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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Franz Leander Fillafer

Aufklärung habsburgisch. Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850

Göttingen 2020, Wallstein, 632 Seiten, zahlreiche Abbildungen


Rezensiert von Dennis Schmidt
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 10.05.2023

Eine wissens- und diskursgeschichtlich akzentuierte intellektuelle Geschichte der Habsburgermonarchie in der Sattelzeit bietet die 2020 erschienene Monografie von Franz Leander Fillafer, die auf seiner Konstanzer Dissertation aus dem Jahr 2012 fußt. Es geht dem Autor um die „rivalisierenden Ausprägungen der Aufklärung in Zentraleuropa“ (S. 11) und darum, wie und weshalb diese Vielfalt hinter dem Singular „Aufklärung“ unsichtbar wurde. Die Vielfalt der Aufklärung(en) buchstabiert Fillafer räumlich, zeitlich personell sowie inhaltlich aus und verwebt sie mit dem Prozess der Staatsbildung in der Habsburgermonarchie. Dabei unternimmt er nicht weniger als eine grundsätzliche Neubewertung – ganz besonders gegen zwei verbreitete Annahmen argumentiert er nachdrücklich und überzeugend: Erstens gegen die „Stringenzillusion“ (S. 14), als führe ‚die‘ Aufklärung ausschließlich und zwangsläufig zu Volkssouveränität und Liberalismus; zweitens gegen die Vorstellung von der Habsburgermonarchie nach 1790 als Hort von Reaktion und Fortschrittsfeindschaft.

Das Buch ist in sieben Hauptkapitel gegliedert, die systematische Schneisen schlagen, wobei sie selbst sinnvollerweise meist chronologisch aufgebaut sind. Die Kapitel haben teilweise den Charakter von Einzelstudien, bauen nur bedingt aufeinander auf, erhalten aber durch die Fragestellungen und argumentative Grundtendenzen Kohärenz. Sehr sinnvoll ist das jedes Hauptkapitel beschließende Ergebniskapitel, in dem wesentliche Punkte konzentriert dargestellt werden. Eine gewisse Redundanz erzeugen hingegen die teilweise eingebauten „Zwischenresümees“. Für die Erschließung der Arbeit äußerst hilfreich sind die abschließenden Orts-, Personen- und Sachregister. Auf die Hauptkapitel einzeln einzugehen, fehlt der Platz. Es sei hier nur auf die messerscharfe Analyse der „Selbstprovinzialisierung“ (S. 160) des restaurativen Katholizismus in Kapitel III verwiesen, der eine Geschichtskonstruktion entwarf, die sich scharf von ‚der‘ Aufklärung distanzierte, die Zeit Maria Theresias und den Barock hingegen idealisierte – wobei Fillafers Pointe darin liegt, dass es gerade dieses Geschichtsbild gewesen sei, das die Weiterverwendung aufklärerischer Methoden erlaubt habe. Aber auch wie es gelingt, am Beispiel der Entwicklung der Ökonomie bzw. ökonomischer Diskussionen zu zeigen, dass die Interpretation der Regierungszeit Franz I. als gegenaufklärerisch und reaktionär nicht zu halten ist oder dringender Ausdifferenzierung bedarf, ist äußert luzid.

Das Buch endet mit gleich drei Schlussteilen, wobei der „Überblick“ eine Zusammenfassung wesentlicher Ergebnisse der Untersuchung bietet. In dem programmatisch mit „Was war Aufklärung“ überschriebenem zweiten Schlusskapitel werden diese Ergebnisse explizit in Beziehung zu einigen Forschungsfeldern gesetzt. Hier überzeugt unter anderem die konstruktive Auseinandersetzung mit Kosellecks Konzept der Verzeitlichung, wobei Fillafer betont, dass die Aufklärung die Grundlagen für ihre eigene Historisierung selbst geschaffen habe, die schon mit der Französischen Revolution einsetzte und zu einem Streit um deren Erbe bzw. Wertung wurde. Dezidiert wendet er sich gegen die Idee der Geschichtsmächtigkeit der „radikalen“ Aufklärung im Vergleich zu einer wenig ertragreichen „gemäßigten“ Aufklärung – ganz im Gegenteil hätte gerade Letztere bei genauerem Blick oftmals eine große innovative Kraft entfaltet. In der Zuspitzung finden sich Fillafers Positionen in dem letzten und kürzesten der drei Schlusskapitel, dem „Gesamtbild“. Hier stellt er heraus, dass nicht die Aufklärung die Französische Revolution hervorgebracht habe, sondern vielmehr umgekehrt aus den vielfältigen Aufklärungsströmungen durch und nach der Revolution ‚die‘ Aufklärung als Projekt der Moderne entworfen worden sei. So hätten sich „habitualisierte Aufklärung“ und „erinnerte Aufklärung“ (S. 525) entkoppelt – zwei Formulierungen, die im Hauptteil zur analytischen Präzisierung hätten beitragen können. Überzeugend wendet sich Fillafer gegen eine scharfe Scheidung von Aufklärung und Restauration, er zeigt vielmehr, dass diese Trennung eine Folge der Zurichtung des Aufklärungserbes seit der Französischen Revolution ist.

In der Gesamtschau ist eine fulminante Studie zu konstatieren. Fillafer gelingt ein eindrucksvolles Gemälde der intellektuellen Entwicklungen der Habsburgermonarchie im Verlauf von rund 100 Jahren. Damit überwindet er überzeugend die überbetonte Zäsur ‚1800‘. Das wiederum führt jedoch dazu, dass die Konturen der behandelten Zeit am Anfang, vor allem jedoch am Ende sehr scharf akzentuiert werden. Sprachlich weiß die Arbeit vielfach zu brillieren. Die sprachgewaltige Wucht droht sich auf die lange Strecke jedoch etwas abzunutzen und erschwert in seltenen Fällen analytische Präzision. Auch das unkonkrete „man“ hätte vielleicht etwas weniger oft Verwendung finden dürfen. Inhaltlich hätte der Aspekt gelebter Praxis gegenüber gelehrten Diskussionen eventuell etwas stärker gewichtet werden können. Auch hätte der exemplarische oder paradigmatische Charakter einzelner Tiefenbohrungen noch besser begründet werden können. Aber all diese Punkte sind angesichts der enormen Breite und Qualität der Arbeit nur Marginalien. Denn zeitlich wird ein volles Jahrhundert behandelt, räumlich weiteste Teile der Monarchie abgedeckt; die Materialfülle an Archivalien und vor allem gedruckten Quellen ist außerordentlich, die Forschungsliteratur umfassend eingearbeitet. Die teils langen Fußnoten mögen vielleicht nicht überall als elegant gelten, ihre Lektüre lohnt sich aber häufig (beispielsweise S. 242 f., Fußnote 147) und eröffnet noch nuanciertere Deutungsebenen. In Summe liegt eine Studie vor, an deren Details oder auch ihren wesentlichen Thesen man sich reiben mag – vorbei kommt man aber an ihr bei der Beschäftigung mit der Habsburgermonarchie in der Sattelzeit mit Sicherheit für längere Zeit nicht.