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Svenja Böhm

Enemy Images in the James Bond Series. Narratives of Visibility and Invisibility

(Film – Medium – Diskurs 113), Würzburg 2020, Königshausen & Neumann, 314 S. m. Abb., ISBN 978-3-8260-7019-8


Rezensiert von Matthias Harbeck
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 15.09.2022

Svenja Böhm geht in ihrer 2020 publizierten Dissertation Feindbildern nach, denen die vom britischen Autor Ian Fleming 1953 geschaffene Agentenfigur James Bond in seinen Romanen und der darauf aufbauenden Filmreihe bis 2020 begegnet. Dabei arbeitet die Anglistin heraus, wie sich Elemente der Stereotypisierung und des Othering mit Elementen der Gleichsetzung von Held und Schurk*innen (über die stilistischen Mittel des „evil twins“ oder des Spiegelbilds) abwechseln und dabei in ein Spiel mit der (Un)Sichtbarkeit des Feindes eintreten. Böhm zufolge verschwimmen klare Abgrenzungen zwischen Held und Feind*innen, Gut und Böse, dem Wir und den Anderen im Verlauf von James Bonds medialer Geschichte immer mehr: Britishness ist nicht mehr nur der gute Gegenpol des Bösen, sondern steht allgemein zur Disposition (14). Dabei ordnet sie Schurk*innen und auch die Bondreihe insgesamt in Identitätsdiskurse des Westens ein (13).

Zentraler Punkt der Analyse ist das Spannungsverhältnis zwischen sichtbaren Markierungen der Gegnerschaft und unsichtbaren Eigenschaften: „A central aim of my analysis is to reveal these tensions between visibility and invisibility in the construction of the enemy and relate them to Western trends of enemy perception and shifting cultural anxieties.“ (13 f.) Gerade die nicht immer gegebene Erkennbarkeit des Feindes, zum Beispiel wenn es sich um einen inneren Feind (enemy within) handele, fordere die Rezipient*innen heraus, rigide Trennungen in Wir und die Anderen zu hinterfragen (14). Zudem lasse sich der Feind im Zeitalter des Terrorismus nicht mehr territorialisieren: „The supposedly binary geopolitical world order changed with the collapse of the Soviet Union […]. The post-9/11 period saw a ‚shift in the figure of the Enemy‘.“ (12)

Die Arbeit gliedert sich in fünf Kapitel sowie Einleitung, Schluss und eine Filmografie/Bibliografie. Nach einem Literatur- und Forschungsüberblick nähert sich Böhm im zweiten Kapitel den Theorien der Herstellung und Funktion von Feindbildern, um dann mittels „close readings“ beziehungsweise „close watchings“ drei Phasen der Feindbilderzeugung in der Bondreihe herauszuarbeiten, deren unterschiedliche Strategien vorzustellen und deren Entwicklung nachzuvollziehen. In ihrer Analyse konzentriert sie sich in Bezug auf Romane und Kurzgeschichten auf die originären Werke Ian Flemings sowie auf die von der britischen Produktionsfirma Eon Productions Ltd. produzierten Filme der Bondreihe. Zum Erscheinungszeitpunkt der Studie umfasste die Reihe 24 Filme sowie einen Trailer für den 2021 erschienenen 25. Film „No Time To Die“. Nicht bei Eon entstandene Filme, Fernsehproduktionen sowie Videospieladaptionen, Bondromane anderer Autor*innen und Comics werden in der Abhandlung nicht besprochen.

Böhms Forschungsüberblick verdeutlicht, dass Bondschurken ein überraschenderweise vernachlässigtes Thema sind (18). Die anhaltende Popularität der Reihe macht Böhm in den verschiedenartigen kulturellen Referenzen aus, die mit ihr zu unterschiedlichen Zeitpunkten verknüpfbar seien: Die Figur „James Bond“ sei nicht statisch, sondern im Laufe der Zeit (als mobile signifier) stets dynamisch neu interpretierbar geblieben, sie böte Anschluss an die Diskurse ihrer jeweiligen Zeit (18). Die Autorin geht in ihren Interpretationen über rein dichotomische Ansätze hinaus, wie sie zum Beispiel von Umberto Eco (Die erzählerischen Strukturen in Flemings Werk. In: Oreste del Buono u. Umberto Eco [Hg.]: Der Fall James Bond 007 – ein Phänomen unserer Zeit. München 1966, S. 68–119 [Original 1965]) etabliert wurden, die Aspekte der Annäherung und des Verschwimmens von Gut und Böse vernachlässigten (21). Für Böhm sind vor allem die sich verändernden Feindbildkonzepte sowie Fragen der Sicht- und Unsichtbarkeit und der fließenden Übergänge zentral, Genderbetrachtungen als Aspekte des Othering werden nachgeordnet. In Feindbildern sieht die Autorin wichtige Impulse für die Identitätsbildung (39). Dabei sind ihre Ansätze der Feindbildforschung durch die Soziologie, Literaturwissenschaft und Sozialpsychologie geprägt (aufbauend vor allem auf Richard Dyer, Anne Flohr, Stuart Hall, Vilho Harle, Slavoj Žižek und Marja Vuorinen), die geschichtswissenschaftliche Stereotypen- und Vorurteilsforschung von Hans Henning Hahn und Wolfgang Benz zieht sie, trotz sich wandelnder historischer Kontexte der Bondreihe, nicht heran. Für Böhm sind Feindbilder ein extremer Fall des Othering (42), entsprechend handele es sich um Stereotype, dies gelte aber nicht umgekehrt (45 f.). Der bei Bond immer wieder auftretende innere Feind mache eine solche Differenzierung durch Stereotype schwieriger, was zu Paranoia und Verdächtigungen führe (52 f.). Böhm sieht diesen neuen unsichtbaren Feind mit dem Zeitalter der Globalisierung verwoben, dies betreffe auch den Terrorismus als Spiegel oder Schatten des weltweiten Kapitalismus (54).

Entsprechend unterteilt sie die Bondreihe bezüglich ihrer zentralen Feindbilder in drei Phasen:

1. In den frühen Bond-Romanen stellten die Sowjetunion oder mit ihr im Zusammenhang stehende Schurken ein klares Feindbild – basierend auf bestehenden Stereotypen - dar (296), insbesondere symbolisiert durch die sowjetische Gegenspionageorganisation SMERSH (55–56). Dies attestiert Böhm den von ihr als „Cold War Novels“ bezeichneten Bond-Romanen der 1950er Jahre. Unterstützt würde die Feindbilderzeugung hier durch eine Verschmelzung von Feindbildern der jüngeren Vergangenheit: Die vielfachen Verbindungen sowjetischer Agent*innen mit Deutschland – so haben die Gegnerfiguren Dr. No, Donovan Grant und Hugo Drax jeweils eine teils deutsche Abstammung, Auric Goldfinger setzt ein von den Nazis entwickeltes Gas ein (77–81, 103) – deutet sie als Verschmelzung von Nazis und Sowjets im so genannten „red fascism“ (69).

2. Die Blofeld-Trilogie um die kriminelle Geheimorganisation SPECTRE mit ihrem Mastermind Ernst Stavro Blofeld markiere in den Romanen und damit auch für die beginnende Filmreihe der 1960er bis in die 1980er die Hinwendung zu kapitalistisch-kriminellen Feinden, wobei die Filmgegner der späten 1970er und 1980er Jahre zunehmend individuelle Kriminelle mit grotesken Zügen darstellten. Der Feind werde durch seine mangelnde Territorialität zunehmend unsichtbarer (119 ff.). Durch die Wahl des Kapitalismus als Macht- und Repräsentationsmittel sei der Terror auch schwieriger vom Wir zu unterscheiden (119, 142 f.). Böhm bezieht Theorien zum Neuen Terrorismus ein, da diese Wege suchten, den eigentlich nicht erkennbaren Terroristen als erkenn- und damit kontrollierbar darzustellen (121 f.). Die hier anknüpfenden Bondfilme übten durch die deutliche Verstrickung der Terrororganisation mit dem westlichen Wirtschaftssystem Kritik an einem gierigen (US-)Kapitalismus – und zeigten damit vor allem den USA ein kritisches Spiegelbild: „SPECTRE stands for an Americanised, unsubstantial, global capitalism marked by greed and excess. In that respect, ‚Diamonds Are Forever‘ takes to extremes the anti-Americanism, or rather anti-Americanisation that certainly pervades both books and films.“ (183) Angesichts der Bedeutung der USA als Absatzmarkt und für die Produktion der Filmreihe (das Drehbuch zu „Diamonds Are Forever“ wurde von zwei US-Autoren geschrieben) scheint diese antiamerikanische Lesart allerdings etwas zu extrem.

3. Mit dem Fall der Berliner Mauer und der Postwendezeit sieht Böhm eine Zunahme der Unsichtbarkeit des Feindes gekommen: Der Wegfall des Systemgegners und die zunehmend digitalisierte globalisierte Welt sorge für eine wachsende Unsicherheit und Technologieskepsis (210 f.), ergänzt um die unsichtbare Bedrohung durch internationalen Terrorismus. Dabei unterteilt sie diese Phase in vor und nach 9/11, da sich diese Entwicklungen danach vor allem im Bereich der digitalen Überwachungsmöglichkeiten durch den Staat rasant beschleunigt hätten. Zudem bedingten auch der Reboot und die neue Art des seriellen Erzählens der Filme ab 2006 einen deutlichen Einschnitt (242). Insbesondere die Filme mit dem Briten Daniel Craig als Hauptdarsteller rückten die Feinde näher an Großbritannien heran (292). Neu sei auch die in ihnen geübte Kritik an britischer Politik und Geschichte sowie sicherheitspolitischen Entscheidungen (216, 270, 290). Diese Auseinandersetzung des Westens mit sich selbst spiegele sich in dieser Phase mehrfach auch in Bonds Konfrontation mit seinen „evil twins“ (224). Die Gegner kämen näher an England, den MI6 und Bond heran – so nah, dass der ikonische Blofeld sich in seinem Reboot in „Spectre“ als Bonds Pflegebruder entpuppt (298 f.). Dennoch würden auch diese vermeintlichen Spiegelbilder durch Ethnizität, Verhalten und/oder körperliche Entstellungen geothert (229). Laut Böhm seien weibliche Antagonistinnen dabei im Wesentlichen nur Nebenfiguren – teilweise grotesk, teilweise als Femme fatale inszeniert. Zwar passten sie zum Teil als innere Feindinnen in das Spiel von Unsichtbarkeit/Sichtbarkeit, würden aber nicht als „evil twin“ zu Bond aufgebaut (231–239).

Das zum Ende der Reihe gewachsene Spannungsverhältnis basierend auf Uneindeutigkeit, mit dem sich der Held als Identifikationsfigur auseinandersetzen muss, sei für die Bondreihe zentral, da erkennbare Feinde imminent wichtig für die Identitätsbildung seien: „Bondʼs enemies [...] have to be provided with concrete tangible features in order to make them recognisable/visible, controllable and, above all, different, no matter how invisible or close to the Self they are.“ (295). Das Verschwimmen der Grenzen zwischen Freund*innen und Feind*innen mache eine positive Selbstidentifizierung schwieriger. Diese Entwicklung interpretiert die Autorin als Wunsch nach einer Rückkehr zu den klareren Feindbildern des Kalten Krieges (300).

Durch die genaue Lesart gezielt gewählter Teile der Bondreihe, gelingt es Swenja Böhm eindrucksvoll, das zunehmende Verwischen der Grenzen und die anwachsende Unsichtbarkeit der Gegner sowie schließlich das näher ans „Wir“ heranrückende Andere zu verdeutlichen. Die Funktionsweise von Stereotypen und Othering im Kontext der Feindbilderzeugung sowie ihre jederzeit mögliche Reaktivierbarkeit werden dabei einleuchtend an vielen Einzelbeispielen demonstriert. Die Autorin zeigt auf, dass sich die Bondreihe den Ängsten ihrer Zeit anzupassen scheint. Eine klare Interpretation, wann welche Strategie verfolgt wird, wagt sie leider nicht. Insgesamt gesehen geht sie nur selten auf den historisch-politischen Kontext der Werke oder ihre Produktionsumstände ein. Intertextuelle Bezüge und Vergleiche jenseits der Reihe fehlen fast völlig – außer dort, wo es Böhms Argumentation stützt (283 f.). Eine ausführliche mediengeschichtliche Einordnung des klaren erzählerischen Bruchs mit der Besetzung Bonds durch Daniel Craig fehlt weitestgehend. Auch ist die Unterscheidung des Bezugsrahmens für die Identitätsaspekte – ist es jetzt Großbritannien allein, Großbritannien und die USA oder die gesamte westliche Welt? – nicht immer klar. Während Böhm in Abschnitt vier sowohl britische als auch US-Perspektiven auf den sowjetischen Feind heranzieht (53–73), zu Beginn mehrfach vom Westen oder den westlichen Gesellschaften insgesamt spricht (12), fokussiert sie in der Analyse auf Britishness. Diese Unschärfe ist angesichts der Geschichte des Kalten Krieges, aber auch der wachsenden internationalen Bedeutung der Bondreihe nachvollziehbar und hätte nur durch eine umfassendere historische Einbettung und transparentere Auseinandersetzung mit den Produktionsumständen besser aufgefangen werden können. Allerdings ist dies im Rahmen einer anglistischen Dissertation und angesichts des Quellenmaterials sowie des damit verbundenen Zeitschnitts wohl kaum zu leisten. Die vorgelegte Studie bietet hierfür somit einen hervorragenden Ausgangspunkt für weitere Forschungen.