Aktuelle Rezensionen
Christoph Becker/Matthias Ferber (Hg.)
Das Augsburger Stadtrecht von 1156. Zweisprachige Ausgabe mit Erläuterungen
(Augsburger Schriften zur Rechtsgeschichte 39), Münster 2021, LIT, 144 Seiten, zahlreiche Abbildungen und ein Faltblatt
Rezensiert von Andreas Deutsch
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 04.04.2023
Unter den mittelalterlichen Stadtrechten des heutigen Bayern nehmen jene von Augsburg eine herausragende Stellung ein. Dass hierbei bislang die deutschsprachigen Statuten von 1276 in der Forschung weit mehr Beachtung fanden als das im vorgelegten Bändchen behandelte lateinische Recht von 1156, liegt sicherlich nicht nur an der bemerkenswerten Ausführlichkeit der deutschen Statuten, sondern zum Teil auch daran, dass das knappere lateinische Recht aufgrund der Sprachbarriere bis dato schwerer rezipierbar war. Mit der nun vorgelegten Neuausgabe des Textes samt Übersetzung ins Deutsche und zusätzlichen Erläuterungen wird dem Leser eine hilfreiche Brücke gebaut zu dem im Original teils schwer verständlichen Text.
Der ansprechend gestaltete und aufwändig bebilderte Band weist hierbei eine Besonderheit auf: Er beruht im Wesentlichen auf Texten von Schülern eines Projekt-Seminars des Augsburger Gymnasiums bei Sankt Stephan. Über anderthalb Jahre arbeiteten die Schüler unter fachkundiger Anleitung der Herausgeber an ihren Texten. Der Band stellt so ein herausragendes Beispiel dafür dar, wie man wissenschaftlichen Nachwuchs für die Rechtsgeschichte gewinnen und begeistern kann.
Die Autoren nähern sich dabei aus den verschiedensten Richtungen dem Stadtrechtstext an. Neben eine Beschreibung der Stadtrechtsurkunde und ihres Lagerorts, des Staatsarchivs Augsburg, (S. 1–10) treten allgemeine Angaben zur mittelalterlichen Urkunde, zum Kanzleiwesen (S. 11–19) und zu den beteiligten Personen bzw. Personengruppen (S. 21–31). Auf eine knappe inhaltliche Zusammenfassung der Urkunde (S. 52 f.) folgen weitere kurze Beiträge zu Publikation, Geltung und Wirkung des Stadtrechts (S. 55–63), zu Strafen (S. 65–69), zu Merkmalen einer „Demokratisierung im Ansatz“ durch Erstarken des Bürgertums (S. 70–74), zu den Augsburger Münz- und Maßeinheiten (S. 75–83), zur Ständeordnung (S. 84–89) und schließlich zu Markt und Handel (S. 90–94). Am Ende des Bändchens stehen ein Personen-, Orts- und Sachregister (S. 103–117) sowie Erläuterungen über die Entstehung des Buchs (S. 118–121).
Auch wenn die Edition samt Übersetzung somit nur einen verhältnismäßig kleinen Teil des Bandes (S. 32–49) ausmacht, bildet sie doch den Kern der Untersuchung. Der Edition zugrunde gelegt wurde das Original der von Kaiser Friedrich I. Barbarossa gesiegelten Stadtrechtsurkunde. Die von Kanzler Rainald von Dassel ausgefertigte (vgl. S. 30), 55x40cm große Pergamenturkunde umfasst 38 Textzeilen, die – abgesehen von der verlängerten Zierschrift (littera elongata) in der Intitulationszeile – in zeittypischer diplomatischer Minuskel geschrieben sind (vgl. S. 1–9). Da die Handschrift eine sehr große Zahl von Abkürzungen aufweist, sind trotz der strengen grammatischen Regeln des Lateinischen immer wieder verschiedene Lesarten möglich, wie sich sehr schnell beim Vergleich mit den älteren Editionen des Stadtrechts von 1156 zeigt. Die wichtige Urkunde wurde bereits 1831 in den „Monumenta Boica“ (Bd. 29,1, S. 327–332), dann u.a. von Ernst Theodor Gaupp (Deutsche Stadtrechte des Mittelalters II, 1852, S. 199–206) und von Christian Meyer (als Anhang zu: Das Stadtbuch von Augsburg insbesondere das Stadtrecht vom Jahre 1276, 1872, S. 309–313) ediert, später u.a. bei Friedrich Keutgen (Urkunden zur städtischen Verfassungsgeschichte, 1901, S. 90–92), bei Bernhard Diestelkamp (Elenchus fontium historiae urbanae, Bd. I, 1967, S. 116–120) sowie (erstmals mit einer deutschsprachigen Übersetzung) bei Bernd-Ulrich Hergemöller (Quellen zur Verfassungsgeschichte der deutschen Stadt im Mittelalter, 2000, S. 188–201). Leider ist keine der genannten Ausgaben buchstabengetreu; so wurden auch in der neuen Edition „u“ und „v“ entsprechend der modernen Lesart gesetzt und die aufgelösten Abkürzungen sind nicht ausgewiesen. Sehr hilfreich ist daher das als großformatiges Faltblatt beigegebene Faksimile der Originalurkunde, das einen Abgleich der Lesarten ermöglicht. Der deutschen Übersetzung gelingt es nahe an der Vorlage zu bleiben, ohne hierdurch an Verständlichkeit einzubüßen. Wichtige Zusammenhänge, spezielle Begriffe und Besonderheiten werden zudem in den Fußnoten erläutert.
Hintergrund des Stadtrechts von 1156 ist ein damals schwelender Konflikt zwischen Bischof und Bürgerschaft um die Vorherrschaft in der Stadt, wie er für viele Kathedralstädte typisch ist. Während der Bischof seine alten Rechte zu verteidigen suchte, erstrebten die Bürger die Privilegien einer Reichsstadt. Die Urkunde von 1156 manifestiert einen von Barbarossa vermittelten Kompromiss. Wie es in der Quelle ausdrücklich heißt, wurden die Augsburger bereits 1152 wegen allerlei Missstände bei ihm vorstellig. Im Band wird diskutiert, ob die vier Jahre bis 1156 für Verhandlungen benötigt wurden oder ob Friedrich aus Machtkalkül die Bestätigung bis nach seiner 1155 erfolgten Kaiserkrönung hinauszögerte (S. XIII, 15). Die Urkunde zitiert ein älteres Augsburger Recht, das auf einem Hoftag Kaiser Heinrichs IV. im Jahr 1104 aufgesetzt worden sei; mangels anderweitiger Überlieferung lässt sich jedoch nicht beurteilen, ob dieses ältere Recht wörtlich übernommen wurde. Die Edition geht (mit Hergemöller) davon aus, dass nur ein kleiner Teil der Bestimmungen auf 1104 zurückreicht und der mit den Worten „Iusticia Augustensis civitatis haec est“ beginnende Hauptabschnitt von 1156 stammt. Die Urkunde bestätigte den Bischof als Stadtherrn von Augsburg, die Rechte der Bürgerschaft wurden aber gestärkt und die Stellung des Vogtes als Inhaber der Blutgerichtsbarkeit ausgebaut. Abgesehen von Fragen des Münzwesens behandelt die Urkunde fast ausschließlich Einzelfragen der Stadtverfassung – ganz anders als das breit angelegte deutschsprachige Stadtrecht von 1276.
Der vorliegende Band reiht sich ein in eine Reihe wichtiger Neueditionen stadtrechtlicher Texte, etwa des Goslarer Stadtrechts (Maik Lehmberg [Hg.], Der Goslarer Ratskodex – das Stadtrecht um 1350. Edition, Übersetzung und begleitende Beiträge, Bielefeld 2013), der mittelalterlichen Stadtrechte Freiburgs von 1120 bis 1293 (Marita Blattmann/Jürgen Dendorfer/Mathias Kälble/Heinz Krieg [Hg.], Die Freiburger Stadtrechte des hohen Mittelalters: Edition, Übersetzung, Einordnung, Freiburg 2020) und des Mühlhäuser Stadtrechts (um 1225), zu dem eine umfangreiche Kommentarausgabe in Vorbereitung ist. Gemeinsam geben diese Bände der Stadtrechtsforschung wichtige neue Impulse und stehen für ein erfreulicherweise wieder erstarkendes Interesse an der Stadtrechtsforschung.