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Rebekka Denz

Bürgerlich, jüdisch, weiblich. Frauen im Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens (1918–1938)

(Jüdische Kulturgeschichte in der Moderne 16), Berlin 2021, Neofelis, 388 S., ISBN 978-3-95808-159-8


Rezensiert von Wilma Schütze
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 29.09.2022

Im Oktober 1928 luden die Frauengruppen im Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens (CV) Groß-Berlins zu einem „Teenachmittag“ mit Margarete Fried ein (221). Fried leitete seit 1927 das Dezernat der Frauengruppen in Berlin. Frauenthemen kennzeichneten fast alle Veröffentlichungen der siebenfachen Mutter. Ihr letzter Artikel erschien 1936, zwei Jahre vor ihrer Emigration. Bei Veranstaltungen dieser Art hielten Frauen Vorträge für Frauen über Frauenthemen. Erst später erfährt die Leserin, dass bei besagtem „Teenachmittag“ mehr als 500 Frauen zugegen waren. In der Übersicht über die Aktivitäten der Hamburger Ortsgruppe taucht dann der Begriff „Propagandatee“ (238) auf: eine sprachliche Vermischung der offensichtlichen Werbeveranstaltung für den CV und der verschleiernden unpolitischen Bezeichnung „Teenachmittag“. Die vorliegende Arbeit von Rebekka Denz beschäftigt sich mit der Frage, wie Frauen in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus die Frauenarbeit im CV gestalteten. Solche erfolgreichen Vortragsnachmittage, bei denen viele neue Mitglieder zum CV hinzukamen, konnten allerdings nicht alle Ortsgruppen gleichermaßen für sich verbuchen. Die klamme finanzielle Lage der Frauengruppen vor Ort stellte sich immer wieder als Hindernis heraus.

Margarete Fried ist eine der elf porträtierten Frauen, deren Arbeit im CV sich Rebekka Denz annimmt: Dr. Olga Bloch, Else Dormitzer, Dr. Margarete Edelheim, Margarete Fried, Margarete Goldstein, Mala Laaser, Lise Leibholz, Dr. Käthe Marcus, Hilde Marx, Dr. Eva Reichmann-Jungmann und Meta Samson waren CV-Funktionärinnen oder Journalistinnen, die insbesondere für die CV-Presse tätig waren, mitunter auch beides. Was wir über die porträtierten Frauen wissen, ist nicht allzu viel: Selten sind Nachlässe überliefert, zudem gibt es nur überschaubare biografische Anhaltspunkte und auch die in den Central Archives for the History of the Jewish People (CAHJP) überlieferten Korrespondenzen geben über die Menschen hinter der politischen Arbeit wenig Aufschluss. So kennen wir von Lise Leibholz nicht einmal Lebensdaten; vermutlich wurde sie in der Shoah ermordet (77–79). Die Leserin muss sich damit begnügen, dass sie nur als Autorin greifbar ist.

Denz wählt für ihre Dissertation, die nun als Buch vorliegt, einen kollektivbiografischen Ansatz und findet heraus, dass der hohe Bildungsstand und der (fast ausschließliche) Lebensmittelpunkt Berlin den Protagonistinnen gemein war. Sie waren meist Ehefrauen und Mütter und in Festanstellung oder als freie Mitarbeiterin erwerbstätig. Sie waren diejenigen, die im CV Frauenthemen bearbeiteten. Obwohl nicht alle elf Frauen Mitglied im CV waren, engagierten sie sich für den Verein, der zu Spitzenzeiten (1924) ca. 70 000 Mitglieder im Deutschen Reich hatte. Er war im Kaiserreich 1893 zur Verteidigung der jüdischen Emanzipation gegründet worden; politisch neutral, war er doch der Einheit von Deutschem und Jüdischem verpflichtet. Die Arbeitsschwerpunkte des CV waren die Aufklärung über Antisemitismus und völkische Bewegung sowie die Verbreitung von Wissen über Geschichte und Gegenwart des europäischen Judentums. Obschon der Frauenarbeit keine Priorität zukam, was sich auch immer wieder in der Finanzierungsfrage äußerte, richtete der CV in der Weimarer Zeit ein eigenes Dezernat ein und hielt Kontakt zu den reichsweit 49 Frauengruppen und Frauenarbeitsgemeinschaften (271).

Denzʼ Untersuchung setzt mit 1918 zu einem Zeitpunkt ein, als mit der Einführung des aktiven und passiven Wahlrechts Frauen volle Staatsbürgerrechte zuerkannt wurden. Die Analyse endet 1938 mit der Zwangsauflösung des CV und fast aller jüdischen Vereinigungen durch die Nationalsozialisten. Die Autorin hat die gesamte CV-Presse – die Monatsschrift „Im deutschen Reich“, die Wochenausgabe und die Monatsausgabe der CV-Zeitung „Der Morgen“ sowie Veröffentlichungen des Philo-Verlags – im untersuchten Zeitraum systematisch ausgewertet.

Mit der theoretisch ausgerichteten Frage nach Handlungsräumen beginnt die Untersuchung. Die Autorin versteht Geschlecht „im Sinne einer kulturell und sozial festgelegten Zuschreibung“ (13); es gelte, die Bedeutung von Männlichkeit und Weiblichkeit herausfinden. „Die gesellschaftlichen Normen und Tugenden sowie das Rollen(selbst)verständnis von Frauen in der Weimarer Republik und in den Anfangsjahren des Nationalsozialismus rücken somit in den Mittelpunkt der Betrachtung.“ (15) Sie beobachtet, dass sich jüdische Frauen in der Mehrheit von christlichen Frauen unter anderem durch das Bildungsideal und die weit verbreitete Erwerbstätigkeit unterschieden (53). Die große Heterogenität in Bezug auf die Geschlechterrollen darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die Mehrheit jüdischer Frauen an bürgerlichen Idealen orientierte (63). Frauenbilder und -rollen veränderten sich auch durch äußere Umstände: Zum Beispiel richtete sich die antisemitische Gewalt im Frühjahr 1933 zunächst und hauptsächlich gegen jüdische Männer (64). Die Lücken im gesellschaftlichen Leben, die durch Inhaftierungen und Fluchtwellen entstanden, füllten Frauen. Insgesamt wurden die jüdischen Gemeinden im Nationalsozialismus damit durchschnittlich älter und weiblicher (ebd.).

Den Schwerpunkt der Untersuchung bildet Groß-Berlin, wo es über den gesamten Zeitraum verteilt 15 Frauengruppen des CV gab; 1930 waren einer Schätzung zufolge ca. 3 000 Frauen in den Berliner Ortsgruppen organisiert. Von Berlin aus waren die regionalen Frauengruppen zentral verwaltet. Sie standen im Austausch mit Berlin und fragten dort bekannte Vortragsrednerinnen (seltener Vortragsredner) an.

Die Forschungsfrage, wie Frauen die Arbeit des CV gestalteten, lässt sich folgendermaßen beantworten: Sie waren aktive Mitglieder, allerdings in der Führungsebene unterrepräsentiert. Ihr eigener Gestaltungsraum betraf hauptsächlich die Wissensvermittlung. So formulierten Fried und Leibholz die Ziele der CV-Frauenarbeit: „Die Mitarbeit der Frau im CV ist aus folgenden Gründen erwünscht: 1) die Stellung der Frau als Staatsbürgerin, ihre Mitarbeit in Kommune und Staat verpflichtet sie über Judentum und Judengegnerschaft genau unterrichtet zu sein.“ (266) Ihre spezifische Frauenaufgabe sei die „Vertiefung jüdischen Wissens, Abwehrarbeit in Haus und Schule, [...] Aufklärungsarbeit in Frauenkreisen, besonders in interkonfessionellen Frauenverbänden“ (ebd.). Letztere Aufgabe ging mit der Ausgrenzung von Jüdinnen und Juden aus dem gesellschaftlichen Leben nach 1933 stark zurück, die innerjüdische Orientierung nahm zu. Die soziale Arbeit kam als Tätigkeitsfeld verstärkt hinzu, wie Fried betonte (265).

Mit dieser Untersuchung liegt eine klar strukturierte Abhandlung vor. Biografische Übersichten und Publikationsprofile ergänzen die Analyse der CV-Presse sinnvoll. In den Fußnoten erfährt die Leserin Wissenswertes über Frauen, mit denen die CVerinnen in anderen jüdischen (Frauen-)Organisationen zusammengearbeitet haben. Mitunter bremst die Methodengenauigkeit jedoch die Neugierde beim Lesen, etwa wenn Denz über die Umfrage in der CV-Zeitung „Was haben Sie zum Thema Frau zu sagen?“ (169) schreibt, über sie habe sich eine große Debatte entspannt, die Leserin jedoch zu den Positionen der Diskutierenden (zunächst) nichts erfährt. Alles in allem ist Rebekka Denz jedoch ihrem Ziel zur (jüdischen) Geschlechtergeschichte und zur Geschichte des CV gleichermaßen beizutragen, überzeugend nachgekommen. Es ist wünschenswert, dass die hier vorgestellten Akteurinnen weitere historische Frauenfiguren zur Seite gestellt bekommen und ihre Biografien nicht in dem hier vorgestellten Ansatz verbleiben müssen.