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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Aktuelle Rezensionen


Walter Koch (Bearb.)

Die Urkunden der deutschen Könige und Kaiser, Bd. XIV, Tl. 6: Texte und Register, Die Urkunden Friedrichs II. 1226–1231

Klaus Höflinger/Joachim Spiegel/Christian Friedl/Katharina Gutermuth /Maximilian Lang (Mitw.)
(Monumenta Germaniae Historica. Diplomata regum et imperatorum Germaniae, Tomus XIV, Pars VI/1 und 2: Friderici II. diplomata inde ab anno MCCXXVI usque ad annum MCCXXXI), Wiesbaden 2021, Harrassowitz, XIV und 1016 Seiten


Rezensiert von Franz-Reiner Erkens
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 07.04.2023

Der nun vorliegende sechste Band des großen, einen langen Atem und eine gute Arbeitsorganisation benötigenden Unternehmens der Edition von Friedrichs II. über Europa verstreuten Urkunden ist der letzte Band, an dem der verdiente, Ende 2019 verstorbene Herausgeber noch teilhaben konnte, ohne dabei freilich wegen einer schweren Erkrankung das Handwerk des Editors noch in nennenswertem Maße selbst ausüben zu können. In gewisser Weise ist das anzuzeigende Buch daher eine Hinterlassenschaft, die allerdings erst zu einem wirklichen Vermächtnis wird, wenn es gelingt, das – wie man der Vorrede entnehmen kann, keinesfalls ungefährdete –  Gesamtunternehmen zu einem erfolgreichen Abschluß zu bringen. Die Erreichung dieses Zieles muß freilich mit aller Macht gewünscht werden, denn mit ihm wird nicht nur ein dringendes Desiderat der mediävistischen Forschung erfüllt und eine große Lücke im Bestand kritisch edierter Herrscherurkunden gefüllt, sondern auch ein in verschiedener Hinsicht europäisches Unternehmen auf höchstem editorischen Niveau vorangetrieben. Nicht zuletzt der anzuzeigende Band kündet davon.

Dieser Band umfaßt 264 Urkunden (Nr. 1200–1463) aus dem Zeitraum von Juli 1226 bis Dezember 1231 sowie drei Nachträge (ein Stück zu Band 3 und zwei Stücke zu Band 5) und ist in zwei Teile geteilt: in die eigentliche Edition und in die Zusammenstellung der verschiedenen Register (S. 643–1016), die mit mehr als 350 Seiten einen stattlichen, manchen Urkundenband früherer Herrscher übertreffenden Umfang besitzt. Historisch bedeutsame Ereignisse aus dem Lustrum der publizierten Urkunden waren der Kreuzzug mitsamt dem Erwerb Jerusalems, der sich aus der Verzögerung des Kreuzzugs ergebende Konflikt mit Papst Gregor IX. und die Exkommunikation des Kaisers (vgl. Nr. 1294) sowie schließlich der Ausgleich im Frieden von San Germano (vgl. Nr. 1347 und 1349/50). Als urkundlicher Niederschlag während und offenbar auch in Zusammenhang mit diesem Geschehen finden sich zudem bedeutsame Schriftstücke für deutsche Empfänger, zumeist für Bischöfe, aber auch – zur Sicherung von dessen bergischem Erbe (Nr. 1271) – für Herzog Heinrich von Limburg, Kreuzfahrer und Leiter des Kreuzzuges während Friedrichs Erkrankung. Alle Begünstigten waren Unterstützer des Staufers, von denen der Salzburger Erzbischof Eberhard II. eine sowohl für den Südosten des Reiches als auch für das Ranggefüge im Reichsepiskopat wichtige Bestätigung seiner Rechte über das 1072 von seinem Vorgänger Gebhard gegründete Eigenbistum Gurk erhielt (Nr. 1270: September 1227), eine Entscheidung, die drei Jahre später bekräftigt wurde (Nr. 1369–1373: September 1230) und sich gegen Bemühungen der Gurker Mediatbischöfe um Gleichstellung mit den Bischöfen des Reiches richtete und die Gurker Oberhirten in der gleichen Abhängigkeit von Salzburg und auf der selben rechtlichen Stufe hielt wie die Bischöfe der gerade erst zwischen 1215 und 1225 geschaffenen Mediatbistümer Chiemsee, Seckau, und Lavant.

Vorbildlich ediert, aufschlußreich vor allem auch durch die ausführlichen editorischen Vorbemerkungen, stehen solche Urkunden, die für die Regional-, Sozial- und Verfassungsgeschichte von nicht geringer Bedeutung sind, der historischen Forschung nun zur Verfügung. Ihnen an die Seite zu stellen ist aber auch noch ein anderes, ein in mancher Hinsicht merkwürdiges Schreiben, das Aufnahme in diese Edition gefunden hat, zwar bisher nicht unbekannt war, aber als Stilübung galt und nunmehr einer vertieften Interpretation harrt und vielleicht auf größeres Interesse stoßen wird. Es handelt sich um Nr. 1329, eine an die Sarazenen Apuliens gerichtete Anweisung Friedrichs II., die nur in zwei Abschriften (die eine aus dem späten 13., die andere aus dem frühen 14. Jahrhundert) überliefert und nicht genau zu datieren ist, wohl aber in die Zeit des Konflikts zwischen Kaiser und Papst gehört, da es um das Schicksal von Gaёta geht, der Stadt aus Friedrichs süditalischem Königreich, die mit Einverständnis der Bürger vom Papst im Juni 1229 in besonderen Schutz genommen worden war und nicht mehr an den Staufer zurückgegeben werden, sondern als Exklave in Friedrichs Königreich bestehen bleiben sollte. Gaёtas Verhalten hat den Kaiser zweifellos erbost – wie sehr jedoch, das ist freilich die Frage.

Friedrichs Auftrag an die Sarazenen seines Königreichs, 15.000 Mann für die Belagerung Gaёtas aufzubieten, läßt, falls das Dokument echt ist, eine tiefe Verbitterung erkennen. Denn nicht nur sollte die Umgebung der Stadt verwüstet, sollten Häuser und Mauern nach der Eroberung zerstört werden, sondern auch die Einwohner waren schwerstens am Leib zu straften: Die „meliores“ und „nobiliores“ des Landes sollten, ihres Augenlichts beraubt, mit abgeschnittener Nase und nackt aus der Stadt gejagt werden, den Frauen hingegen sollte gestattet sein, (nur) mit abgeschnittener Nase abzuziehen, während die Knaben in der Stadt bleiben durften, allerdings „abstractis testiculis“, also kastriert. Freilich fragt man sich sofort, wie die kindlichen Evirati in einer Stadt ohne Frauen und Männer überleben sollten, in einer Stadt zudem, die – bis auf die Häuser von Klerikern und die Kirchen – von Grund auf zerstört werden sollte. Es ist mithin kein Wunder, wenn dieses Schreiben, das in einer wohl in Süditalien entstandenen „summa dictaminis“ überliefert ist, bislang als Stilübung betrachtet wurde oder als Propagandainstrument der päpstlichen Partei. Nun behauptet die neue Edition keinesfalls das Gegenteil, aber das Schreiben wird präsentiert ohne einen Hinweis darauf, ob es gefälscht oder verdächtig ist; und begründet wird die Aufnahme unter Friedrichs II. Urkunden mit der wichtigen, ebenso bemerkenswerten wie nachdenklich stimmenden Beobachtung, daß „sich d[..]er Text in den wesentlichen Formularteilen als durchaus kanzleigemäß“ erweise. Da Kanzleigemäßheit kein Garant für Echtheit ist, gehört das Schriftstück vor dem Hintergrund der herkömmlichen Deutung und des vorgetragenen Befundes erneut betrachtet, wobei die kritische Diskussion vor allem auch der Frage nachzugehen hat, wer, wenn (wofür doch einiges spricht) das Schriftstück nicht echt ist, in der Mitte des 13. Jahrhunderts überhaupt in der Lage war, ein angebliches Schreiben Friedrichs II. kanzleigemäß zu formulieren. Die gelungene Edition löst mithin viele Fragen und gibt zugleich neue Aufgaben auf.