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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Peter Fischer

Beiträge zur Hausforschung und Volkskunde der Altmark

(Beiträge zur Regional- und Landeskultur Sachsen-Anhalts 68; Schriften zur Regionalgeschichte der Museen des Altmarkkreises Salzwedel 15), Uelzen 2019, Initia Medien und Verlag, 328 S. m. Abb., ISBN 978-3-947379-15-6


Rezensiert von Klaus Freckmann
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 15.09.2022

Eine Schrift zum Gedenken an Peter Fischer – ein Rückblick auf die Situation eines Freilichtmuseums in den 1980er/1990er Jahren und zugleich eine Wiedergabe von Fischers volkskundlich-bauhistorischen Publikationen. Fischer leitete von 1970 bis zu seinem Tod 1996 das in der Altmark gelegene Freilichtmuseum Diesdorf. Gegründet wurde es 1911 von privater Seite, einem Arzt und einem lokalen Verein, auf dem Grundstück einer früheren Domäne und bestand nur aus einem Gehöft; die Eröffnung fand 1932 unter dem Namen „Altmärkischer Bauernhof“ statt. Unter Fischers Verantwortung wurde die Einrichtung erheblich ausgebaut. Auch wenn die Anlage schon längst weiter komplettiert wurde, ist auch heute noch die Handschrift des damaligen Museumsleiters gut erkennbar. Gehöfte, bestehend aus Hallen- und Torhäusern oder aus quererschlossenen Ernhäusern mit ihren um einen Hofraum gruppierten Wirtschaftsbauten, vermitteln die bauliche Entwicklung der ländlichen Altmark ab dem 18. Jahrhundert.

Auf eine persönlich gehaltene Einführung folgen die in drei Bereiche gegliederten Veröffentlichungen, die Fischers kulturhistorisches Engagement widerspiegeln. An erster Stelle steht die Museumsarbeit. Der zweite Teil befasst sich mit der Haus- und Siedlungsforschung. Abhandlungen zur weiteren Volkskunde und Alltagsgeschichte bilden die dritte Themengruppe.

Fischer hatte ein bauliches Ensemble in Diesdorf übernommen, das als ein Bauernhofmuseum im parkartigen Gelände noch den „romantisierenden Charakter“ der Gründungszeit besaß (35). Dem Ganzen fehlte ein wissenschaftliches Fundament. Wie konnte diesem Mangel abgeholfen werden? Ein erster Schritt war die sogenannte „Häusertagung“, die 1973 Volkskundler und Bauforscher der DDR nach Diesdorf führte. Bei diesem Treffen des „Arbeitskreises für Haus- und Siedlungsforschung“ (AHS) befasste man sich auch mit der Zukunft der dortigen musealen Einrichtung und besuchte auf einer Exkursion durch die Altmark historische Bauten, die für eine Translozierung eventuell in Frage kämen (21). Um das architektonische Programm von Diesdorf zu erweitern,[1] seien vor allem sozial- und wirtschaftshistorische Kriterien zu berücksichtigen, „damit die Besucher die Auswirkungen [der veränderten Produktivkräfte] auf die Arbeits-, Wohn- und Lebensbedingungen, den Klassenkampf, die soziale Lage, […] dieser werktätigen Klasse und Schichten klar erkennen“ (50). Es ging um die Dokumentation der Lebens-, insbesondere der Arbeitsweise der Dorfbevölkerung vom späten Feudalismus über den Kapitalismus bis in die Gegenwart. Dabei sollten die Freilichtmuseen nicht nur Bildungs- und Forschungsstätten, sondern auch Orte der Erholung sein.

Als Fischer die Leitung von Diesdorf übernahm, gab es nur einige allgemein gehaltene Angaben zum historischen Hausbau in der Altmark. So hat das 1906 vom Verband Deutscher Architekten- und Ingenieurvereine herausgegebene repräsentative Atlaswerk „Das Bauernhaus im Deutschen Reiche und in seinen Grenzgebieten“ diese Region überaus knapp behandelt. Der Beitrag beschränkt sich auf Gehöfte mit einem Ernhaus; das Hallenhaus fehlt. Dies erstaunt, hatte doch schon Wilhelm Peßler in seinem Band „Das altsächsische Bauernhaus in seiner geographischen Verbreitung“ von 1906 auf die Existenz dieser Hausform in der Altmark hingewiesen. Es ist allerdings nur im nordwestlichen, dem an Niedersachsen angrenzenden Teil dieser Region anzutreffen, was möglicherweise das Defizit in der genannten Atlaspublikation erklärt. Später ist Werner Radig in seinem Buch „Das Bauernhaus in Brandenburg und im Mittelelbegebiet“(1966)  nochmals kurz auf das Hallenhaus in der Altmark eingegangen. Indes fehlen auch hier Bauzeichnungen und historische Untersuchungen, was vermutlich wieder mit der erwähnten Randlage zusammenhängt.

Fischer fand im Hinblick auf den hauskundlichen Kenntnisstand ein nahezu brachliegendes Feld vor. Er bestellte es, indem er sich intensiv der Regionalgeschichte annahm. Die Ergebnisse seiner Feldforschungen und der Archivarbeit wurden die wissenschaftlich fundierte Grundlage für den weiteren Ausbau von Diesdorf. Die Recherchen und die daraus gezogenen Erkenntnisse finden sich im zweiten Teil der „Beiträge“. Gemäß dem ländlichen Baubestand, der in situ kaum über das 17. Jahrhundert hinausreicht, interessierten den Ethnologen vor allem die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse der späten Neuzeit. Ein tragender Begriff ist wieder der „Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus“. Eine solche Formulierung ist schlagwortartig und recht grob. Tatsächlich handelte es sich um einen territorial-regional sehr unterschiedlich verlaufenen komplexen Prozess.

Ausführlich befasste sich Fischer mit folgender Frage: Welche Gründe waren für den allmählichen Schwund der Hallenhäuser ab dem späten 18. Jahrhundert verantwortlich, namentlich bei den Neubauten? Der Autor nennt etliche Faktoren, beispielsweise die merkantilistsch-absolutistischen Verordnungen, die den Holzeinschlag in den Wäldern reglementierten. Das Gerüst der Hallenhäuser besteht zu einem guten Teil aus hohen und kräftig dimensionierten Ständern, wie sie ein Hochwald zur Verfügung stellt. Der Bau von Ernhäusern verlangte dagegen kaum Langholz, allenfalls für die Eckständer, die häufig aus Eiche gezimmert wurden. Sonst begnügte man sich mit dem weniger aufwändigen Weichholz. Im 19. Jahrhundert ersetzte die massive Bauweise aus Ziegelstein mehr und mehr das Fachwerk.

Auch Überlegungen des Feuerschutzes spielten bei den obrigkeitlichen Eingriffen in das Bauwesen eine Rolle. Eine „Feuer-Ordnung“ von 1701 untersagte in der Mark Brandenburg offene Feuerstellen. Nachträglich traten Erlasse zu dieser Verordnung hinzu, die den Neubau von Hallenhäusern schließlich 1795 untersagten (108). Fischer hat die Auswirkungen solcher Dekrete im Domänenamt Diesdorf untersucht.

Die sogenannte Bauernbefreiung, die sich auch als „bürgerliche Agrarreform“ bezeichnen lässt (168), lockerte die auf dem Land geltenden patriarchalischen Verhältnisse. Die Gutsherren und manche Bauern profitierten von der Separation, das heißt von der Aufhebung der überlieferten Flurverfassung. Der Gemeinschaftsbesitz der Allmende wurde privatisiert. Es entstand einerseits eine Schicht von Großbauern, andererseits verschlechterte sich die Lage der Kleinbauern. Die Landwirtschaft wurde rationaler und rationeller. Für eine solche Bewirtschaftung waren mehrgliedrige Höfe eher als Hallenhäuser mit ihren integrierten Ställen geeignet, in denen sich nur eine begrenzte Zahl von Haustieren unterbringen ließ. Die Trennung von Mensch und Tier, von Wohnhaus und Stall, kann in der Altmark ab zirka 1800 beobachtet werden. Die kleineren Bauern, die Kossaten, Häusler und Büdner, blieben allerdings von dieser Entwicklung ausgeschlossen und hielten trotz landesherrlicher Vorbehalte auch bei Neubauten länger als die begünstigte Schicht an dem altangestammten Bautyp fest, in der Altmark bis in das frühe 19. Jahrhundert. Diese Neuanlagen lassen sich aber kaum als weiträumige Hallenhäuser klassifizieren. Fischer spricht im Zusammenhang mit dem Wandel im Baulichen auch von „wohnkulturellen Gründen“ (81). Damit ist wohl ein damaliger modischer Trend gemeint: Eine Hofanlage mit einem separaten Wohnhaus galt als neuzeitlich, ein Hallenhaus hingegen als veraltet.

Der dritte Teil der „Beiträge“ ist aufgrund seiner sehr unterschiedlichen Themen volkskundlich weit gefächert. Er enthält je einen Aufsatz zur damaligen Tracht in der Altmark, zu den einstigen Ess- und Trinkgewohnheiten, zur historischen Situation der Knechte und Mägde und schließlich zum früheren Erntebrauch. Bei der Tracht war Fischer auf Rekonstruktionen angewiesen. Er bediente sich dabei der in den Museen der Altmark allerdings nur fragmentarisch erhaltenen Bestände und startete 1984 zwei Umfragen, um von der Bevölkerung Informationen über das eine oder andere im Privatbesitz befindliche textile Stück zu erhalten. Ziel war es, die Kenntnisse über die Kleidung im Spätfeudalismus zu erweitern. Die Recherche erbrachte jedoch keine über das frühe 19. Jahrhundert zurückreichenden Resultate.

Auch bei dem Thema „Essen und Trinken in der Feudalzeit“, gemeint sind die Mahlzeiten und Getränke der ländlichen Bevölkerung, ist die Quellenlage schwierig. Einige frühe Nachrichten beziehen sich auf Festessen aus besonderen Anlässen, bei Hochzeiten etwa. Näheres über das Alltagsessen ergibt sich erst für das späte 18. Jahrhundert und dies recht zaghaft. Man kann sich fragen, ob mit solchen Hinweisen die Feudalzeit ab dem Mittelalter abgedeckt ist. Üppiger fließen die Quellen hingegen im 19. Jahrhundert. Aufschlussreich sind manche Hausinschriften, wenn sie die Erträge und Preise von Getreide, von Bier oder Branntwein im Erbauungsjahr des Hauses angeben. Daraus lassen sich vielleicht Rückschlüsse auf die üblichen Gerichte ziehen.

Das Thema „Knechte und Mägde“, das Peter Fischer zusammen mit Hartmut Bock 1986 vorstellte, ist wieder ein klassisches sozial- und wirtschaftshistorisches Beispiel. Es geht um die „feudalabsolutistischen Bedingungen […] im Übergang zum Kapitalismus in der Landwirtschaft“ (227–229). Ins Visier rücken vor allem die Arbeits- und Verdienstverhältnisse der Neuzeit. Wie war der Lohn in jener weiten Zeitspanne? Wurde er in Naturalien oder in Geld verabreicht? Wie war die Unterkunft des „Gesindes“? War es in die bäuerliche Familie integriert oder stand es abseits? Die Autoren konnten vereinzelt sogar schriftliche Quellen des späten 17. Jahrhunderts auswerten. Das Gros der Materialien gehört aber späteren Zeiten an. Eine besondere Quellengruppe sind Fotos aus den Jahren um 1900/1910 bis 1930. Sie geben eine bäuerliche Hausgemeinschaft zusammen mit dem Personal wieder und vermitteln das Bild einer allgemeinen Harmonie. Dieses gegenseitige Einverständnis bestand damals zumindest teilweise. So bezeugen es auch schriftliche Belege. Ob dies für die Gesamtheit der Knechte und Mägde repräsentativ ist, bleibt offen. Wie Fischer und der Koautor Bock im Resümee dieses Beitrags feststellen, „konnten nur Ausschnitte aufgezeigt werden“ (278 f.).

Der 1984 veröffentlichte Aufsatz über Erntebräuche, überschrieben mit dem plattdeutschen Ausdruck „Vergodendeel“, ruft das frühere Geschehen um die Getreideernte in Erinnerung. Der Erste Weltkrieg war eine Zäsur solcher Festlichkeiten, im „Dritten Reich“ wurden sie im Sinn der damaligen Ideologie instrumentalisiert, nach dem Zweiten Weltkrieg lebten die Bräuche wieder auf und wurden auch von den LPGen für ihre Zwecke eingesetzt. Heute ist „Vergodendeel“ eine folkloristische Attraktion in der Altmark.

Als Fazit zu dem hier besprochenen Sammelband bleibt festzuhalten, dass Fischers Beiträge über die Geschichte der Altmark nicht nur für diese Landschaft überaus wertvoll sind, sondern darüber hinaus für das weitere Niederdeutschland. Zudem sind diese Untersuchungen beispielhaft für die wissenschaftliche Hintergrundarbeit, die ein Freilichtmuseum zu leisten vermag.

Peter Fischer, offensichtlich von den Alltagsforschungen Jürgen Kuczynskis oder Sigrid und Wolfgang Jacobeits inspiriert, hatte sich nicht nur in der DDR einen guten Ruf als Volkskundler und vor allem als Hausforscher erworben. Zwei seiner Aufsätze wurden 1991 und 1996 auch in einer westdeutschen Schriftenreihe verlegt und waren somit einem größeren Fachpublikum zugänglich.[2]

Anmerkungen

[1] Vorlage zur Schaffung und zum Ausbau volkskundlicher Freilichtmuseen in der Deutschen Demokratischen Republik. In: Karl Baumgarten u. Hans-Jürgen Rach (Red.): Arbeitskreis für Haus- und Siedlungsforschung, Wissenschaftsbereich Kulturgeschichte/Volkskunde des Zentralinstituts für Geschichte der AdW der DDR. Protokoll der 14. Jahrestagung in Salzwedel vom 4. bis 7. Juni 1973. Berlin 1974; vgl. zu Diesdorf S. 40. Das „Protokoll“ ist auch wiedergegeben in H.-J. Rach: Vom Bauen und Wohnen. 20 Jahre Arbeitskreis für Haus- und Siedlungsforschung in der DDR. Berlin 1982, S. 331.

[2] Peter Fischer: Ländliche Armenhäuser in der Altmark. In: Aus den Forschungen des Arbeitskreises für Haus- und Siedlungsforschung (Berichte zur Haus- und Bauforschung 2). Marburg 1991, S. 167–173; ders.: Die Hauslandschaft der Altmark – Ein Überblick. In: Ländlicher Hausbau in Norddeutschland und den Niederlanden (Berichte zur Haus- und Bauforschung 4). Marburg 1996, S. 191–208.