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Claudia Parhammer

Schönheit, Kraft und Jugend. Bilder des Männlichen im Kontext der Lebensreformbewegungen (1890–1930)

Baden-Baden 2022, Tectum, 286 S., ISBN 978-3-8288-4720-0


Rezensiert von Bernd Wedemeyer-Kolwe
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 15.09.2022

In ihrer an der Universität Tübingen im Fach Kunstgeschichte eingereichten Dissertation untersucht Claudia Parhammer Darstellungen des Männlichen in der Kunst vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis in die 1930er Jahre, und zwar sowohl in Malerei und Bildhauerei als auch in der Fotografie. Im Mittelpunkt der Studie steht die künstlerische Umsetzung von zeitgenössischen Natürlichkeitsdiskursen, wie sie zum Beispiel in der Lebensreformbewegung der vorletzten Jahrhundertwende diskutiert wurden, im Motiv des männlichen Aktes. Als zentrale Zuordnungselemente des künstlerischen Natürlichkeitsdiskurses und der daraus resultierenden Kunst macht die Autorin die ihrer Meinung nach lebensreformerischen Grundkategorien „Schönheit“, „Kraft“ und „Jugend“ aus, denen sie je ein Hauptkapitel des Buches widmet. Diese drei Kategorien ordnet Parhammer jeweils einer Auswahl von Männerakten (Malerei, Skulptur, Fotografie) zu, die sie beschreibt und in den kunsthistorischen Kontext einbettet. Für die Fotografie wählt sie Arbeiten von Wilhelm von Gloeden, Gerhard Riebicke, Rudolf Koppitz und Hanni Schwarz aus, die unter anderem in den lebensreformerischen Zeitschriften „Die Schönheit“ (vor 1914) und „Figaro“ (1930er Jahre) veröffentlicht wurden, sowie Aufnahmen von Julius Groß, einem zentralen jugendbewegten Fotografen. Für Malerei und Bildhauerei stehen Beispiele von Sascha Schneider, Fidus, Karl Wilhelm Diefenbach, Franz Stassen oder Ludwig Fahrenkrog – mithin Künstlern, die sich selbst im Umfeld der Lebensreform aufgehalten haben oder sogar praktizierende Lebensreformer gewesen sind – , aber auch von Vertretern des Jugendstils und Symbolismus wie Max Klinger, Koloman Moser oder Ludwig von Hofmann, die kaum mit Lebensreform assoziiert werden können. Dazu werden diverse Vergleichsarbeiten von so verschiedenen Künstlern wie Karl Hofer, Arno Breker, Christian Landenberger oder Anton Hanak herangezogen, die zum Teil gänzlich anderen Richtungen angehörten. Die von der Autorin getroffene Auswahl der überwiegend männlichen Künstler wird einleitend nicht hergeleitet und nicht begründet. Abgesehen von den wenigen, tatsächlich in der Bewegung verankerten und dort rezipierten Künstlern, die aufgeführt werden, ist der jeweilige (biografische) Bezug zur Lebensreform unklar. Handelt es sich um lebensreformerisch lebende Künstler, von der Lebensreform rezipierte Künstler oder lebensreformerische Motive aufgreifende Künstler? Warum wurden mit „Die Schönheit“ und dem „Figaro“ nur zwei lebensreformerische Zeitschriften – und dort auch nur wenige Jahrgänge – analysiert und nicht alle Jahrgänge oder mehr Zeitschriften flächendeckend durchgesehen, um die Rezeption lebensreformerischer Kunstmotive beziehungsweise von Künstlern in der Lebensreform zu analysieren?

Genau diese Unschärfe ist das Problem des Buches. Sie beginnt bereits bei der Definition von Lebensreform. Die Autorin orientiert sich dabei (5) an dem Standardwerk von Wolfgang R. Krabbe (1974), der in seinem Buch „Gesellschaftsveränderung durch Lebensreform. Strukturmerkmale einer sozialreformerischen Bewegung im Deutschland der Industrialisierungsperiode“ den „Vegetarismus“ beziehungsweise „Ernährung“ und „Nacktkultur“ als zentrale Kategorien der Lebensreform definiert. Parhammer weitet diese Definition zusätzlich auf den Körper aus (obwohl Krabbe sich mit „Nacktkultur“ ja explizit auf den Körper bezieht), weist aber gleichzeitig jüngere, sich an Krabbe orientierende Definitionen als zu eng zurück (11 f.). Zudem wird im Folgenden „lebensreformerische“ Kunst nur noch auf Nacktkultur (mit Sportmotiven) bezogen, ohne auf Vegetarismus und Naturheilkunde zurückzukommen. Welche Definition gilt denn nun? Zweitens ist – abweichend von der Forschung und ohne jede überzeugende Begründung – unablässig von „Lebensreformbewegungen“ die Rede. Diesen unüblichen Plural wendet Parhammer auch auf die „Jugendbewegung“ an, die nicht zur genuinen Lebensreform gehörte, aber bei der Autorin ebenfalls als zentrale Analysekategorie Anwendung findet. Meint die Autorin mit dem Plural etwas anderes oder dasselbe? Drittens befasst sich Parhammer anschließend zwar mit dem zentralen lebensreformerischen Motiv der „Natur“, referiert aber lediglich die genuinen Anschauungen der Bewegung und deren unreflektierte Verwendung von Begriffen wie zum Beispiel „Ganzheitlichkeit“, ohne auf die ausführlichen Debatten in der Forschung zur kulturellen Konstruktion derartiger hochsensibler Kategorien in der damaligen Gesellschaft und speziell in der Lebensreform einzugehen. Und viertens ist unklar, wie die Autorin zu ihren drei zentralen Analysebegriffen „Schönheit“, „Kraft“ und „Jugend“ als Grundkategorien der Lebensreform kommt und warum sie original lebensreformerisch sind. Andere Bewegungen der Zeit – auch der Sport – rekurrieren ja ebenfalls auf diese Kategorien. Durchmustert man dazu noch die originären Quellen zur Lebensreform und sieht die reichliche Sekundärliteratur durch, so kämen auch Begriffe wie „Echtheit“, „Reinheit“, „Innerlichkeit“ oder „Veredelung“ in Frage. Zudem verweisen die (abgedruckten) Werke von Fidus, von Gloeden oder Riebicke weniger auf Kraft als vielmehr (auch) auf Bewegungsrhythmus, Tanz, Schlankheit, Harmonie oder Androgynität, gerade in Bezug auf Männlichkeitsmuster.

Es gibt bislang – da ist der Autorin zuzustimmen – relativ wenig Forschungsliteratur zur Geschichte des männlichen Aktes. Zu diesem Forschungsfeld leistet Claudia Parhammer tatsächlich einen Beitrag. Der Bezug zur Lebensreform ist dagegen nicht überzeugend.