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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Peter Fassl (Hg.)

Leitfaden zur Fotogeschichte Schwabens

(Schriftenreihe der Bezirksheimatpflege Schwaben zur Geschichte und Kultur 11), Friedberg 2020, Likias, 216 S. m. Abb., ISBN 978-3-9820130-8-4


Rezensiert von Mario Felkl
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 29.09.2022

In den 1840er Jahren brachten frühe Fotopioniere und Wanderfotografen die Lichtbildtechnik nach Augsburg und damit nach Bayerisch-Schwaben. Niedergelassene Fotografen machten das Foto ab der Mitte des 19. Jahrhunderts zwischen Iller und Lech wie auch andernorts zum Massenphänomen. Die in der Folge im Verlauf der letzten rund 170 Jahre entstandenen und überlieferten Fotografien sind heute zweifelsohne für die Architekturgeschichte, die Forschung zum Wandel von Ortsstrukturen, zur Veränderung von Tracht und Mode, ja kurzum für die Erforschung der jüngeren Geschichte Bayerisch-Schwabens eine historische Quelle ersten Ranges. Gleichzeitig fehlen insbesondere im ländlichen Raum häufig das Bewusstsein für den Wert historischer Fotografien sowie grundlegende Kenntnisse für deren langfristige Erhaltung, Zugänglichmachung und Auswertung. Diesen Überlegungen folgte auch die Themenwahl für die 26. Arbeitstagung der Historischen Vereine, Heimatvereine und Museen in Schwaben zur „Fotografiegeschichte in Schwaben“, einer Veranstaltung der Heimatpflege des Bezirks Schwaben in Kooperation mit der Schwabenakademie Irsee. Mehrere Vorträge der Tagung bildeten den Grundstock für den hier zu besprechenden Leitfaden zur Fotogeschichte Schwabens, der von Peter Fassl herausgegeben wurde und als Band 11 der Schriftenreihe der Bezirksheimatpflege Schwaben zur Geschichte und Kultur erschienen ist.

In den Worten des Herausgebers möchte der Leitfaden „einen Einblick in die Vielfalt und Breite der Fotografiegeschichte Schwabens geben. Er will zur weiteren Spurensuche und zu Entdeckungen anregen. Vor allem will er aber zum sorgsamen Umgang mit dem Bildgedächtnis Schwabens anleiten, das ja auch zahlreiche verlorene Denkmale, einmalige historische Situationen und zeitgenössische Situationsaufnahmen umfasst und damit eine einzigartige historische Quelle bildet.“ (10) Dieser Zielsetzung folgend vereint der 216 Seiten starke Band Beiträge von insgesamt 23 Autorinnen und Autoren, die ihr Fachwissen aus den Bereichen Geschichte, Kunstgeschichte und Volkskunde, den Archivwissenschaften, Rechtswissenschaften und der Papierrestaurierung, insbesondere aber auch aus ihrem praktischen Umgang mit fotografischem Material im Arbeitsalltag zur Verfügung stellen. Beiträgen zur Fotogeschichte Bayerisch-Schwabens im engeren Sinne folgen deshalb grundlegende Aufsätze zur Inventarisierung, zur Bestandserhaltung und zu rechtlichen Fragestellungen bei der Veröffentlichung von Bildmaterial. Anschließend werden ausgewählte Fotosammlungen staatlicher, kommunaler und privater Träger vorgestellt. Zentrale Literatur zur allgemeinen und im Speziellen zur bayerisch-schwäbischen Fotogeschichte wird zum Schluss bibliografisch zusammengefasst.

Nach einem einleitenden Abriss zur frühen gesamtbayerischen Fotogeschichte von Elisabeth Angermair bietet Gregor Nagler mit seiner „kleine[n] Fotogeschichte Bayerisch-Schwabens“ einen konzisen Überblick technischer Entwicklungen sowie zentraler Persönlichkeiten und Ateliers. Er beschreibt gleichzeitig den mit technischem Fortschritt und gesellschaftlichen Veränderungen einhergehenden Wandel in Motivation und Motivwahl von Fotografen und Auftraggebern, welcher das ehemals als Einzelkunstwerk aufwändig inszenierte Foto im heutigen digitalen Zeitalter zum „höchst kurzlebigen Phänomen [macht] – eben noch geknipst, schon gepostet und nach den nächsten 300 Schnappschüssen wieder vergessen“ (42). Anschließend skizziert Franz Häußler am Beispiel des Amateurfotografen Johann Holzmann (1873–1934) nicht nur inhaltliche und technische Aspekte eines kleinen fotografischen Nachlasses, sondern verdeutlicht auch die Schwierigkeit der (in diesem Fall musterhaft gelungenen) Sicherung und Aufarbeitung kleinerer Privatsammlungen. Franz Häußlers zweiter Beitrag, der sich mit den Anfängen des Lichtbilds in Augsburg beschäftigt, lenkt den Blick zurück auf die Entwicklung professioneller Fotografie im städtischen Raum von der Erprobung der ersten Daguerreotypien um 1840 bis hin zur Jahrhundertwende. Philipp Lintner widmet sich insbesondere mit Blick auf Bayern und den Regierungsbezirk Schwaben dem Genre der Luftbildfotografie. Wiederum Häußler skizziert dazu beispielhaft Leben und Werk des schwäbischen „Foto-Fliegers“ Hans Henle.

Auf Grundlage eines vom Bezirk Schwaben 2015 an alle Gemeinden verschickten, jedoch nur zum Teil und mit „sehr heterogenen“ (90) Angaben beantworteten Fragebogens zu öffentlichen und privaten Fotosammlungen bietet Gregor Nagler eine übersichtliche aber aus geschilderten Umständen lückenhafte tabellarische Übersicht schwäbischer Fotobestände. Beiträge zur Inventarisierung (Christine Böhm), zur digitalen Erfassung und Archivierung von Bilddaten (Bernd Wißner) und zur Bestandserhaltung (Florine Licitar-Mertz) vermitteln insbesondere Betreuerinnen und Betreuern kleinerer Archive, Museen und Vereine praktische Grundlagen zur Erfassung und Sicherung ihrer Sammlungen. Sascha Vugrin und Bernd Wißner erläutern konzentriert rechtliche Problemfelder bei der Veröffentlichung von historischem Bildmaterial, die sich insbesondere aus dem Urheberrecht und dem Recht am eigenen Bild ergeben. Am Beispiel ausgewählter Archive, Museen, Vereine, Bildungs- und Forschungseinrichtungen sowie Privatinitiativen werden schließlich Sammlungszuschnitt und Erschließungsstand von insgesamt 14 schwäbischen Fotosammlungen erläutert.

Der großformatige und durchgängig hochwertig bebilderte Band überzeugt durch sein breites, interdisziplinäres Themenspektrum, das seinen räumlichen Zuschnitt auf den heutigen Regierungsbezirk Schwaben und dessen kulturgeschichtliche Besonderheiten mit ausgewogenen Beispielen aus Stadt und Land, aus Porträt-, Ereignis-, Orts- und Landschaftsfotografie stets im Blick behält. Durch seine ansprechende und praxisorientierte Gestaltung bündelt der Leitfaden nicht nur grundlegendes Wissen, sondern wird auch der Zielsetzung gerecht, die künftige Sicherung, Erschließung und Erforschung noch unbekannter Sammlungsbestände anzuregen.

Gerade durch die Digitalisierung ist die Sammlungslandschaft kontinuierlichem Wandel unterworfen. So werden Teile der Fotosammlung des Stadtarchivs Augsburg im Verlauf des Jahres 2022 mit zehntausenden Digitalisaten online verfügbar sein. Die vielfach zitierte Privatsammlung von Franz Häußler wird zukünftig in den Sammlungen öffentlicher Einrichtungen aufgehen. Und nicht zuletzt wird der vorliegende Leitfaden sicherlich dazu beitragen, dass kleinere Sammlungen besser erschlossen und damit überhaupt erst für die Forschung zugänglich gemacht werden. Vor diesem Hintergrund erscheint eine Aktualisierung und Fortschreibung der mit dem Leitfaden begonnenen analogen Übersicht schwäbischer Fotosammlungen in digitaler Form wünschenswert.