Aktuelle Rezensionen
Ackermann-Gemeinde/ùstav pro studium totalitních režimů (Hg.)
Kardinal Josef Beran. Sein Lebensweg, sein Glaubenszeugnis in schweren Zeiten und sein Verhältnis zu den Deutschen
München/Prag 2021, Eigenverlag der Ackermann-Gemeinde 166 Seiten, zahlreiche Abbildungen
Rezensiert von Gisela Kaben
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 07.06.2023
Selten ist die Beurteilung einer historischen Persönlichkeit derart durch einige wenige Sätze geprägt worden, wie es bei Kardinal Josef Beran geschehen ist. Diese Sätze entstammen keinem Interview mit ihm, sondern sind die persönliche Zusammenfassung eines Gesprächs mit einem Journalisten zur Vertreibung der Deutschen aus der Tschechoslowakei zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Damit ist auch schon die Gruppe umrissen, die teilweise harsche Kritik an Beran übte: Es sind Vertreter deutscher Organisationen, aber auch Einzelpersonen, die dem Kardinal vorwarfen – und teils noch vorwerfen –, diese Vertreibung gebilligt, wenn nicht unterstützt zu haben. 52 Jahre nach dem Tod des Geistlichen ist nun ein Buch vorgelegt worden, das vor allem seinen Lebensweg beschreibt, sich neben den biographischen Angaben aber auch im Besonderen mit seinem Verhältnis zu den Deutschen allgemein und speziell den Sudetendeutschen befasst. Herausgeber ist die „Ackermann-Gemeinde“ mit dem „ústav pro studium totalitních režimů“ („Institut zur Erforschung totalitärer Regime“).
Es ist die erste in deutscher Sprache verfasste Biographie Berans, und es war naheliegend, fast zwingend, dass sich die „Ackermann-Gemeinde“ diese Aufgabe stellen würde. Diese christlich, vor allem katholisch ausgerichtete Vereinigung wurde 1946 von Vertriebenen gegründet und suchte von vorherein das Gespräch, nach der kommunistischen Machtübernahme dann diskreten Kontakt mit tschechischen Gläubigen. Zwar existiert keine Gründungserklärung von ähnlicher Wirkung wie der Brief der deutschen katholischen Bischöfe an ihre polnischen Mitbrüder von 1965 „Wir vergeben und bitten um Vergebung“, aber das Wirken der „Ackermann-Gemeinde“ gestaltete sich ganz in diesem Sinne. Dazu gehörten auch Kontakte zur „Geheimen Kirche“ in der ČSSR, deren Mitglieder heimlich geweihte Priester waren, die sich somit staatlichem Zugriff zu entziehen versuchten. Der zweite Herausgeber, das tschechische „Institut zur Erforschung totalitärer Regime“ ist eine Gründung nach der Wende von 1989/90. Sein Forschungsgebiet umfasst die NS-Zeit ebenso wie die der kommunistischen Tschechoslowakei, und damit genau den Zeitraum, der das Wirken von Josef Beran bestimmte. Die drei Autoren ergänzen sich: Stanislava Vodičková (S. 15–107) ist bereits als Biographin des Kardinals bekannt und profiliert, Eva Vybiralová (S. 109–135) ist Spezialistin u.a. für die geheimen Priesterweihen, Manfred Heerdegen (S. 136–154) als Fachmann für Flucht und Vertreibung sitzt im Bundesvorstand der Ackermann-Gemeinde. Eingerahmt werden die Sachartikel von einem Grußwort von Tomáš Kardinal Špídlik SJ (S. 11–13) und drei Dokumenten (S. 155–163). In einem Vorwort geht zudem der Bundesgeschäftsführer der Ackermann-Gemeinde, Matthias Dörr, auf Gründe und Anlass für die Herausgabe dieses Buches ein (S. 7–9).
Natürlich nimmt das „Interview“ in der Schweizer Zeitung „Die Tat“ von 1957 einen breiten Raum ein, in dem Beran einräumte, dass die Vertreibungen zu Kriegsende der Furcht vor einer neuen Irredenta entsprungen seien, diese Gefahr habe „den Transfer zu einer imperativen Notwendigkeit“ gemacht (S. 158). Vergebens bemühte sich Beran, die Wogen zu glätten, betonte, dass das Zitat aus dem Kontext gerissen sei. Seine Beschwichtigungsversuche fanden ihren deutlichsten Ausdruck in einem Hirtenwort, das er 1966 an den Sudetendeutschen Tag gerichtet hatte, jedoch auf Einspruch des Vatikans zurückziehen musste. Zu dieser Zeit befand sich der Kardinal bereits im römischen Exil, in das er mit der Maßgabe, sich nicht zu tagespolitischen Frage zu äußern, entlassen worden war. Die Politik des Vatikans wird in dem Buch mehrfach kurz angesprochen, ohne sie jedoch näher auszuführen. Rom befand sich in einem Dilemma, nicht erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Es reichte bis ins das Jahr der Gründung der Ersten Tschechoslowakischen Republik zurück, als die dominierende Stellung der katholischen Kirche in der Tschechoslowakei politisch ein Ende fand. Bis in die Jahre nach 1989 versuchte die vatikanische Außenpolitik, einen Modus Vivendi mit diesem Staat zu finden, wie auch das konkardatsähnliche Abkommen von 1928 benannt wurde. Der Klerus des Landes reagierte gespalten auf die Vorgaben und nicht zuletzt auf das Auftreten römischer Diplomaten. Die Rolle des Nuntius Casaroli wird in den Beiträgen auch kritisch gesehen, sowohl inhaltlich als in Bezug auf sein formales Verhalten.
Wie die Geistlichkeit des Landes war auch Rom mit zwei Ideologien konfrontiert, die mit dem katholischen Glauben von beiden Seiten als unvereinbar gesehen wurden. Es ist bezeichnend, dass Papst Pius XI. im Jahre 1937 innerhalb kürzester Zeit zwei Enzykliken veröffentlichte, die sich mit dem Gegner auseinandersetzten. Zum einen war dies am 14. März die Enzyklika „Mit brennender Sorge“ über die Lage der katholischen Kirche im Deutschen Reich, zum anderen das Schreiben „Divini redemptoris“ über den atheistischen Kommunismus vom 19. März. Kardinal Beran sah sich zusammen mit vielen anderen Priestern mit genau diesen ideologischen Polen konfrontiert. Vodičková zeichnet diese Konfrontation des Geistlichen nach. Ihr Beitrag bringt zusammengefasst, was sie in der Biographie Berans von 2009 detaillierter nachzeichnet. Er begann seine priesterliche Tätigkeit in einer Zeit, in der das Bündnis von Thron und Altar ein Ende gefunden hatte. Dass dieses auch nicht so eng war – beispielsweise mit Blick auf Besetzungen von Bischofsstühlen – und unter der rigorosen Habsburger Kriegswirtschaft gelitten hatte, gerät hier oft aus dem Blick. Trotzdem war die Trennung abrupt, die Stimmung angespannt. Der Eklat kam 1925, als der Staatspräsident Masaryk an der Gedächtnisfeier für Jan Hus teilnahm. Es spricht für die innere Größe Beran, dass er von Anfang an für eine Versöhnung der katholischen Kirche mit dem „Ketzer“ warb; eine offizielle Entschuldigung für dessen Feuertod erfolgte freilich erst 1999 durch Papst Johannes Paul II. Beran bewies hier gegenüber der eigenen Kirche eine intellektuelle Selbständigkeit. Diese Eigenschaft brachte ihn fast zwangsläufig in Konfrontation mit der nationalsozialistischen Besatzungsmacht, erst als Regens des Erzbischöflichen Seminars und ab 1941 als Prager Erzbischof; er wurde in das Konzentrationslager Dachau eingeliefert. Diese Lagerhaft wurde im Nachhinein vielfach als Ursache für einen angeblichen Deutschhass gesehen. In Dachau traf er auf Štěpán Trochta, mit dem er später im tschechoslowakischen Episkopat zusammenwirken sollte. Im sogenannten „Priesterblock“ wurden die inhaftierten Geistlichen zusammengefasst, die zwar einige Vergünstigungen erhielten, deren Leben aber trotzdem noch hart genug war. Diese Zusammenfassung geschah aus der Überlegung, dass der Einfluss der Geistlichen auf ihren Kreis beschränkt werden und möglichst wenig auf die restlichen Häftlinge ausstrahlen sollte.
Eine Parallele wird man dann in der sozialistischen Tschechoslowakei finden, als mehrere Bischöfe, natürlich besonders der Prager Primas, immer weiter in entlegenen Gegenden isoliert wurden, was bis zur Bemalung der Fenster ging, um den Blick nach draußen zu verwehren. Zunehmende Erkrankung und die Möglichkeit, seine Diözese einem Apostolischen Administrator zu übergeben, führten schließlich dazu, dem römischen Drängen nachzugeben und zur Kardinalserhebung auszureisen, unter der Maßgabe, nie mehr zurückzukehren. Er hatte dann nicht mehr lange zu leben, noch vier Jahre, in denen er noch am Zweiten Vatikanischen Konzil teilnahm und vor allem Kontakte zu exilierten Landsleuten und Sudetendeutschen knüpfte.
Immer wieder kreist die Veröffentlichung um die Frage, was für ein Mensch Kardinal Beran gewesen sei. Vor allem in seinem Verhältnis zu den Sudetendeutschen bleibt die offene Frage nach seiner konkreten Haltung zur Vertreibung. Alle Autoren bemühen sich, jeden Vorwurf ihn gegenüber zu entkräften, seine Fürsorge gerade für sudetendeutsche Priester im Zuge der Vertreibung hervorzuheben. Diese selbst sahen in ihm offenbar einen Anwalt ihrer Belange, auch wenn seine Eingriffsmöglichkeiten begrenzt waren und nach 1948 gegen Null tendierten. Seine unterschiedlichen Eingaben und die unter seinem Primat verabschiedeten Hirtenschreiben waren dennoch ständiges Thema der Gremien von Staat und Partei, wie die Berichte der Parteigremien aufzeigen. Seine Reichweite einzuschätzen ist schwierig; das ebenfalls von der Ackermann-Gemeinde herausgegebene Handbuch (Martin Schulze Wessel/Martin Zückert [Hg.], Handbuch der Religions- und Kirchengeschichte der böhmischen Länder und Tschechiens im 20. Jahrhundert, München 2009) zeigt die Vielgestaltigkeit des katholischen Klerus in der ČSSR und dessen Möglichkeiten auf; neben Mitläufern und Spionen eben auch Geistliche, die versuchten, die Umstände zum Wohle der Kirche bestmöglich auszunutzen sowie die Mitglieder der „Geheimen Kirche“, deren Ordination nur einem sehr engen Kreis bekannt war, in dem sie wirkten. Aber der Prager Erzbischof genoss von Amts wegen, ebenso auch durch seine persönliche Haltung innerhalb des Landes, hohes Ansehen über die Gläubigen hinaus. Diesen Eindruck auch unter den Deutschen zu festigen, ist sicher Zweck dieses Buch. Man hätte sich einige Ecken und Kanten gewünscht, die Person von Kardinal Beran erscheint fast ohne menschlichen Makel. Tatsächlich soll es die Bestrebungen zu seiner Seligsprechung unterstützen, sie erscheinen augenblicklich wenig aussichtsreich, genau die wie seines Mitstreiters Trochta.