel 2.3) als Forschungsstrategie vor: Eine sorgende Haltung gegenüber den Forschungspartner*innen einzunehmen bedeutet, sich auf die Gegenseitigkeit der Beziehung einzulassen, den Forschungspartner*innen „Wertschätzung und Anerkennung“ (53) entgegen zu bringen und ihnen auch durch die eigene Expertise und das im Feld erworbene Wissen etwas zurück zu geben, zum Beispiel in Form von Workshops. Es folgt eine Auseinandersetzung mit forschungsethischen Aspekten, durch die auch die eingegangene Nähe zum und Anteilnahme am Leben der Forschungspartner*innen deutlich wird (Kapitel 2.4). Die Sorgearbeit von Forscher*innen und die Notwendigkeit der Selbstsorge wird herausgestellt. In Kapitel 2.5 wird die Forschungsstrategie der „geschlechtlichen Zusammenarbeit“ (59) im Sinne der Ermöglichung geschlechtlicher Selbstbestimmung vorgestellt. Seeck wirkt bei der Herstellung von Geschlecht mit, indem die Forschungspartner*innen (von Seeck häufig auch als Aktivist*innen bezeichnet) beispielsweise die Möglichkeit erhalten, frei über das in der Studie für sie jeweils verwendete Pronomen zu entscheiden und bis kurz vor Publikation auch ein anderes zu wählen. Die Aktivist*innen kommen auch im letzten inhaltlichen Unterkapitel (2.6) des forschungsreflexiven Teils zu Wort. Hier werden ihre unterschiedlichen Wünsche an trans Forschung in den Bick genommen. Ein wichtiges Anliegen ist Transnormativität, also stereotype Vorstellungen über Transpersonen oder deren Wünsche und Ziele bei der Transition, zu überwinden.

Beginnend mit dem dritten Kapitel wendet Seeck sich dem empirischen Material zu. Zunächst wird trans und nicht-binäre Care-Arbeit im ländlichen Raum (Kapitel 3), dann im Kontext städtischer Gefüge (Kapitel 4) in den Blick genommen. Dabei findet eine theoretisch fundierte Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Aspekten von Ungleichheit und Prekarität statt. Aus einer intersektionalen und klassismuskritischen Perspektive zeigt Seeck, dass der Zugang zu Care-Netzwerken unter anderem von Wohnort, Geschlechtsidentität sowie von kulturellem und ökonomischem Kapital abhängt. Sorgearbeit in trans Kontexten bleibt in der Regel unbezahlt und kostet zugleich die diese leistenden Personen sehr viel Zeit und Energie, so dass sie selbst einen erhöhten Selbst-/Fürsorgebedarf aufweisen. Aktivist*innen bauen dennoch auf die Hoffnung auf, sich zumindest teilweise über trans/queere Sorgearbeit zu finanzieren, nicht zuletzt, weil sie „auf dem sonstigen Arbeitsmarkt auf Barrieren stoßen“ (134). Während diese Menschen im ländlichen Raum für andere, finanziell bessergestellte, trans und nicht-binäre Personen Care-Arbeit leisten, zu der sie selbst kaum Zugang haben, bemühen sich jene im urbanen Raum darum, ihr Wissen und ihre Erfahrung sowie ihre Unterstützung im Bereich Trans-Care durch innovative Angebote weiterzugeben. Seeck spricht hier von „queer Entrepreneurship“ (134). Die Hoffnung, daraus ökonomisches Kapital zu ziehen, werde aber selten erfüllt. Seeck führt dies unter anderem auf den durch unterschiedliche Angebote gesättigten Raum zurück, in dem die Akteur*innen sich bewegen.

Auch „in Studien zu transitionsbezogener Sorgearbeit wird Care als feminisiert beschrieben“ (136). In der Analyse von Interviewpassagen mit fünf Forschungspartner*innen arbeitet Seeck anschließend heraus, wie normative Vorstellungen bezüglich nicht-binären und Transpersonen diese belasten und Machtgefälle und Barrieren aufbauen (Kapitel 5). Auch Strategien und Wege, damit umzugehen werden angesprochen: Eine der interviewten Personen organisiert beispielsweise Self-Care Workshops in denen gender-nichtkonforme Menschen zusammenkommen können, um so auch xiers (= das von der Person selbst gewählte Pronomen) eigene Self-Care zu gewährleisten. Ökonomische Aspekte spielen hier eine untergeordnete Rolle, der erhöhte Bedarf an Selbstsorge durch die Konfrontation mit stereotypen Rollenbildern und Erwartungen steht im Mittelpunkt.

Kapitel 6 handelt davon, wie von Trans-Aktivist*innen sorgende Gemeinschaften, beispielsweise in Form von Trans-Cafés, aufgebaut werden. Durch die Vielzahl verschiedener Zugänge der Forschungspartner*innen wird deutlich, wie unterschiedlich die Vorstellungen von dem sind, was eine sorgende Gemeinschaft leisten kann und soll. Die Verschiedenheit und mitunter Widersprüchlichkeit der Wünsche und Vorstellungen der Aktivist*innen wird in Kapitel 7 nochmals gesondert in den Fokus gerückt, wenn Seeck sich mit im empirischen Material angetroffenen Care-Entwürfen und Zukunftsimaginationen von nicht-binären (Für-)Sorgepraktiken auseinandersetzt. Abschließend gibt ein knappes achtes Kapitel ein Fazit und einen Ausblick und schneidet auch das Thema der Corona-Pandemie im behandelten Kontext an.

Die Studie zeigt auf vielfältige Weise den erhöhten und diversen (Self-)Care-Bedarf von trans und nicht-binären Personen beziehungsweise der entsprechenden Communities auf – und auch den erhöhten Bedarf, Care in diesen Kontexten anders und neu zu denken. Innovative Praktiken sowie Gründe für Prekarität und Scheitern im Kontext mit trans und nicht-binärer Care-Arbeit werden offengelegt und mit theoretischen Texten zu Care und Gender verknüpft. Aber auch intersektionale und klassistische Aspekte werden beleuchtet. Dadurch wird die Studie zu einem dicht verknüpften Gewebe, das dennoch (oder gerade deswegen!) viele Leerstellen der Forschung im komplexen Feld zwischen kulturanthropologischer Geschlechterforschung, Trans Studies und der Auseinandersetzung mit Gender und Care aufzeigen kann. Orientierung bietet das klare Schema beim Aufbau der Kapitel: Einer kurzen Vorschau zum Inhalt des Abschnitts folgt die Diskussion der jeweiligen thematischen Aspekte; abschließend wird eine Zusammenfassung geboten. So entstehen logische Analyseeinheiten in denen die Forschungsfragen diskutiert werden. Zum Einstieg hätte man sich mehr Auskunft dazu gewünscht, nach welchen Kriterien und methodologischen Überlegungen die Daten gesammelt, ausgewertet und für die Publikation ausgewählt wurden. Eine besondere Stärke der Studie liegt nichtsdestotrotz im reichen empirischen Material, das aufgrund Seecks respektvoller, feinfühliger und zugleich kritischer Auseinandersetzung mit den Forschungspartner*innen sowie der eigenen Rolle als Forschende*r im Feld, schlüssig, griffig und belastbar wirkt. Der oft übersehenen Diversität und Vielschichtigkeit von trans, queeren und nicht-binären Personen, gerade im Kontext Care, wird somit Rechnung getragen. Ein durch und durch empfehlenswertes Buch, nicht nur für Forschende in den Bereichen Care und Gender beziehungsweise Trans Studies.