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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Aktuelle Rezensionen


Harald Derschka (Bearb.)

Quellen zur Wirtschaftsgeschichte der Abtei Reichenau aus der Zeit Johann Pfusers von Nordstetten als Großkeller (1450–1464) und Abt (1464–1491). Gedenkbuch – Urbare – Ordnungen

(Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg A/64), Ostfildern 2022, Jan Thorbecke, 416 Seiten


Rezensiert von Benjamin Müsegades
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 17.04.2023

Zum Verständnis der verschiedenen Lebensbereiche der spätmittelalterlichen Gesellschaft ist es notwendig, Schneisen durch die in dieser Zeit stark anschwellende Überlieferung zu schlagen. Ein wichtiger Bestandteil entsprechender Forschungsbemühungen ist es, zentrale Quellen als Editionen verfügbar zu machen. In diesem Kontext wird vor allem in den unterschiedlichen Landesgeschichten Grundlagenarbeit geleistet, deren Wert gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Besonders umtriebig sind in diesem Kontext die verschiedenen Akteurinnen und Akteure im deutschen Südwesten.

Eine der zentralen Publikationsreihen sind dabei die Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg, in der mittlerweile in der „Quellenreihe“ A bereits 64 Bände vorliegen. Immer wieder wurden hier nicht zuletzt auch die für die Entwicklung spätmittelalterlicher Schriftlichkeit und die herrschaftlichen Bemühungen zur Ordnung ihrer Ansprüche besonders aussagekräftigen Urbare der Region zugänglich gemacht. In den letzten Jahren veröffentlicht wurden etwa die Edition des ältesten Urbars des Klosters Amorbach von 1395/97 (Bd. 62, 2019) sowie die Äquivalente des Klosters Bebenhausen aus dem Jahr 1356 (Bd. 46, 2015) und der Abtei des „gotzhuses“ zu Ellwangen von 1337 (Bd. 52, 2008). Die zu besprechende Publikation gehört ebenfalls in diese Reihe, macht Harald Derschka mit dieser doch gleich vier Urbare, ein Gedenkbuch, ein Verzeichnis von Weinzehnten und mehrere Ordnungen der Klosterökonomie aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts für die Forschung zugänglich. Entstanden sind diese Editionen in einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekt. Sie schließen thematisch an die Veröffentlichung zweier Lehnbücher der Abtei aus dem Jahr 2018 durch den Bearbeiter in derselben Publikationsreihe an (Bd. 61).

In seiner gelungenen Einleitung (S. XXVII−XL) skizziert Derschka die Bedeutung Johann Pfusers von Nordstetten als Großkeller und Abt für die Geschichte der Abtei (1450−1491), wobei er dessen vielfach kritische Bewertung durch die ältere Forschung an mehreren Stellen geraderücken kann, nicht zuletzt mit Blick auf seine Bemühungen, die wirtschaftlichen Zustände des Klosters zu ordnen. Als Editionsrichtlinien gewählt wurden die vom Gesamtverein der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine aufgestellten normen für die Edition mittelalterlicher Amtsbücher sowie der Editionsplan des „Chartularium Sangallense“.

Insgesamt lässt die Bearbeitung und Darstellung der im Generallandesarchiv Karlsruhe verwahrten Quellen kaum Wünsche offen. Eine Vielzahl von Themen wie Fischereirechte, Buchbesitz, Bautätigkeiten oder der Aufenthalt des Kardinals Nikolaus von Kues nördlich der Alpen lassen sich in dem mit einer mehr als 60 Seiten umfassenden Einleitung versehenen Edition des von Johann Pfuser angelegten Gedenkbuchs der Abtei finden (S. 1−111). Die beigefügten Handschriftenbeispiele ermöglichen hier, wie auch bei den anderen Quellen, weitergehende grundwissenschaftliche Untersuchungen.

Mit den insgesamt vier im Band edierten Urbaren liegt nun darüber hinaus eine fundierte Arbeitsgrundlage vor, um die Besitz- und Wirtschaftsgeschichte der Abtei neu in den Blick zu nehmen. Gerade auch für vergleichende Studien bietet sich das Material, wie auch die anderen in den letzten Jahren bearbeiteten einschlägigen Quellen zum deutschen Südwesten, an. Am ausführlichsten wird der Besitz des Klosters im zwischen 1459 und 1461 entstandenen Urbar beschrieben (S. 113−193). Kleinere Besitzkomplexe in Wollmatingen (S. 195−224), Kaltenbrunn (S. 196−260) sowie Schleitheim und Grimmelshofen (S. 261−266) sind in anderen Verzeichnissen aufgeführt. Eine Übersicht über die Reichenauer Weinzehnten (S. 267−288) komplettiert die Reihe wichtiger Quellen zu den wirtschaftlichen Ansprüchen der Abtei. Ebenfalls aussagekräftig zu diesem Thema sind die Ordnungen der Klosterökonomie von 1476, 1477, 1479 und 1483 sowie eine Übersicht von 1511 (S. 289−316). Erschlossen werden kann der Band durch ein jeweils separates Orts-, Personen- und Sachregister.

Mit der Veröffentlichung der verschiedenen Quellen zur Wirtschaftsgeschichte der Abtei Reichenau hat Harald Derschka einen wichtigen Beitrag zu dieser für die Geschichte des Bodenseeraums so wichtigen Institution vorgelegt. So erfreulich dies ist, umso erfreulicher wäre es doch auch, wenn die spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Urbare im deutschen Südwesten, die alleine in fünfstelliger Zahl im Hauptstaatsarchiv in Stuttgart und im Generallandesarchiv in Karlsruhe liegen, in der Forschung zur ländlichen Gesellschaft, insbesondere zur Agrar- und Wirtschaftsgeschichte, in absehbarer Zeit wieder mehr Beachtung finden würden. Mit Editionen wie der besprochenen ist das Feld hierfür bereitet.