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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Aktuelle Rezensionen


Ulrich Hägele/Judith Schühle (Hg.)

SnAppShots − Smartphones als Kamera

(Visuelle Kultur 14), Münster 2021, Waxmann, 239 S. m. Abb., ISBN 978-3-8309-4329-7


Rezensiert von Torsten Näser
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 29.09.2022

Die Reihe „Visuelle Kultur. Studien und Materialien“, die in den letzten Jahren schwerpunktmäßig die Beiträge veröffentlicht hat, die als Vorträge auf den Tagungen der Kommission „Fotografie“ der Deutschen Gesellschaft für Empirische Kulturwissenschaft (DGEKW) gehalten wurden, hat sich längst zu einer Säule in der kulturwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Fotografie entwickelt. Seit ihrem Entstehen 2004 hat die Reihe immer wieder relevante Themen zur Fotografie bespielt, etwa Fragen der Digitalität (2009), der Archivierung (2013) oder der musealen Präsentation (2019). Der Band, der Gegenstand dieser Rezension ist, greift die Kamera „Smartphone“ auf und diskutiert die mit diesem technischen Artefakt einhergehenden Spezifika und die mit ihnen in Wechselwirkung stehenden fotografischen Praktiken.

In der Einleitung gehen Ulrich Hägele und Judith Schüle, die als Sprecher*innen der DGEKW-Kommission für Fotografie die dem Band zugrundeliegende Tagung initiiert haben, zunächst auf das Objekt Smartphone ein und skizzieren entlang der Kategorien Universalität, Massencharakter, Alleinstellung, Materialität und Entmaterialisierung sowie Gedächtnisverlust, wie es die Fotografie ihrer Ansicht nach verändert hat. Auffällig dabei ist der medienkritische Unterton, der sich durch die Reproduktion einige der gängigen Fotografie-theoretischen Diskurstraditionen manifestiert, etwa die Deklaration von Smartphones als „Zeitfresser“ (14) oder als Katalysator einer digitalen „Bilderflut“ (15). Auch die Befürchtung, die digitale Fotografie, die aktuell vor allem im Smartphone ihre Versinnbildlichung erfahre, könne zu einem „Verlust an historischem, biografischem und kulturellem Wissen“ (15) führen, da sie anders als analoge Fotoprints Gefahr laufe, zukünftig nicht mehr abrufbar zu sein, ist Ausdruck dieser skeptischen Grundhaltung. Ein etwas ausgewogenerer Blick auf das Smartphone, wie ihn etwa Thomas Hengartner in seiner essayistischen, gleichwohl konzisen Darlegung „Die Ich-Konsole“ in dem von Ute Holfelder und Klaus Schönberger 2017 herausgegebenen Sammelband „Bewegtbilder und Alltagskultur(en)“ entworfen hat und in der er auch auf die Potentiale des Smartphones, beispielsweise Menschen zu ermächtigen, über ihre eigene Bildlichkeit zu verfügen, eingeht, hätte der Einleitung des Bandes, die ansonsten durchaus als systematischer Abriss einer spezifischen Medialität verstanden werden kann, gut zu Gesicht gestanden.

Die Beiträge des Bandes selbst wiederum schlagen eine weniger von Skepsis geprägte Tonalität an und vermessen das Forschungsfeld in der dem Fach (und den ihm verwandten Disziplinen wie etwa Ethnologie, Medienwissenschaft oder Geschichte) eigenen Perspektivierung, oft einer praxeologischen Kulturanalyse, die auf Praktiken, Diskurse, Artefakte, Subjektivierungen und die daraus resultierenden Wissensordnungen zielt. Dabei lässt sich der Band grob in folgende Teilbereiche gliedern: Ein erster Block thematisiert das Smartphone-Motiv schlechthin, das Selfie, und diskutiert beispielsweise dessen Potential für die Nutzer*innen, Identitäten erproben zu können. Das zweite Aufsatzkonvolut widmet sich der Frage, wie Smartphone-Nutzung von Museumsbesucher*innen neue körperliche und ästhetische Aneignungspraktiken von Kunst anregen kann. Wie sich die traditionelle Medienlandschaft durch die Technologie des Smartphones verändert, darum geht es im dritten Block. Der Konnex von Smartphone und Social Media unter besonderer Berücksichtigung Algorithmus bedingter Diskriminierung sowie einer als typisch für die App Instagram herausgestellten Ästhetik des Banalen wird im vierten Abschnitt des Bandes behandelt. Inhaltliche Einheiten zur methodischen Nutzbarmachung des Smartphones im Rahmen einer Feldforschung, Fragen der Archivierung von digitalen Bildern sowie der Einsatz von Smartphones in pädagogischen Kontexten runden das erfreulich breite Spektrum des Bandes ab. Um die Publikation in ihren inhaltlichen sowie heuristischen Zugängen zu vermessen, möchte ich drei Beiträge genauer vorstellen, weil sie wechselweise aufgrund ihrer praxeologischen Perspektive, durch ihre medien-technologische sowie ihre historisch hergeleitete Argumentation drei Zugänge repräsentieren, die als beispielhaft für den Gesamtband angesehen werden können.

In ihrem Beitrag „Selfies mit Mona und Lisa“ geht die Kulturwissenschaftlerin Lea Hilsemer der Frage nach, wie und aus welchen Gründen Menschen in Kunstaustellungen fotografieren und in welche weiteren sozial-medial und/oder interpersonell kommunikativen Situationen diese Bilder Verwendung finden. Zum Ausgangspunkt ihrer Überlegungen macht die Autorin dabei die weit um sich greifenden Ressentiments gegenüber fotografierenden Kunstausstellungsbesucher*innen. Indem sie, wenn auch nur in kursorischer Art und Weise, diesen populären und zudem oft kritischen Diskurs skizziert, wirft sie ein Schlaglicht auf die (in der Sache nicht neuen) Vorbehalte spezifischen Medien beziehungsweise ‑technologien und ihren Praktiken gegenüber. Für ihre wenn auch nur knappen, aber erkenntnisreichen Einsichten in die Beweggründe für diese fotografische Praxis – etwa der Wunsch nach Entlastung angesichts der oft überbordenden Fülle an Ausstellungsobjekten – bilden die genannten Vorüberlegungen eine wichtige Folie. Denn gerade in diesem Kontrast kann eine kulturwissenschaftliche Medienforschung, die über vorschnelle normative Vorstellungen hinaus Mediennutzung in ihrer sozial-spezifischen Eigenlogik untersucht, eine besondere Kontur erhalten.

Die Medienwissenschaftlerin Olga Moskatova setzt sich in ihrem Aufsatz „Ästhetik des Vertikalen“ mit Rekurs auf die Formattheorie mit den Einflüssen auseinander, die das Smartphone als kombiniertes Videoaufnahme und ‑abspiel-Artefakt auf Videos hat. Dem Formatbegriff räumt sie dabei gegenüber dem Terminus Medium den Vorzug ein, weil letzterer stark ahistorisch und essentialistisch konzipiert sei (129), wohingegen ersterer helfe, genaue Differenzierungen vorzunehmen. Wie genau Formate medial, wechselweise nach innen wie nach außen (etwa in Richtung der Umgebungen, in denen sie präsentiert werden sollen) wirken, zeigt Moskatova erkenntnisreich auf. Dabei bestimmt sie die gerade im Bereich von Social Media vorherrschenden vertikalen Videos als eine formatspezifische Zurichtung, die erst die Mobilität der Bilder ermöglicht. Besonders lesenswert sind zudem die medien- bzw. formathistorischen Ausführungen, wie das vertikale Video ästhetisch verhandelt wurde und welche Rolle hierbei naturalisierende ästhetische Werturteile spielten und spielen. Die Autorin skizziert das Smartphone dabei als rotationsfähiges Artefakt, das seine multifunktionale Kamera nutzt, um durch das vertikale Format Bewegtbild und fotografisches Bild miteinander zu vereinen, eine Bewegung die, so Moskatova, als Transformation der Bewegtbildkultur nicht etwa durch die Kunst oder Industrie, sondern durch die Nutzer*innen selbst vorangetrieben wurde.

In „Visuelle Tagebücher des Banalen“ fokussiert die Kunsthistorikerin Hanna Vogel eine durch Smartphones und Instagram affordierte, ihrer Ansicht nach relativ neue, flüchtige Fotopraxis, die vor allem auf das Banale anstelle des Besonderen gerichtet ist. Als einen Pionier dieses fotografischen Modus bezeichnet die Autorin den US-amerikanischen Fotografen Stephen Shore, der mit seiner Serie „American Surfaces“ die Schnappschuss-Ästhetik in den 1970er Jahren stark beeinflusst und den „profanen Gestus des Schnappschusses in künstlerische Sphären“ (148) gehoben hat. Vogels Beitrag nimmt Shores Instagram Account in den Blick, auf dem er unter Anteilnahme von mehr als 200 000 Follower*innen aktuelle Fotos in der Tradition seiner historischen Serie postet. Das Spiel mit Konventionen, die Fotografie als Teil einer Serie, die spezifischen ästhetischen Charaktereigenschaften: Das sind die Linien, entlang derer die Autorin ausgehend von Shores Arbeit die Spezifik einer Banalography, wie ein Hashtag des auf Instagram äußerst populären Genres lautet, sinnfällig vermisst. Vogel macht dabei deutlich, wie die millionenfachen Erzählungen vom Selbst, etwa die geposteten Bilder vom Frühstück, von der Katze oder der Fahrt mit der U-Bahn in der Banalphotography Shores einen Reflex finden, motivisch aufgegriffen und doch medial kritisch reflektiert werden. Spannend an dem Beitrag ist auch der Seitenblick auf die Kommentare zu Shores Arbeit, die, zwischen Zustimmung und starker Ablehnung changierend, ein Schlaglicht auf die Debatten um die Kunstfertigkeit eines ohne Zweifel arrivierten Fotografen werfen. Doch gerade diese Irritationen sind es, so die Argumentation Vogels, die die Fotografie Shores als (abermaliges, könnte man sagen) Spiel mit den je zeitgenössischen Formen und Vorstellungen der „Schnappschussfotografie“ ausweisen.

Wie die hier vorgestellten Beiträge verkörpert der Band insgesamt eine sinnfällige Annäherung an Smartphones als Kamera und bietet in der Vielzahl der Aufsätze sowie in der ihnen inhärenten Perspektiven eine wichtige, weil breite und systematische Annäherung an ein technologisches Artefakt sowie die medialen Praktiken, Ästhetiken, Subjektivierungen und Diskurse, mit denen es in Wechselwirkung steht. Diesem positiven Gesamtbild stehen allerdings auch einige Irritationen gegenüber: zum einen die bisweilen zu leichte Gleichsetzung von Smartphone und Social Media. Gerade die im Band immer wieder thematisierte ambitionierte Fotografie beispielsweise auf Instagram ist keineswegs zwingend mit der Smartphone-Technologie gleichzusetzen. Viele der dort tätigen Akteur*innen arbeiten mit jenen Spiegelreflex- oder Systemkameras, die in der Einleitung des Bandes zur Opposition des Smartphones stilisiert werden, selbst analog aufgenommene Fotografien finden sich auf Instagram en masse. Ähnlich leichtfertig erscheint mir das Festhalten an der Dichotomie einer ambitionierten auf der einen und einer „Knipser*innen“-Fotografie (zum Beispiel 13, 151) auf der anderen Seite. Diese Binarität, die auf den Fotopublizisten und Kurator Timm Starl zurückgeht, der sie an der Scheidelinie einer öffentlichen und privaten Fotografie lokalisierte und die schon in den 1990er Jahren nicht widerspruchslos blieb, ist in meinen Augen angesichts der Möglichkeit, dass heute jede/r ein Foto sozial-medial in ein öffentliches verwandeln kann, obsolet. Statt an dieser hermetischen Definition festzuhalten (wie im Band stellenweise immer wieder getan), sollte sich meines Erachtens der Blick auf die Konvergenzen richten, wofür letztendlich der Beitrag über Stephen Shore, der mit seiner Arbeit ja gerade mit diesen scheinbar festen Zuschreibungen spielt und sie dabei immer wieder in Frage stellt, eindrucksvoll plädiert.