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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Aktuelle Rezensionen


Rüdiger Robert

Mehr als ein Versprechen. Vom Heimathaus Münsterland zum Museum Relígio

(Schriftenreihe des Museums Relígio 6), Münster 2021, Waxmann, 247 S. m. Abb., ISBN 978-3-8309-4384-6


Rezensiert von Thomas Naumann
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 29.09.2022

Erneut legt Rüdiger Robert eine Publikation zur Geschichte des Telgter Museums vor, ursprünglich „Heimathaus Münsterland“, jetzt „Museum Relígio – Westfälisches Museum für religiöse Kultur“. 2019 erschien sein Band „Unterm Hakenkreuz. Entstehung und Anfänge des Heimathauses Münsterland im katholischen Telgte“, das im Bayerischen Jahrbuch für Volkskunde 2020  (245 ff.) besprochen wurde. In der nun vorliegenden Publikation geht Robert zunächst wiederum auf die Gründungsgeschichte und die Zeit des Nationalsozialismus ein, was ein Drittel des Werkes in Anspruch nimmt, und wiederholt damit, mit manchen Varianten, im Wesentlichen die bereits 2019 erschienenen Ausführungen. Daher wird dieser Teil des Buches hier nicht erneut besprochen, sondern die Abschnitte, die sich mit der Zeit nach 1945 und dann bis zum Jahre 2021 befassen. Im Vorwort beschreibt Museumsleiterin Anja Schöne das gegenwärtige Konzept des Museums „als einen gewichtigen Schritt auf dem Weg zu einem kulturgeschichtlichen Religionsmuseum“ (6). Die Zeit nach 1945 beginnt mit einem Kapitel, in dem der Autor eine Restaurierung des katholischen Milieus Telgtes konstatiert, ein Besinnen auf die althergebrachten religiösen Werte, die in der Zeit des Nationalsozialismus zum Teil auf dem Rückzug befindlich beziehungsweise überdeckt worden waren. Es folgt die Schilderung der ziemlich komplizierten Wiedereröffnung des Museums im Jahr 1947, nachdem die Eigentumsverhältnisse und die Trägerschaft geklärt waren. Eigentümer des Museumsgebäudes ist nun die katholische Kirchengemeinde, Träger der Landkreis Münster, Museumsleiter wurde erneut Paul Engelmeier, der Gründer des Museums, der in der Zeit des Nationalsozialismus doch ziemlich den Machthabern erlegen war. Die Inhalte sind die gleichen wie zur Gründungszeit 1934: Es ist wieder ein Wallfahrts- und Heimatmuseum und als „Markenkern“ wird definiert „die Förderung der Haus-, Familien- und Wohnkultur auf christlicher ‚bodenständiger Grundlage‘“ (100). Dem Kuratorium gehören unter anderem zwei Vertreter der katholischen Kirche an – damit wurde „die Schwächung des Einflusses der katholischen Kirche […] während der Zeit des Nationalsozialismus […] zurückgenommen, zugleich die Pflege des kulturellen Erbes Telgtes als Wallfahrtsort und Ort der Marienverehrung betont“ (101 f.). Im Kapitel „Konsolidierung der Arbeit des Heimathauses“ beschreibt Robert die zunächst schwierige finanzielle Situation bis zu einer Verbesserung, die insbesondere durch ein finanzielles Engagement des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe erreicht wurde. Die ausgesprochen zahlreichen Wechselausstellungen zum Thema Religion, Wohnen, Handwerk aller Art (z. B. „Neues Wohnen im christlichen Heim“, 114), Korbmacherei, Goldschmiedewerkstatt, Tapete oder immer wieder Krippenausstellungen in der Folgezeit (ausführliche Tabellen werden u.a. auf der Seite 119 f. und spezifisch zur Religion auf Seite 126 f. geboten) sind Kern der – erfolgreichen – Öffentlichkeitsarbeit. Dabei geht es, so Robert, dem Museumsleiter Engelmeier um „Volksbildung und Volkserziehung“ (111). Er knüpft hierbei unverblümt an die Zeit seiner Museumsleitung vor und während des Nationalsozialismus an, verharrt „in alten Denkschemen und Wertorientierungen“ (112). In diesem Zusammenhang ist ein Zitat Engelmeiers aufschlussreich: Es wurde „von neuem der Kampf gegen die Unkultur unserer Tage, gegen die drohende Vermassung und den sich weiter breit brüstenden Kitsch aufgenommen“ (112). Auch ein Oberkreisdirektor als ein Vertreter der Trägerschaft äußert sich in diesem Sinne, und er meint zusätzlich, das „eigentümlich Münsterländische“ sei die bäuerliche Handwerks- und Wohnkultur. Ein typisches Beispiel eines fehlgeleiteten Regionalpatriotismus, der Ubiquitäres als regionalgebunden beansprucht. Die besondere Beziehung zum Erzbistum Münster wird im Jahr 1957 dokumentiert durch die Eröffnung einer Kardinal-von-Galen-Gedächtnishalle mit zahlreichen persönlichen und kirchlichen Utensilien des Kardinals Clemens August von Galen, der eine persönliche Beziehung zu Telgte als Marienwallfahrtsort pflegte. Die Restaurierung des stark beschädigten Telgter Hungertuches von 1623 – im Eigentum des Museums für Deutsche Volkskunde in Berlin, aber im Besitz des Heimathauses – und das Gezerre um den Rückkauf dieses für Telgte zentralen religiösen Objekts werden ausführlich dargestellt. Es konnte erst 1959 wieder generalsaniert präsentiert werden. 1969 übergab die Stiftung Preußischer Kulturbesitz das Hungertuch gegen eine Summe von 80.000 DM an das Heimathaus, bestritten durch finanzielle Beteiligung aller politischen und kirchlichen Ebenen.

Ein weiteres Kapitel widmet sich der Gründung eines „Freundeskreises“ im Jahr 1969, der in den Folgejahren, auch durch Integration gesellschaftlich relevanter Institutionen, Wesentliches zur finanziellen Verbesserung des Museums und zur Öffentlichkeitsarbeit beitragen konnte. Zum Ende der Amtszeit des damals 83-jährigen Paul Engelmeier 1971, also dem Ende einer Ära, zieht der Autor eine Zwischenbilanz für das Museum. Er stellt nochmals dessen Verdienste heraus, zieht aber auch ein nachdenkliches Fazit: Die Zeit des Nationalsozialismus wurde nicht thematisiert, sie erschien „eher als ein Betriebsunfall der Geschichte“ (157). „Der Neubeginn wurde […] nicht als Bruch verstanden, der das eigene Selbstverständnis betroffen hätte“ (94), und eine „Auseinandersetzung mit den Wegen und Irrwegen der Heimatbewegung, in der das Heimathaus doch eine seiner Wurzeln hatte, fand nicht statt“ (94). Engelmeiers Arbeit nach 1945, so der Autor, war eher ein „Versuch zur Synthese von Altem und Neuen [...], wobei das Neue im Wesentlichen dazu dienen sollte, das Alte in eine neue Zeit hinüberzuretten“ (158). Sein Verständnis von „Kitsch und Schund“, den er bekämpfte, blieb unbestimmt. Auf jeden Fall aber, so die Feststellung des Autors, war das Museum „ein Bollwerk zum Schutz des religiös-katholischen Erbes des Münsterlandes [… und mit] der Beschäftigung mit der ‚bodenständigen‘ Handwerks- und Wohnkultur [wurde] eine Plattform geboten, die weit über Telgte und das Münsterland Anerkennung gefunden hat“ (159). Anerkennung allerdings, so mag man hinzufügen, in einer durch gesellschaftliche Restauration geprägten Zeit. Und so war es nicht einfach, nach Engelmeiers Zeit zu dringend notwendigen neuen Ufern aufzubrechen. Auch noch in den 1970er und 1980er Jahren verharrte das Museum in seiner althergebrachten Konzeption, trotz der sich verändernden gesellschaftlichen Verhältnisse zu mehr Individualismus, die in der Folge „das katholische Milieu in seiner Bedeutung zurück“ (160) drängte. Noch für die 1980er Jahre konstatiert der Autor: „Es scheint […] so, als habe das Museum die Erosion des katholischen Milieus nicht wahrgenommen bzw. wahrnehmen wollen“ (191) und dokumentiert dies durch zahlreiche Ausstellungen religiösen Charakters von 1971 bis 1985 (191 f.), wobei allerdings sehr populäre Krippen- und Weihnachtsausstellungen dominierten und besonders hierdurch die Besucherzahlen stabil gehalten werden konnten. Ehrenamtlichkeit wurde bis dahin hochgehalten – bei vielen Museen ähnlicher oder kleinerer Größenordnung wurde dies lange Zeit geradezu als Eigenwert betrachtet – doch stellte sich angesichts Konkurrenzdrucks und des entschiedenen regionalen Anspruchs die Frage nach mehr Professionalität und damit nach einer hauptamtlichen Museumsleitung. In der Folge beschreibt Robert die Arbeit einiger kurzzeitiger Museumsleiter. Die Kreisreform der frühen 1970er Jahre erforderte eine neue Trägerschaft. Sie mündete in die Gründung einer GmbH im Jahr 1974 und ermöglichte, die erforderliche Finanzierung weg vom Altkreis Münster auf mehrere Schultern, den neuen Kreis Warendorf, das Bistum, die Handwerkskammer und die Stadt Münster sowie die Stadt Telgte, zu verteilen. Im Argen lag über Jahrzehnte die Inventarisierung, Restaurierung und Konservierung der im Laufe der Zeit zusammen gekommenen Exponate, dazu eine mangelhafte Depotsituation, da stets Mittel für die Instandhaltung des Gebäudes gebunden waren und im Mittelpunkt des Interesses das Präsentieren der Museumsobjekte stand. Dazu kamen die enormen Kosten für eine erneute Restaurierung und nun auch Verglasung des Hungertuches, fertiggestellt 1980. Erst in den 1980er Jahren trat eine Verbesserung für das Sammelgut durch Erstellung eines Erweiterungsbaus ein. Ansehen in der Bevölkerung erhielt sich das Museum durch die immerwährende Abfolge von Wechselausstellungen zur Religions- und Handwerksgeschichte sowie Wohnkultur; zwischen 1971 und 1985 zählt der Autor deren 33 auf; 23 davon fielen auf die religiöse Thematik. Den Ausbau des angesichts seines Anspruchs und seiner Sammlungen zu klein gewordenen Heimathauses, der mit dem 1,4 Millionen teuren „Bernd-Kösters-Erweiterungsbau“ im Jahr 1983 erreicht wurde, und die verschiedenen Etappen dazu schildert der Autor in einem eigenen Kapitel. Mit dem Anbau war ein entscheidender Schritt für die weitere Entwicklung des Museums getan, ermöglicht durch die Gesellschafter, den Landschaftsverband und eine beträchtliche Darlehensaufnahme. In einer erneuten Zwischenbilanz der Jahre bis 1985 stellt Robert fest, dass das Museum zwar erheblich professioneller in Wissenschaftlichkeit und Pflege des Sammlungsguts geworden sei, jedoch weiter auf dem seit den 1930er Jahren Bewährten sitzenblieb – zu charakterisieren als „einseitig katholisch-konservativ-provinziell“ (211) –, alle gesellschaftlichen Veränderungen, beispielsweise das Schwinden des katholischen Milieus Telgtes und des gesamten Münsterlandes, beharrlich weiter ignorierte und damit auf mittlere Sicht gesehen den Anschluss an gewandelte Bedürfnisse der Gesellschaft zu verlieren drohte.

Aber es sollte sich ändern; und zwar entscheidend. Dies schildert Robert differenziert im abschließenden Kapitel „Aufbruch in die Zukunft“, der sich schwierig gestaltete und von kontroversen Meinungen begleitet war. Zunächst erfolgten auch unter dem seit 1985 im Amt befindlichen hauptamtlichen Museumsleiter, dem Volkskundler Thomas Ostendorf, in der Ausstellungstätigkeit keine Änderungen. Die Zukunft sah er zunächst darin, das Heimathaus zu „einer noch stärkeren Profilierung als Krippenmuseum“ (214) zu führen, eingedenk der Tatsache, dass damals offensichtlich ca. 80 % der Besucher*innen das Museum aufsuchten, um Krippenausstellungen zu sehen, eine allgemeine Tendenz jener Jahre. Ein Risiko dieser thematischen Engführung wurde dabei nicht gesehen. Dass Ostendorf 1992 Präsident des Weltkrippenverbands wurde, diente auch dazu, das Museum in Telgte „an die Spitze der Krippenbewegung zu setzen“ (216). Wie sehr man sich zum Zentrum des Krippenwesens, des Krippenerschaffens und der internationalen Krippenforschung machen wollte, zeigt, dass zur Präsentation der Krippen ein gewaltiger, eigenständiger, moderner Bau zum Preis von 6,5 Millionen DM verwirklicht wurde, der im Jahr 1994 nach kurzer Bauzeit die Eröffnung erlebte. Die Kosten hatten die Nordrhein-Westfalen-Stiftung und der Landschaftsverband übernommen. Schon bald erwies sich jedoch, dass die Erwartungen an die Besucherzahlen nicht erfüllt wurden – offensichtlich war der Höhepunkt des Interesses an Krippen überschritten – und man sich also zu einseitig orientiert und abhängig von einem einzigen Thema gemacht hatte. Hinzu kam, dass die Ausstellungsräume offensichtlich eine sehr mangelhafte Aufenthaltsqualität besaßen. Erst jetzt begriff man, dass die Konzentration auf Krippen nicht in die Zukunft führen konnte. Das Westfälische Museumsamt wurde hinzugezogen; dieses empfahl neben vielen strukturellen Änderungen „eine Ausweitung in den Bereich der allgemeinen Kulturgeschichte“ (224) und die Gründung eines Wissenschaftlichen Beirats. Dieser konstituierte sich im Jahr 2000 unter dem Vorsitz des Münsteraner emeritierten Professors für Volkskunde und Europäische Ethnologie, Hinrich Siuts. Im Beirat fanden sich Traditionalisten und Neuorientierte zusammen, was zu unversöhnlichen Standpunkten führte: Die Traditionalisten beharrten darauf, dass das Museum wie bisher seinen christlich-katholischen Charakter in seiner Verbundenheit mit dem Bistum Münster behalten sollte, die Neuerer wollten es öffnen in Richtung aller Weltreligionen und sich, die Tatsache des gesellschaftlichen Wandels berücksichtigend, sowohl an religiös als auch an nicht religiös orientierte Menschen wenden. Es kam ein merkwürdiger Beschluss zustande, der „im Wesentlichen eine Bestätigung des Status quo“ (228) darstellte und „für die Entwicklung des Museums […] nicht wegweisend“ (228) wurde. Zum Glück, mag man hier anmerken. Hier zeigt sich, dass Museumsbeiräte nicht immer zum Nutzen eines Museums wirken. Dennoch verstand es die Museumsleitung unter Thomas Ostendorf und der hinzugekommenen (heutigen Museumsleiterin) Anja Schöne, trotz des „Kompromisses“ des Beirats, im Sinne einer „Öffnung in Richtung auf den religiösen Gestaltwandel der Gesellschaft“ (229) zu agieren. Das Konzept sah jetzt für das Heimatmuseum den Charakter eines kulturgeschichtlichen Regionalmuseums vor und dabei eine „volkskundliche Spezialisierung auf das Gebiet der religiösen Kultur“ – also nicht nur der christlich-katholischen – als alleinige inhaltliche Aufgabe (229), weiter das Hinwirken auf einen interreligiösen Dialog, auf eine Öffnung zu den Religionen der Welt. Veranschaulicht werden sollte, „dass Frömmigkeit als kulturelles Grundmuster auch in säkularen Kontexten ihre Berechtigung und Bedeutung hat“ (229). Dies bedeutete jedoch nicht, dass nicht an den Traditionsthemen Wallfahrt, Kardinal von Galen und Wandel des Weihnachtsbrauchs weiterhin festgehalten wurde. Das handwerkliche Kulturschaffen verlor seinen Sonderstatus und das Museum wurde folgerichtig umbenannt in „RELÍGIO – Westfälisches Museum für religiöse Kultur“. Die Neubestimmung des Museums wurde im Jahr 2008 auch von den Verwaltungsebenen und der Politik anerkannt und beschlossen. Was wieder einmal zeigt, dass eine entschlossene und fachlich fundierte Museumsleitung die Vorgaben entwickeln muss, die dann auch Anerkennung finden. In den Jahren 2011/12 erfolgte ein Umbau des Museums, in dessen Folge auch die Ausstellungen völlig neu konzipiert wurden und modernste Vermittlungsmethoden, wie etwa interaktive Medien, zum Einsatz kommen. Ambitionierte Ausstellungsthemen (z. B. „Gott³ – Juden, Christen und Muslime in ihrer Begegnung von Luther bis heute“, 2017) wurden und werden jetzt möglich. Sie haben zum Ziel, Toleranz und Respekt zwischen den Religionen zu ermöglichen, Stereotypen und Vorurteile abzubauen, den Dialog anzuregen, der auch tatsächlich im Museum gepflegt wird. Das einzige Museum in Deutschland, so der Autor, „das sich ausschließlich dem religiösen Aspekt des menschlichen Daseins widmet“ (238), ist in eine neue Zeit hineingewachsen, und das neue Konzept „kann als Erfolgsgeschichte gewertet“(240) werden. Dem ist vorbehaltlos zuzustimmen. Rüdiger Robert, der auch Vorsitzender des Trägervereins geworden ist, hat eine eindrucksvolle und bestens lesbare Monografie über die Geschichte dieses Telgter Museums vorgelegt, und es ist unschwer zu erahnen, dass er auch einiges dazu beigetragen hat, dass es auf diese gesellschaftlich wertvolle Weise in der Gegenwart angekommen ist.