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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Thomas Fischbacher/Peter-Michael Hahn (Hg.)

Der erste „Baedeker“ von Berlin. Die Stadtbeschreibung von Johan Heinrich Gerken 1714−1717

(Schriften zu Residenzkultur 13), Berlin 2020, Lukas, 333 S. m. Abb., ISBN 978-3-86732-358-1


Rezensiert von Burkhart Lauterbach
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 01.09.2022

Welch ein Glücksfall: Ein einst als „Fremder“ nach Berlin gezogener Autor beschreibt diese Stadt für seine zeitgenössische Umwelt; sein Werk findet jedoch keinen Verlag. Die eigentliche Publikation des Textes erfolgt erst gut drei Jahrhunderte später, für ein Lesepublikum, dem das von Johan Heinrich Gerken beschriebene Berlin gleichfalls fremd ist. Zu verdanken ist das Editions-Projekt, das nun als fertiges Produkt vorliegt, zwei Historikern der Universität Potsdam, welche die beiden vorliegenden Handschriften aus dem Landesarchiv Berlin über alle, en détail dokumentierte, Unterschiede hinweg zusammengeführt haben, die „Beschreibung“ und das „Concept“, 189 sowie 150 vorwiegend doppelseitig beschriebene Blätter. „Gerkens Werk“, heißt es im Kommentar, „markiert den eigentlichen Beginn der Stadtbeschreibungen Berlins, die von nun an immer zahl- und umfangreicher wurden“; besondere Bedeutung erlangt das Werk dadurch, dass es, als allererstes, „ausschließlich der ganzen Stadt Berlin gewidmet ist“ (281).

Berlin − das umfasste damals jene vier Stadtteile, welche sich innerhalb der Festung befanden, die alte Stadt Berlin, Cölln an der Spree, Friedrichswerder sowie Neu-Cölln, darüber hinaus die sechs Vorstädte Dorotheen-, Friedrich-, Sophien- und Königs-Stadt sowie die Cöpenicksche und die Strahlowsche Vorstadt (37, 40). Strukturiert werden die Darstellungen entlang der vom Autor unternommenen − gewissermaßen didaktischen − Erkundungsgänge durch die einzelnen Stadtteile, dies unter besonderer Berücksichtigung der jeweiligen Architekturen und dessen, was sich dort genau abspielt. An just diesem Punkt zeigt sich die zentrale Problematik des Projekts. Anders als im Großen und Ganzen üblich, war Gerken offensichtlich eigenständig tätig, jedenfalls gibt es keinen Hinweis auf einen konkreten Auftraggeber, woraus die Herausgeber des Textes den Schluss ziehen, dass dies den Grund darstelle, warum er zwar höfische Bereiche erkunden konnte (Bibliothek, Marstall, Zeughaus), jedoch keinen Zugang zum Schloss erhielt. Es gab also „Ständische Grenzen in der Stadt“ (289 f.). Weitere Grenzen überquerte der Autor, indem er beispielsweise eine von Philipp von Zesen verfasste Amsterdam-Beschreibung aus dem Jahr 1664 rezipierte, welche seit den 1980er Jahren wiederholt als „Europas Erster Baedeker“ bezeichnet worden ist (284).

Stichwort „Baedeker“: Es gibt jede Menge an Informationsquellen, die von persönlichen Gesprächen bis hin zu Repräsentationen jeglicher Art in den unterschiedlichen Medien reichen, wobei letztere eigens für Reisende, gleich in welchem Ausmaß fremd oder nicht fremd, verfasst und auf den Markt gebracht werden, um diese, als spezielles Lesepublikum, in Hinblick auf einschlägige Aktivitäten wie etwa Besichtigungen beraten und vorbereiten und ihnen damit Möglichkeiten der Einübung in jene durchaus vielfältige Form von aneignender Praxis vermitteln zu können. Dazu gehört zweifelsohne der gedruckte Reiseführer, der, in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts von Murray in England und von Baedeker in Deutschland eingeführt, den Zweck verfolgte, ein jeweiliges Programmangebot zu konstruieren, das eine Destination routiniert erschließt und für Touristen einen praktischen sowie ideellen Attraktionswert besitzt. Er verfügt über Vorläufer und über Konkurrenzangebote und er unterliegt Wandlungen. Trotz allen kommunikationstechnischen Fortschritts gilt der gedruckte Reiseführer als relevante tourismusorientierte Sozialisationsagentur, die auch immer öfter zum multidisziplinären Forschungsgegenstand, wenn auch weniger in monografischer Form, erhoben wird. Bei genauem Hinschauen stellt sich heraus, dass sich Stadtbeschreibungen à la Johan Heinrich Gerken auf gar keinen Fall als Quasi-Baedeker-Produkte bezeichnen lassen, weil für Reisende zentrale Informationen nicht zur Verfügung gestellt werden, etwa die üblichen Überblicke über Gasthöfe, Speisehäuser, Conditoreien, Bierstuben, Droschken, Brief- und Schnellpost-Bureau, Eisenbahn, Lohnbediente, Bäder, Flussbäder, Kaufläden, Theater und dergleichen mehr, um aus der dritten Auflage (1846) des „Handbuch[s] für Reisende in Deutschland und dem Oesterreichischen Kaiserstaate“ zu zitieren (464−467). Die im konkreten Fall erfolgte Bezugnahme auf die Marke „Baedeker“ im Titel der Edition des Gerkenschen Werkes geschieht somit in a-historischer Manier und sollte daher unterlassen werden, um die Leistung dieser Editionstätigkeit nicht zu schmälern!