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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Kathrin Schulte

Gebrauchte Einfamilienhäuser als Wohnform. Eine ethnografische Untersuchung im Bestand

(Beiträge zur Volkskultur in Nordwestdeutschland 132), Münster 2021, Waxmann, 189 S. m. Abb., ISBN 978-3-8309-4394-5


Rezensiert von Adonis Khaghani
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 29.09.2022

Spätestens seit der Fridays-for-Future-Bewegung hat der Nachhaltigkeitsgedanke im Leben vieler Menschen (neue) Aktualität erfahren. Im Sinne nachhaltigen Wirtschaftens und Lebens ist nicht nur die Umstellung der Ernährung und anderer Gewohnheiten des Alltagslebens zu überdenken, sondern auch die Wohnsituationen und die Notwendigkeit des Bauens von neuem Wohnraum. Die Wiedernutzung bestehender Gebäude gewinnt in diesem Zusammenhang an Bedeutung. Mit ihrer im Rahmen eines Projekts der Kommission für Alltagskulturforschung für Westfalen entstandenen ethnografischen Untersuchung über das Leben in gebrauchten Einfamilienhäusern greift Kathrin Schulte das aktuelle Thema der nachhaltigen Ressourcennutzung auf. Ursprung des Projekts war das Interesse vieler Kommunen und Städteplaner*innen daran herauszufinden, ob und welche Haushalte sich für den Erwerb einer Bestandsimmobilie interessieren. Darauf aufbauend sollten in diesen Kommunen gezielt für Gebrauchtwohnen aufgeschlossene Familien für den Kauf von Bestandsimmobilien in der eigenen Gemeinde angeworben werden. Nicht von Interesse waren in der Forschung diejenigen Haushalte, die lediglich nach einer (neuen) Wohnsituation mit Garten und erreichbaren Einkaufs- und Freizeitmöglichkeiten suchten, da deren Nachfrage auch durch eine Immobilie im Neubaugebiet bedient werden könnte.

Kathrin Schulte fragt zunächst danach, aus welchen Gründen gebrauchte Einfamilienhäuser erworben werden, ob diese der Altersvorsorge dienen und den Nachkommen hinterlassen werden sollen, welche Erwartungen die Familien an die Häuser haben und welche Eigenschaften der gebrauchten Immobilie sie weiterhin nutzen möchten. Auch die Frage, ob solche Käufe sich womöglich als Fehlentscheidung erweisen, wird verfolgt. Angesichts der demografischen Entwicklung ist die Frage zentral, ob und inwiefern es einen Unterschied beim Häuserkauf zwischen Stadt und Land gibt. Die Untersuchung stützt sich auf insgesamt 20 leitfadengestützte Interviews mit Haushalten, die innerhalb der letzten zehn Jahre eine Bestandsimmobilie gekauft, geerbt oder von den Eltern/Großeltern übernommen haben. Die Untersuchung fand in Nordwestdeutschland in einer Großstadt (Münster) und einer Kleinstadt (Rorup) statt sowie in einem ländlich gelegenen Dorf (Ohne im Landkreis Grafschaft Bentheim). Durch die Einbeziehung unterschiedlich großer Gebiete sollen die Auswirkungen des jeweiligen Standortes des Hauses auf seine Nutzung sowie Wohnpräferenzen gezeigt werden.

Die Verfasserin präsentiert ihre Ergebnisse in fünf inhaltlichen Kapiteln. In den ersten zwei Kapiteln geht Schulte der Frage nach, aus welchen Motiven heraus sich die Befragten für den Kauf einer Bestandsimmobilie und damit verbunden zumeist auch gegen den Neubau eines Einfamilien-/Mehrgenerationenhauses entschieden haben. Dabei werden Gründe wie eine sichere Kapitalanlage (auch als Altersvorsorge) oder eine im Vergleich zu Neubauten größere Grundstücks- oder Wohnfläche als Kaufmotivation von Bestandsimmobilien genannt. Unabhängig von der vorherigen Wohnsituation sind dies die am häufigsten ausgeführten Gründe für eine Kaufentscheidung. Dabei wird zwischen standortbestimmenden Faktoren wie den Immobilienpreisen, der Infrastruktur oder den sozialen Kontakten sowie standortübergreifenden Faktoren wie der bereits im Vorfeld vorhandenen beruflichen Flexibilität oder auch beruflichen Bindung unterschieden. Zu erwähnen ist hier, dass jede Familie die Faktoren anders gewichtet.

Das folgende Kapitel behandelt den Umbau und die Gestaltung der Immobilie sowie den Einzug in das neuerworbene Haus. Beim Prozess der Aneignung der Gebrauchtimmobilie stehen das (eigenständige) Arbeiten am und im Haus im Vordergrund. Hier wirken sich die nach dem Kauf verbliebenen finanziellen Ressourcen auf die Art und Weise des Umbaus aus: Sind finanzielle Mittel ausreichend vorhanden, werden meist Handwerker*innen engagiert, während bei knapperen Ressourcen auf Eigenleistung zurückgegriffen oder gar die Hilfe von Freund*innen und Familie in Anspruch genommen werden muss. Hier zeigt sich die hohe Relevanz des sozialen Kapitals, das sich ganz im Sinne von Pierre Bourdieus Theorie in der neuen Währung eines nach eigenen Wünschen umgebauten Hauses materialisiert. Deutlich werden im Zuge der Hausaneignung die in dieser Region nach wie vor relevanten klassischen Geschlechterrollen: In nahezu allen Fällen, in denen die neuen Hauseigentümer*innen Umbaumaßnahmen selbst vollzogen, waren die Männer die relevanten Akteure. Demonstrativ wird Männlichkeit, etwa durch die anfallenden Handwerksarbeiten, performt, und hierdurch werden traditionelle Geschlechterrollen re-inszeniert. Frauen übernehmen beim Umbau der Häuser allenfalls kleinere Hilfsarbeiten.

Wie im gebrauchten Einfamilienhaus gewohnt und gelebt wird, damit beschäftigt sich das vorletzte inhaltliche Kapitel. Für Familien in der Phase der Familiengründung oder mit jungen Kindern ist das Wohlbefinden der Kinder wesentlich: Eines der wichtigen Argumente für ein Haus ohne in unmittelbarer Nähe lebende Nachbar*innen und mit einem großen Garten sind die freie Entfaltung, die Lautstärke von spielenden Kindern sowie deren Sicherheit, da aufgrund des vorhandenen Platzes nicht zwingend auf der Straße gespielt werden muss. Zugleich zeigt Schulte, wie wichtig das Einfamilienhaus für das Familienleben im Allgemeinen ist, dass der vorhandene Platz ein Zusammenleben mehrerer Generationen ermöglicht. Das letzte Kapitel thematisiert die Erwartungshaltung an die Immobilie und fragt danach, ob diese erfüllt wurde. Einige der von den Befragten genannten Kaufkriterien stellten sich im Nachhinein als unerwartete Mehrbelastung heraus, wie etwa die größere Wohnfläche. Der Mehraufwand bei der Gartenfläche wird jedoch nicht als etwas Negatives wahrgenommen. Trotz des Umzugs in eine neue Immobilie wurden soziale Beziehungen am ehemaligen Wohnort aufrechterhalten. Am neuen Wohnort entstanden neue Beziehungen, in ländlichen und kleinstädtischen Gegenden zum Beispiel durch die Mitwirkung in Vereinen oder bei Nachbarschaftstreffen. Auch in diesem Kapitel thematisiert Schulte die Relevanz traditioneller Geschlechterrollen. Diese zeigt sich etwa in der Arbeitsteilung: Die Frauen kümmern sich zumeist um Kindererziehung und Care-Arbeit, die Männer pendeln teils zu weit entfernt gelegenen Arbeitsorten. Hier zieht Schulte einen Bogen zur Mobilitätsforschung und schließt diese in ihre Arbeit mit ein. Die Veränderung des Verkehrsverhaltens wirkt sich auf den wohnsitznahen Bewegungsradius von Kindern und Jugendlichen aus. Die Verdrängung aus dem öffentlichen Raum führt dazu, dass die für Kinder vorgesehenen Orte verteilt sind und diese daher auf den Transport durch die Eltern angewiesen sind. Das Schlusskapitel fasst die wichtigsten Ergebnisse nochmals in zehn Punkten zusammen.

Die Studie lässt sich angenehm lesen und hat einen logisch nachvollziehbaren Aufbau. Die Lesenden werden gut an Thema und Ziel herangeführt. Vor allem die Präsentation der Ergebnisse, einerseits als kleine Zusammenfassung am Ende jeden Kapitels, aber auch zum Schluss in Form der Bausteine, runden das Werk gut ab. Dadurch behält man als lesende Person den Überblick über Verlauf, Ergebnisse und persönliches Nutzpotential der Untersuchung. Insgesamt richtet sich die ethnografische Studie über gebrauchte Einfamilienhäuser als Wohnform an alle Forscher*innen in den Feldern der Rural Studies, der Erforschung von Nachhaltigkeit und von Bauen und Wohnen. Aber auch alle diejenigen, die der Frage nachgehen möchten, wie Kommunen in ländlichen und urbanen Räumen die Wohnmarktsituation einschätzen lernen, um Leerstand vorzubeugen und um alternde Einfamilienhäuser als Wohnraum systematisch zu nutzen, sind hier an der richtigen Stelle.